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Hufeisen, Kleeblätter, Rauchfangkehrer ...: Zum Jahreswechsel hatten die Glücksbringer wieder einmal Hochkonjunktur. Aber auch wer das alles belächelt, wird sich dem Traum vom Glück kaum entziehen. Oder stimmt es gar nicht, dass alle Menschen nach Glück streben, wie alle Größen der Geistesgeschichte unisono behaupten? VON Hans-Walter Ruckenbauer

Als sich der schiffbrüchige Odysseus an den Strand der Insel Ogygia rettet, umwirbt ihn die Nymphe Kalypso mit paradiesischen Geschenken: Unsterblichkeit und ewige Jugend, unversiegbare Freude und Lust. Doch was wie die Erfüllung des Glückstraumes der ganzen Menschheit anmutet, schmeckt dem homerischen Helden aus Ithaka schal nach seliger Langeweile, ehe noch sieben Jahre verstrichen sind.

So wählt er die Rückkehr zu seiner sterblichen und vergleichsweise unvollkommenen Frau Penelope und für sich selbst das ganze Risiko der Menschlichkeit: Vergänglichkeit und unvorhergesehenes Leid, immer wieder Kummer und Schmerz. Diese aufs erste wenig plausible Wendung eröffnet den Gang der Irrfahrten.

Moment des Unverdienten

Straft damit nicht der Dichter der Alten alle nach ihm kommenden Philosophen Lügen? Vielleicht stimmt es ja gar nicht, dass alle Menschen nach Glück streben, wie es die Großen der abendländischen Geistesgeschichte unisono behaupten - von Platon bis Kant, von Aristoteles bis Mill? Oder ist einfach bloß die immer währende Sättigung unerträglich, das Fehlen eines Ziels, wonach zu streben es sich lohnte?

Das Bild unerschöpflicher Fülle passt offensichtlich nicht zur Vorstellung von Glück, wie es uns endlichen Wesen beschieden sein kann, genauso wenig wie alltägliche Selbstverständlichkeit und ungebrochene Dauer. So verschieden unsere Ideen vom Glück auch sein mögen, sie enthalten die Momente des Außergewöhnlichen, Unverdienten, Geschenkhaften, Unerwarteten. Wir wollen das Glück genießen, solange es bei uns verweilt, aber wir wissen ebenso vom Unglück, dass es vorübergehen wird.

Das Glück des Glücks bewahrt gegen alle Machbarkeitsphantasien eine Ahnung von Gnade - Unverfügbarkeit, philosophisch geredet. Es taugt daher auch nicht zur sozialpolitischen Forderung. Ein Grundrecht auf Glück mutet zumindest naiv an.

Glück in der Verfassung

Eine Proklamation von Verfassungsrang hat jedoch Geschichte geschrieben: Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 besiegelt das unveräußerliche Recht auf das Streben nach Glück als Bestandteil der Schöpfungsord-nung. Ge-nauer be-trachtet, ent-hält die berühmte Formel von Thomas Jefferson die Worte pursuit of happiness. Damit bietet sich eine begriffliche Unterscheidung in zwei Arten des Glücks an, die die deutsche Sprache nicht vorsieht.

Im Englischen meint luck etwas anderes als happiness, gleichwie man auf Italienisch fortuna und felicità auseinander hält. Denn "zufällig Glück haben" bedeutet ja nicht dasselbe wie "im Allgemeinen glücklich sein". Wobei der genuin amerikanische Traum von happiness stärker noch im Sinne des Sich-Wohlbefindens (mit deutlich am Besitz materieller Güter orientierter Komponente) zu verstehen ist.

Im Deutschen bietet sich stattdessen eine andere Differenzierung an: Das Verb glücken verwenden wir gemeinhin nicht für etwas allein der Göttin Fortuna Geschuldetes. (Man sagt ja auch nicht, jemandem sei der Haupttreffer im Preisausschreiben geglückt; denn das märchenhafte Lottoglück wider alle Wahrscheinlichkeit, von dem uns Werbeeinschaltungen träumen lassen, ist gewiss ein durch und durch zufälliges Ereignis.)

Eine ethische Frage

Vielmehr begegnet glücken als ein Synonym für gelingen. Zum Gelingen einer Sache sind "glückliche" Umstände fraglos dienlich. Gesetzt ich behaupte, etwas - eine Vorlesung, ein Gespräch, die Zubereitung eines Gerichts oder die Erziehung

meines Kindes - sei mir geglückt, dann würdigt diese Rede beides: ein gnädiges Geschick und meinen eigenen Beitrag. Die Frage des Glückens erweist sich als eine ethische.

Damit wäre also philosophisches Festland gewonnen und das Thema Glück in den sicheren Hafen der Klugheits-leh-ren von der Stoa bis zu Michel Foucault manövriert. Ob wir damit auch besser zu fassen bekommen, was Glück heißt? Wohl kaum. Weder vermochte uns die Weisheit der Sprachen verraten, worin nun genau Glück bestünde, noch dürften Philosophen als Experten des Glücks durchgehen.

Es handelte sich nämlich um einen echten Glücksfall, von einem Philosophen in dieser Sache mehr als historische Gelehrsamkeiten oder geschwätzige Kapriolen serviert zu bekommen. (Ich fürchte, auch Ihnen, geneigte Leserin, geneigter Leser, wird dieses Glück hier nicht zuteil!) Fest steht, dass die Menschen seit alters darüber nachdenken, was ihr Leben gelingen lässt, und dass dabei ihre Gedanken immer wieder um den zentralen Begriff des Glücks, gleichsam als Bündelung aller Sehnsüchte und Hoffnungen, kreisen.

Was ist Glück?

Die Versuche, das Phänomen Glück zu charakterisieren, sind Legion gleich den endlosen Auflistungen von Glücksmomenten in den Datenbanken von Forschungsprojekten zur Lebensqualität. Ist Glück nun Gabe der Götter, unabänderliches Geschick oder Nebeneffekt konsequenter Lebenspraxis? Besteht es in sinnlichen Freuden oder geistigen Genüssen, in materiellen Gütern, zwischenmenschlichen Beziehungen oder spirituellen Ekstasen? Genügt das Wohlfühlschnäppchen in der Wellness-Oase bzw. die geistliche Korrespondenz des benediktinischen "Glückspaters" oder verlangt Glück nach mehr Ernst des Lebens, wie der Titel einer der gelungensten neueren Denkanstöße zum Thema fragt?

Ernsthaftigkeit ist nicht zuletzt deshalb angebracht, weil uns die Erfahrung lehrt, wie zerbrechlich die Sache mit dem Glück sein kann. Kein Reichtum der Welt, weder beruflicher Erfolg noch die Gunst des Augenblicks können das Glück eines Menschen auf Dauer sicherstellen. Nicht selten drücken eine unerfüllte Liebe oder eine ungestillte Sehnsucht, der stete Kampf um gesellschaftliche Anerkennung oder eine chronische Krankheit, die Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis oder unversöhnte Schuld dem eigenen Leben nachhaltiger den Stempel auf als die raren glücklichen Episoden.

Gegenmodell: Hans im Glück

Das Gegenmodell dazu erzählt das Märchen vom Hans im Glück. Dem unverdrossen glücklichen Toren fehlt jeder Sinn für den Ernst des Lebens. Während der Wert des Klumpens Gold als Lohn mehrjähriger Arbeit von Tausch zu Tausch dahinschwindet, beklagt Hans keinen Verlust am Glücksgefühl. Nachgerade besteht sein Glück in der Spontaneität, mit der er das seinen momentanen Bedürfnissen Gemäße erhält, ohne auf den "eigentlichen" Wert des eingesetzten Guts zu achten, bis hin zu einer hart an Dummheit grenzenden Sorglosigkeit. Restlos glücklich scheint er, als er nichts mehr hat, woran er hängt, und damit auch die letzte Sorge los ist.

Dass ein solcher Lebensentwurf nicht trägt, zeigt Regina Ammicht-Quinn in der geschwisterlichen Verbindung von Glück und Sorge (Buchtipp unten). Die sorglosen Augenblicke bedürfen eines Ankers in der Welt. Für das fühlende, wahrnehmende, denkende, wollende, handelnde Wesen Mensch ist Glück immer auch ein Ernstfall des Lebens, der die Sorge für sich selbst und für andere einschließt.

Abschließend und wider die beschworene Aussichtslosigkeit auf eine gültige Antwort sei die Frage gestellt: Was also macht glücklich? - Lieben und arbeiten zu können, mit Sigmund Freud gesprochen. Nehmen wir diese knappe Auskunft als schlichte Wegmarke auf dem verschlungenen Pfad unseres Lebens. Auf dass nicht nur Odysseus sein geerdetes Glück finde!

Der Autor ist Assistenzprofessor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.

Buchtipp:

Glück - der Ernst des Lebens? Von Regina Ammicht-Quinn

Verlag Herder, Freiburg 2006

144 Seiten, kt., Euro 9,20

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