Globale Wirtschaft: Vorteil für alle

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Die Arbeitsteilung wirkt wohlstandsmehrend. Sinnhafter Weise sollte sie nicht an staatlichen Grenzen aufhören, so der Wiener Nationalökonom Streissler.

Eine von Nobelpreisträger Milton Friedman immer wieder zitierte ökonomische Weisheit lautet: "There is no free lunch", ganz umsonst gibt es nichts auf der Welt. Selbst vom Bettler, dem man eine milde Gabe gibt, erwarten viele ein "Danke schön". In religiös gefestigteren Zeiten sprach der Bettler ein Gebet für den Geber. Der Christ freilich soll geben, ohne irgend etwas dafür zu erwarten; doch lehrt uns die Erfahrung die Seltenheit eines solchen in allem und jedem heiligmäßigen Lebens.

Es war Adam Smiths tiefe Erkenntnis, dass in Großgesellschaften wirtschaftliche Zusammenhänge grundsätzlich undurchschaubar sind, so dass es für den Einzelnen nie erkennbar ist, was er anrichtet, weswegen er auch gar nicht im Interesse der ihm vielfach nicht bekannten Mitwirtschafter handeln kann.

Das war kein Zynismus von Adam Smith, der ja umgekehrt auch betonte, der zwischenmenschliche Verkehr in Kleingruppen-Zusammenhängen müsse - und werde - durch wechselseitige Sympathie geprägt sein.

Barmherzig konnte der Samariter im Gleichnis auch nur deswegen sein, weil er den Notleidenden handgreiflich sah!

In Unkenntnis aller letztlich Betroffenen in wirtschaftlichen Großgruppen bleibe andererseits, so Smith, als Richtschnur des Einzelnen nur der Eigennutz, letzter selbstverständlich im rechtlich zulässigen Rahmen.

Genau das ist das Problem der weltweiten wirtschaftlichen Globalisierung. Im Durchschnitt, das heißt häufig, aber nicht immer, in vielen einzelnen wirtschaftlichen Transaktionen, wenn freilich keineswegs in allen, bringt Globalisierung der Wirtschaft große Vorteile; und zwar keineswegs nur für die Gewinne von Unternehmen, sondern infolge des auf globalisierter Ebene viel härter werdenden Wettbewerbes gerade und vor allem für die Konsumenten, gerade für die Letztverbraucher.

Selbst diese Vorteile können durchaus hässlich aussehen: Natürlich werden auch wir Österreicher, so wie Millionen Amerikaner von dem tragischen Tod vieler Tausender Amerikaner im World Trade Center und im Pentagon profitieren(!), ob wir wollen oder nicht. Und zwar, weil Kriegshandlungen der Vereinigten Staaten oder auch nur eine Aufrüstung, über den Globalisierungsverbund "wirtschaftsbelebend" in nicht von den Kriegshandlungen direkt betroffenen Ländern wirken.

Vom Krieg profitieren

Wir können solche Wirtschaftsvorteile aus einem Krieg nicht vermeiden, selbst wenn wir es versuchen würden: Vielleicht liefern wir, letztlich nur deswegen, zum Beispiel mehr Holz und zu höheren Preisen an Italien, welches wir sonst nicht geliefert hätten.

Globalisierte Wirtschaft bedeutet einen Verbund für alle weltwirtschaftlichen Vor- und Nachteile, auch etwa für die Nachteile der gegenwärtig sich verstärkenden Depression in Japan. Globalisierung heißt auch, dass Kriegsgewinnler in jedem Krieg vor allem die Neutralen sind, gerade also die nicht kriegerisch Handelnden.

Ich wiederhole: Globalisierung der Wirtschaft heißt, dass man die Effekte seines Handelns auf andere in allen seinen Verästelungen nie voll durchschauen kann, ein Erkenntnisproblem, das die meisten päpstlichen Sozialenzykliken in ihrer moralischen Wertung nicht erkannt haben.

Deshalb sprechen Ökonomen - meines Erachtens freilich oft recht unglücklich - von "Marktwirtschaften" oder gar vom "Weltmarkt", Ausdrücke, denen die Unpersönlichkeit, das Nicht-Nennen der unbekannt bleibenden, dahinter stehenden Personen sozusagen auf die Stirn geschrieben ist.

Aber das sind seltene Ausnahmeprobleme. Gäbe es nämlich häufig umfassend wirkende Kriege oder immer wieder unabwendbare, großflächige Gewaltakte, dann gäbe es keine weltweite Wirtschaftsverflechtung, keine, wie man heute reißerisch sagt, "Globalisierung". Globalisierung macht friedlich.

Der durchschnittliche Globalisierungsvorteil für jede schon länger voll integrierte Wirtschaft lässt sich leicht abschätzen: Wir brauchen nur etwas weiter östlich zu schauen. Unsere östlichen Nachbarländer, die in den 1930er Jahren eine kaum von uns unterscheidbare Einkommenshöhe pro Kopf aufwiesen, hatten 1989 bei höherer Arbeitsbelastung als bei uns nur 40 bis 50 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Produktion pro Einwohner im Vergleich zu Österreich.

Der vormalige Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Iván Berend, betonte, dass dies weit mehr als auf den Sozialismus dieser Länder, auf deren fast vollkommenen Abschluss von der weltwirtschaftlichen Globalisierung zurückging: Sie trieben etwas, aber sehr wenig Wirtschaftsverkehr mit der Sowjetunion, schon kaum einen solchen untereinander und so gut wie gar keinen mit dem Rest der Welt.

Globalisierte Wirtschaft bedeutet, dass jedes Land das erzeugt, was es am Vorteilhaftesten produziert und alles andere einführt. Und nicht nur das: Gerade weil sie so sehr im internationalen Wettbewerb stehen, sind alle Exportunternehmen gezwungen, laufend "besser" zu werden, wozu sie im reinen Binnenhandel weit weniger genötigt worden wären.

Um es konkret zu sagen: Wo wäre etwa Österreichs Fremdenverkehr ohne Ausländertourismus! Er wäre dann viel angenehmer, sagt vielleicht der österreichische Raunzer. Falsch! Es gäbe unseren hochentwickelten Fremdenverkehr mit seinen Hotels und Anlagen weitgehend überhaupt nicht, weil er sich nicht lohnen würde. Es gäbe fast nur "sanften" Tourismus, "sanft" bis zum Todesschlaf.

Aber auch eine Wirtschaft ohne internationale Arbeitsteilung wäre noch immer eine gesellschaftlich hochgradig integrierte Wirtschaft. Wenn jeder Bürger nur für sich selbst wirtschaften wollte, so würde er unfassbar arm leben in seiner selbst gebauten Hütte in heimgewobener Kleidung von der Wolle der eigenen Schafe und mühsam genährt von der eigenen Ernte, produziert natürlich nur auf Grundlage des Düngers seiner Familie und der eigenen Tiere.

Nur infolge der Arbeitsteilung zwischen unseren Wirtschaftstreibenden können wir in auch nur mäßigem Wohlstand leben. Warum aber diese Vorteile an der nationalen Grenze enden lassen, wenn die internationale Arbeitsteilung eine nochmalige Erhöhung unserer Versorgung mindestens auf das Zweifache, eher schon auf das Dreifache mit sich bringt, wie uns die Geschichte der östlichen Nachbarwirtschaften lehrt? Was unterscheidet entweder wirtschaftlich oder christlich-humanistisch die Ausländer grundsätzlich von den Inländern?

Globalisierung bringt langfristig gesehen große Vorteile für jedes Land und die große Mehrheit seiner Menschen. Aber sie bringt, wie betont, auch Nachteile: man ist an den Vorteilen, aber auch voll an den Risiken der Weltwirtschaft beteiligt. In jeder außenwirtschaftlich verursachten Wirtschaftskrise wünschen sich viele, wirtschaftlich autark, also unabhängig vom Ausland zu sein.

Keine Abschottung

Der Versuchung nachzugeben, jedes Land möge für sich allein wirtschaften, ist höchst gefährlich. In den 1930er Jahren führte die Abschottung jeder einzelnen Wirtschaft vom jeweiligen Ausland zum Schrumpfen der Einkommen für alle. Auch auf weltwirtschaftlicher Ebene gilt: "Was Du nicht willst, dass man Dir tu', das füg' auch keinem andern zu".

Die jeweils Jungen sehen mit Recht in einer weltwirtschaftlich integrierten Wirtschaft mehr Vorteile als die jeweils ältere Generation: Sie bietet demjenigen, der erst einen Beruf wählt, besondere Chancen, während der Wettbewerb anderer Wirtschaften nur allzu leicht dazu führt, dass angestammte Berufe weg konkurrenziert werden. Die Älteren müssen dann Neues kostspielig und mühsam lernen. Globalisierte Wirtschaft ist eine des raschen Wandels mit allen Vor- und Nachteilen des Wandels.

Geht zu allen Völkern

Wie soll der Christ die Wirtschaftsglobalisierung sehen? Alle Weltreligionen sind mehr oder weniger Religionen der Globalisierung, das Christentum aber am stärksten: "Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19).

Christus wurde kurz nach Beginn der ersten großen wirtschaftlichen Globalisierungswelle in der Geschichte geboren, eine Generation nach der Schlacht bei Actium, die den Mittelmeerraum politisch und vor allem wirtschaftlich einte. Jedem Ökonomen fällt auf, dass in den Evangelien, wie in unserem heutigen Wirtschaftsverkehr, drei Währungen als gleichzeitig umlaufend genannt werden, römische Denare (natürlich insbesondere als hoheitliche Steuermünze), aber auch griechische Drachmen und Talente sowie schließlich jüdische Schekel.

Und noch etwas bemerkt der Ökonom: Zumindest eines der (in den Evangelien zweimal) erzählten Gleichnisse ist ein Finanzmarktgleichnis auf integrierten Finanzmärkten, ganz offensichtlich für Menschen bestimmt, die nicht dem eigenen jüdischen Volk angehörten: "Hättest Du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten!" (Mt 25,27; fast wortgleich Lk 19,23).

Ausbreitung fand das Christentum nur in Zeiten wirtschaftlicher Integration; und die Wirtschaftsabkapselung Japans im 17. Jahrhundert führte zu Tausenden christlicher Märtyrer. Sollten das alles nur historische Zufälligkeiten sein?

Der Autor ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien.

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