Glücklich & erfolgreich, fit & dynamisch

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Alles will heute kontrolliert werden: die Gesundheit, das Glück, die Liebe. Im Leben etwas einfach nur "geschehen lassen" ist fast schon eine verlernte Kunst.

W er sich im Programm "schöner, reicher und glücklicher" einmal eingeschrieben hat, der findet in der sogenannten Ratgeberliteratur sein tägliches Trainingspensum. "Diese Ratgeberliteratur ist ein extremer Ausdruck des Machbarkeitsmythos' und -wahnes. Dahinter steht das Bedürfnis, alles im menschlichen Leben kontrollieren zu können, auch das Unkontrollbierbare.", diagnostiziert die Sozialpsychologin Herrad Schenk. "Durch Wissenschaft und Technik ist der menschliche Gestaltungsspielraum stark gewachsen. Doch noch immer ist es so, dass Menschsein bedeutet, dass wir, was Krankheit, Katastrophen oder Unfälle betrifft, existenziell ausgeliefert sind. Die Ratgeber versprechen den LeserInnen, dass sie mit starkem Willen alles kontrollieren können, auch das Unkontrollierbare." Selbstverständlich bedeutet dieser kritische Blick auf die Ratgeber, speziell im Gesundheitsbereich nicht, dass die Selbstverantwortung der PatientInnen belächelt würde, dass die Verantwortung an die Fachleute, die ÄrztInnen also, delegiert werden soll. "Das ist ein im Ansatz guter Gedanke, sich nicht mehr zum bloßen Reparieren zum Arzt zu bringen. Die Menschen haben begonnen, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen: Wenn ich rauche, steigt die Wahrscheinlichkeit, Lungenkrebs zu bekommen; zu fettes und üppiges Essen bringt Herz- und Kreislaufprobleme. Menschen können mit ihrer Lebensführung ihre Gesundheit beeinflussen, sie können sie aber nicht komplett kontrollieren. Wenn ich alles richtig mache, wenn ich meine Psyche pflege, wenn ich Sport treibe, dann habe ich ein Recht darauf, 95 Jahre alt zu werden. Das ist der Omnipotenzwahn."

"Richtig" leben

Hier zieht die Psychologin Schenk die Grenze zwischen gesunder Verantwortung und der Wahnvorstellung, das eigene Leben und Sterben in jeder Dimension bestimmen, kontrollieren zu können. Sie verweist auf einen weiteren stark angewachsenen Literaturzweig, auf die Biografien von Kranken und Sterbenden. Prominente Beispiele sind dabei die Schriftstellerin Maxie Wander und auf "Mars", einen 1977 erschienen Titel, der unter dem Pseudonym "Fritz Zorn" veröffentlicht wurde. Ort der Handlung ist hier der Zürichsee, die "Goldküste"; die Autobiografie beginnt mit: "Ich bin jung und reich und gebildet; und ich bin unglücklich, neurotisch und allein." Fritz Zorn, dessen Leben so problemlos erschien, zieht eine gnadenlose Bilanz, er schreibt sich die Schuld an seinem Krebsleiden zu, sein Resümee: "Ich finde, jedermann, der sein ganzes Leben lang lieb und brav gewesen ist, verdient nichts anderes als dass er Krebs bekommt." Also auch hier der Glaube, man müsse "es" nur richtig machen, dann würde man nicht krank werden und sterben. "Durch Bildung und sozialen Aufstieg könne man das individuelle Glück erringen, das ist typisch für die abendländische Philosophie. Durch Bildung und durch Leistung könne das Individuum aufsteigen. Wenn ich mehr aus meinem Leben mache als am Anfang da war, dann bin ich erfolgreich.

Falsche Rechnungen

Diese Rechnungen stimmen einfach nicht; da gibt es Menschen, die rauchen und gesund bleiben, dort erkranken Menschen an Lungenkrebs, die niemals rauchten. Hinter der Idee, wenn man alles richtig macht, dann geht es (das Leben) auch alles gut aus, steht ein Belohnungswunsch. Umgekehrt führt dieser Gedankengang zur These: Wer etwas falsch gemacht hat, der bekommt Krebs, Aids, Alzheimer." So die Diagnose Herrad Schenks über den westlichen Mythos des "richtigen" Lebens und den Verlust der Gläubigkeit.

Die Menschen waren früher von der Vorstellung getragen: Wenn mir im Leben etwas Schreckliches widerfährt, dann kann das auch eine Strafe sein, aber es kann auch eine Prüfung vor Gott sein. "Die damalige Vorstellung, dass in einem Jenseits die Ungerechtigkeit des diesseitigen Lebens aufgehoben wird, ist der heutigen Gesellschaft im Großen und Ganzen verloren gegangen. Da der Glaube an das gut machende Jenseits abhanden kam, ist die Forderung nach der Gerechtigkeit im Diesseits so stark geworden. Gerechtigkeit wäre dann gegeben, wenn der, der schlecht lebt, auch schlechte Ergebnisse hat. Wer gut lebt, hat die guten Ergebnisse."

Lebenshilfe-, Ratgeberliteratur, Autobiografien, die das Sterben von Menschen schildern oder Überlebenskämpfe der Öffentlichkeit vorführen, sollen weiterhin das Ideal der Machbarkeit nähren. Etwas geschehen zu lassen, ist zu einer beinahe verlernten Kunst geworden. "Meine zentrale These ist, dass die Menschen verlernt haben, mit dem Schicksalhaften unseres Lebens umzugehen. Gerade weil wir mehr bestimmen und kontrollieren können als früher, können wir den unkontrollierten Teil so schlecht aushalten." betont Herrad Schenk. Man müsse aufhören, das Leben als eine ständig ansteigende Erfolgskurve zu sehen.

In ihrem neuen Buch "Glück und Schicksal" nimmt die Sozialpsychologin Herrad Schenk den Machbarkeitswahn der heutigen Menschen aufs Korn.

Wer Glück verkauft, macht gute Geschäfte: Ratgeber wie "In neun Schritten zum Lebensglück" oder "Die Kraft des positiven Denkens" bestärken LeserInnen im Glauben, mit Willen, Technik und Strategie ihr Lebensglück steuern zu können. Ist das Glück "selbst gemacht", so ist das Unglück ebenfalls selbst verschuldet: wer krank wird, hat einen Punkt der Anleitung zum Glück überlesen. Nun heißt es, sich doppelt anzustrengen.

In ihrem neuen Buch behandelt die Sozialpsychologin Herrad Schenk einerseits den starken Willen der Menschen, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und andererseits den Hang zu Selbstüberschätzung und maßloser Überforderung. Dem entsprechend steht der erste Teil des Buches unter dem Motto "Der Mythos der Machbarkeit"; "Die Macht des Schicksals" betitelt Herrad Schenk das zweite Großkapitel ihrer Analyse. Dieser vielschichtige Streifzug durch die Literatur zum Glück, durch Belege aus Romanen und Biografien verdichtet den Blick auf das Ringen um Lebensglück, um Teilziele, um größere Lebensziele, oft ums bloße Überleben.

Mit dem Motto "Jeder ist seines Glückes Schmied" wurden Kinder zum Lernen und Artigsein angehalten, Firmen gegründet, Überstunden gemacht: eifrig schmiedeten die Generationen am Glück wie an der Eisentür des vom Munde abgesparten Eigenheimes. Damals diente diese Metapher von der Machbarkeit des Glückes vor allem als Motivation zum Ringen nach Wohlstand und Ansehen: vom Tellerwäscher zum Millionär oder wenigstens zum Vertreiber von Geschirrspülern.

Selbstüberschätzung

Heute geht das hinter dem Sprichwort steckende Bekenntnis zu Individualismus und zu individueller Gestaltungsmacht weiter: der Mensch selbst, nur er alleine, schmiede sein allumfassendes Lebensglück.

Diese Überschätzung der Machbarkeit des eigenen Lebens sei typisch für eine Lebensphase des Aufbauens: dem Glück vermeintlich nahe und noch näher am Burnout, treibt die Ideologie des Erfolges zu äußerer Hektik wie innerer Ruhelosigkeit. Wiederum locken Coaches und Berater mit dem Erfolgstraum als einzigem Lebensinhalt: man ist reich und erfolgreich, fit und dynamisch, wach und glücklich. Motivationstrainer halten glühende Predigten auf den "Siegertyp": man müsse sich ein Lebensziel setzen und dann einfach hart arbeiten.

Dieses Weltbild hat auch seine Erklärungen für den Misserfolg, für Verluste, für Unglück. "Dieses Weltbild lässt keine außerhalb des Menschen und von ihm unabhängig existierende Wirklichkeit gelten; [...] hinter dieser Behauptung steckt der Glaube, dass die negative menschliche Gedanken- und Gefühlsenergie, das ,negative Karma' für alles Übel in der Welt verantwortlich sei." So beschreibt die Autorin das "Gesetz der Resonanz", die als "neues Bewusstsein" verkleideten alten Machbarkeitsphantasien, die alte Sehnsucht nach Kontrolle, die das europäische Denken seit Beginn der Neuzeit bestimmt.

Schritte zur Freiheit

Menschen wie Hans im Glück taugen nicht als Fundamente des kapitalistischen Wirtschaftssystems: zwar kann Hans den objektiven Wert der Dinge nicht richtig einschätzen, doch ist er andererseits sorgenfrei, unbeschwert und absichtslos, jede Wendung der Dinge ist ihm Gewinn, seine unbedarfte Genügsamkeit provoziert die Macher. Herrad Schenk schlägt vor, von Hans und seiner Lebenshaltung zu lernen: "Glücklich ist vielleicht weniger der Mensch, der seine Ziele gradlinig erreicht, als einer, der Umwege für sich zu nutzen weiß, der aus seinen Misserfolgen positive Erfahrungen ziehen kann."

Jede Krise konfrontiert den Menschen mit dem Lebensgesetz der Vergänglichkeit und der Veränderung; diese Auf- und Abbewegungen vollziehen sich unabhängig vom menschlichen Willen; erst die Einsicht in diese not-wendende Bewegung bringt Freiheit und führt weiter zu heiterer Gelassenheit. Schenk weist klar darauf hin, dass der Mensch kein bloßer Spielball seines Schicksals ist, sondern dass er kräftig am Spiel seines Lebens mitgestaltet; ebenso deutlich weist sie auf den anderen Teil des Lebens hin, der sich der menschlichen Steuerung entzieht:

"Wir schreiben am Drehbuch unseres Lebens selbst mit, aber es gibt viele Co-Autoren, menschliche und nichtmenschliche Einflüsse. Manchmals bestimmen sie die Handlung unseres Lebensskripts stärker als wir selber; sie pfuschen uns dazwischen, schreiben ganze Szenen um, werfen Akte heraus, streichen Rollen und Charaktere [...] Doch selbst wenn wir unsere Rolle nicht allein bestimmen können, so können wir sie dennoch auf unsere ganz persönliche Art spielen [...]"

Christina Gastager-Repolust

GLÜCK UND SCHICKSAL. Wie planbar ist unser Leben?

Schenk, Herrad Beck München 2001. ISBN 3-406-46627-3; e 20,10/öS 277,-

Tipp: Vortrag zum Thema Schicksal und Glück

"glück und schicksal" Freitag, 1. Februar 2002, 19.30 Kapitelsaal, Kapitelplatz 6, 5020 Salzburg.

51. Internationale Pädagogische Werktagung: "... auf dass Kindheit glücke" 15.-19. Juli 2002

Informationen unter Tel. 0662-8047-511 E-Mail: pwt@kirchen.net

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