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Die einen lauschen, die anderen sehen und spüren: Wie die Kommunikation zwischen Gehörlosen und Hörenden die Sinne schärft.

Am Anfang wird auf den Boden getrommelt: laut und lange, mit beiden Händen und mit Begeisterung. "Jetzt beginnt's" soll dieses Ritual bedeuten. Es ist eine Art Begrüßungsgong - nur nicht zum Hören, sondern zum Fühlen.

Die Kinder im Kreisrund wissen das Trommeln längst zu deuten. Auch der zweieinhalbjährige Patrick, der zum dritten Mal den Gebärdensprachkurs des Vereins Kinderhände im 15. Wiener Gemeindebezirk besucht, ist plötzlich ganz Ohr. Aufmerksam beobachtet er, wie ein Plüschhund die Runde macht und dann und wann unter einem Tuch verschwindet. "Wo ist denn der Hund?" wird zu diesem Versteckspiel gesungen und gebärdet. "Da ist er! Herzlich willkommen! Guten Tag!"

Jausnen und gebärden

"Man vergisst einiges, wenn man nicht jeden Tag übt", stöhnt Patricks Großmutter, die ihren gehörlosen Enkel gemeinsam mit seinem hörenden Bruder und seiner Mutter wöchentlich zum Sprachkurs begleitet. Erst im Jänner habe man erfahren, dass der Bub nicht hören kann. Nun sei es höchste Zeit, sich mit Hilfe von Sprachspielen, Gebärdenliedern und gemeinsamem Jausnen verständigen zu lernen.

Dass es diese - im deutschsprachigen Raum einzigartige - Möglichkeit gibt, ist Barbara Schuster zu verdanken. Im Jahr 2004 hatte die gehörlose Grafik-Designerin die Idee, bilinguale Gebärdensprachkurse für Eltern und Kinder anzubieten. Die hörende Volksschullehrerin Andrea Rohrauer war von diesem Konzept sofort angetan. Ein Jahr später wurde das Vorhaben realisiert. Im fließenden Wechsel von Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) und Lautsprache lernen gehörlose, schwerhörige und hörende Kinder seither nicht nur eine neue Ausdrucksform kennen, sondern auch, bewusster zu schauen und zu spüren.

Fühlen kann Barbara Schuster so manches: das Vibrieren des Bodens beim Trommeln etwa, oder das "Brummbrumm" im "Autolied", das beherzt gesungen wird. Während die Hörenden in der Runde die Schallwellen über das Innenohr aufnehmen, von wo aus sie der Hörnerv ins Gehirn weiterleitet, spüren die Gerhörlosen die Schallschwingungen als rhythmische Druckänderungen auf der Haut und als Rauheit im Ohr. "Gehörlose können also durchaus Musik machen", erklärt Schuster in Gebärdensprache, während ihre Kollegin dolmetscht. Sie selbst habe Trommel, Blockflöte, Xylophon und Klavier gespielt. "Wichtig ist nur, dass es fühlbar ist."

Siezen? Gibt's hier nicht!

Die Sinne, mit denen die Welt wahrgenommen wird, ändern freilich auch die Weltsicht insgesamt. "Es ist eine stehende Formel in der Literatur, dass es eine Hörendenwelt und eine Gehörlosenwelt gibt", meint die Wiener Sprachwissenschafterin Verena Krausneker, die derzeit am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg lehrt. "Aber die Gehörlosenwelt ist keine abgeschlossene Welt und auch keine autarke Blase."

Wie zwischen allen anderen Sprachgruppen gebe es Unterschiede, die bereichernd seien, und solche, die sich reiben könnten. "Was mir hier als erstes einfällt ist der Umstand, dass es in der Gebärdensprache kein Siezen gibt", erklärt Krausneker. "Auch was wir unter Höflichkeit verstehen, ist in der Gehörlosenkultur einfach anders." So sei es in der Gebärdensprache völlig angemessen, das Gegenüber auf äußere körperliche Dinge anzusprechen: "Die Aussage, Na, du bist aber dick geworden!' ist völlig normal", weiß Krausneker. Im Gegenzug sei gehörlosen Menschen die Fixierung auf die Schriftsprache fremd, wie sie unter Hörenden üblich ist.

Wichtig sei jedenfalls, gehörlose Menschen endlich als bikulturell und zweisprachig zu begreifen: "Alle gehörlosen Menschen haben ja Deutsch gelernt", betont die Wissenschafterin, "die meisten haben viele Jahre logopädisches Training hinter sich und können entweder ausgezeichnet oder verständlich Deutsch sprechen, schreiben und lesen."

Dieser Respekt vor der Zweisprachigkeit der Gehörlosen ist in Österreich noch lange nicht selbstverständlich. Erst vor zwei Jahren wurde etwa die Österreichische Gebärdensprache offiziell anerkannt. Und der aktuelle Lehrplanentwurf der Sonderschulen für gehörlose Kinder sei "im Herzen und Kern" noch immer monolingual, also auf das Erlernen der Lautsprache fixiert, kritisiert Verena Krausneker: "Es ist darin weder ein Fach noch eine Unterrichtssprache, Österreichische Gebärdensprache' vorgesehen."

Über solche Zustände kann sich auch Barbara Schuster nur wundern. Sie selbst bezeichnet die Gebärdensprache als ihre Muttersprache, obwohl sie lautsprachlich aufgewachsen ist. "Meine Mutter hat mir aber zumindest mit Bildern die Welt erklärt", erinnert sich die gebürtige Südtirolerin.

Wie ein kleiner Buddha

Kinder wie Patrick sollen es heute besser haben. In der bilingualen Eltern-Kind-Gruppe können sie Gebärde für Gebärde üben. Auch die Mutter des dreijährigen Ruben ist froh, dass es diese Möglichkeit gibt. "Seit seinem zweiten Geburtstag wissen wir, dass er gehörlos ist", erzählt die Lebens- und Sozialberaterin während der Jause. Gleich nach der Diagnose habe sie sich an den Österreichischen Gehörlosenbund gewandt und Barbara Schuster kennengelernt. Seither lernt sie mit Ruben die Gebärdensprache; die einjährige Tochter Luna wächst zweisprachig auf. "Ich bin leider noch immer auf Basics beschränkt", klagt sie. "Aber zugleich habe ich eine unglaubliche Körpersprache entwickelt und achte auch mehr auf das Visuelle."

Dass der kleine Ruben besonders ist, hat sie schon in der Schwangerschaft gefühlt: "Er war wie ein kleiner Buddha in meinem Körper, sehr in sich ruhend, als wäre er mit dem Göttlichen zufriedener als mit dem Irdischen." Bis jetzt habe er sich dieses Wesen bewahrt, freut sie sich - obwohl man vor fünf Wochen einen schwerwiegenden Eingriff gewagt habe: In einer Kopfoperation wurde Ruben ein Cochlear-Implantat eingesetzt, eine Prothese, die in der Hörschnecke eine individuelle Hörempfindung erzeugen soll.

Sprachbarriere zum Kind

"Ich wollte das lange nicht, weil ich gar nicht das Gefühl hatte, dass ihm etwas fehlt", rechtfertigt sich die junge Frau. "Aber dann hatte ich doch den Eindruck, dass er beim Redenlernen durch eine harte Schule geht." Wenn alles klappt, kann der Bub in vier Monaten Worte hören und in weiteren vier Monaten verstehen. Die Gebärdensprache bleibe natürlich weiterhin seine Erstsprache, betont Rubens Mutter. Aber eine große Hürde könnte fallen - "dass ich ihm die Welt einfach nicht in meiner Sprache erklären kann."

Diese Barriere wollten Sharon Duchesneau und Candace McCullough von vornherein vermeiden: Das gehörlose, lesbische Paar aus dem US-Bundesstaat Maryland versuchte anno 2001, mit dem Samen eines ebenfalls gehörlosen Spenders ein Kind zu zeugen, das wie sie in einer Welt ohne Geräusche aufwachsen würde. Kurz nach der Geburt erfuhren sie jene Nachricht, die sie zutiefst beglücken sollte: ihr Sohn war taub.

Der Fall des gehörlosen Wunschbabys sorgte auch in Österreich für Diskussionen. "Also mir wäre es egal, ob mein Kind gehörlos oder hörend ist", gebärdet Barbara Schuster, nachdem die Eltern-Kind-Spielgruppe mit einem Trommelwirbel geendet hat. "Hauptsache, es ist gesund."

Nähere Infos: www.kinderhaende.at

TAUBSTUMM BIS GEBÄRDENSPRACHIG.

Die österreichische Gebärdensprachgemeinschaft aus soziolinguistischer Perspektive. Von Verena Krausneker. alpha beta Verlag/DRAVA Verlag,

Klagenfurt 2006. 193 Seiten,

brosch., € 16,-

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