Google: Wer hat, dem wird gegeben

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GASTKOMMENTAR: Google muss wegen Anmaßung unrechtmäßiger Wettbewerbsvorteile eine Rekordstrafe zahlen. Bei der Debatte um die Marktmacht der digitalen Giganten bleibt die Frage der Daten-Macht auf der Strecke.

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GASTKOMMENTAR: Google muss wegen Anmaßung unrechtmäßiger Wettbewerbsvorteile eine Rekordstrafe zahlen. Bei der Debatte um die Marktmacht der digitalen Giganten bleibt die Frage der Daten-Macht auf der Strecke.

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Die EU-Kommissarin Margrethe Vestager verkündete letzte Woche die höchste Kartellstrafe in der Geschichte der Europäischen Union: 4,34 Milliarden Euro. Zu zahlen hat diese der Internetkonzern Google. Ihm wird vorgeworfen, dass er sich über sein Betriebssystem Android unrechtmäßige Wettbewerbsvorteile verschafft habe. Mit dem Betriebssystem, das auf den meisten mobilen Endgeräten weltweit läuft, sind automatisch Google-Anwendungen wie Karten- oder Übersetzungssoftware mitinstalliert.

Noch vor zehn Jahren war Android hinter Apples Betriebssystem iOS ein Newcomer. Den rasanten Aufstieg zum weltweit führenden mobilen Betriebssystem hat Android auch der Kultur des "Open Source" zu verdanken. Die Idee, dass Softwareentwickler aus der ganzen Welt gemeinschaftlich Produkte wie Android mitgestalten können, ist eine der großen demokratischen Errungenschaften des Internetzeitalters. In Brüssel ist man daher bemüht, die Strafe gegen Google nicht als Angriff auf die offene Firmenkultur des Konzerns zu verstehen. Vielmehr reift der Verdacht, dass es sich um ein politisches Statement in Richtung der USA, dem Heimatland der Google-Mutter Alphabet, handeln könnte. Während Washington und Peking sich in einer Abwärtsspirale in Richtung eines Handelskrieges befinden, wählt die EU einen Weg, um dem neuen Protektionismus von Donald Trump die Stirn zu bieten. Die Kartellstrafe kann als Mitgift für den Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Junker verstanden werden für seinen Besuch bei Trump am Mittwoch.

Konfrontationskurs

Beim Thema Steuern befindet sich die EU bereits seit Monaten auf Konfrontationskurs mit amerikanischen Internetfirmen. Die Steuern, die Google oder auch Facebook in Europa entrichten, stehen in keinem Verhältnis zu den Millionen von Nutzern, deren Daten die Unternehmen aus dem Silicon Valley seit Jahren höchst profitabel auswerten. Bisher scheint man in Europa angesichts dieses Dilemmas ratlos. Der britische Lösungsansatz einer "diverted profit tax", einer Steuer für Firmen, die keinen physischen Firmensitz im Vereinigten Königreich haben, zeigt wenig Wirkung. Googles Umsatz in Großbritannien sank nach Einführung der Steuer im Jahr 2015 genau so stark ab, dass die neuen steuerrechtlichen Eingriffe kaum zum Tragen kamen. Die Idee der digitalen Betriebsstätte, ein Vorschlag, der von Österreichs Regierung befürwortet wird, könnte eine Alternative zur "Google-Steuer" für Europa werden. Um national Gewinne zu erfassen, würde zukünftig keine physische Betriebsstätte, wohl aber eine Onlinepräsenz des Unternehmens als Voraussetzung ausreichen.

Ob und wie es der EU gelingt, sich auf Lösungsansätze zur Besteuerung von Internetkonzernen zu einigen, wird sich in den kommenden Monaten herausstellen.

Wer hat Macht über die Daten

Doch bei der Debatte um die Marktmacht und Steuervermeidung der digitalen Giganten bleibt eine mindestens ebenso dringliche Frage auf der Strecke: Wer hat die Macht über die Daten? Der digitale Wandel hat Märkte geschaffen, auf denen andere Gesetzmäßigkeiten herrschen, als es die Kartellhüter gewohnt sind. Digitale Märkte sind transparent und global vernetzt. Zum einen kann auf Onlinemärkten nahezu jeder Aspekt einer Dienstleistung bewertet werden. Es wird schnell klar, wer das beste Angebot bereithält.

Nutzer kennen diesen Aspekt von Vergleichsportalen beim Onlinekauf. Kein Konsument wählt einen Anbieter mit mittelmäßiger Reputation, wenn der Konkurrent mit Bestbewertungen aufwarten kann. Auf digitalen Märkten gilt: the winner takes it all. Ebenso spielt die Vernetzung digitaler Märkte eine große Rolle. Die Facebook-Tochter WhatsApp ist der weltweit beliebteste Nachrichtendienst. Ihren Erfolg verdankt sie den Netzwerkeffekten des digitalen Marktes. Je größer das Netzwerk von Nutzern wird, umso attraktiver ist es für Neukunden beizutreten. Ebenso macht es bei digitalen Angeboten, im Gegensatz zu physischen Produkten, kaum einen Unterschied, ob sie tausendoder millionen-fach verkauft werden. Algorithmen können endlos dupliziert werden. Die Natur des digitalen Marktes begünstigt die Entstehung von sogenannten "superstar firms". Einige wenige Unternehmen, die nahezu den gesamten Markt für sich erobert haben. Prominente Beispiele dafür sind Google, Facebook oder Amazon.

Gleichzeitig sind intelligente Algorithmen ein zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells vieler digitaler Superstars. Die lernenden Computerprogramme brauchen Nutzerdaten, um sich stetig zu verbessern. Sie ermöglichen es, den digitalen Dienstleistern immer bessere und auf den Kunden maßgeschneiderte Angebote anzubieten. Das vergrößert den Kundenstamm und schafft mehr Daten, die wieder bessere digitale Services möglich machen. Der Kreis schließt sich und das Matthäus-Prinzip des Datenmarktes wird erkennbar: Wer hat, dem wird gegeben. Die Marktmacht, die aus diesem Kreislauf entsteht, kann zu einem ernsthaften Problem für den freien Wettbewerb werden. Selbst wenn junge Konkurrenten eine innovative Idee haben, fehlen Ihnen die Nutzerdaten, um ihre Algorithmen zu "tunen". Nicht selten werden sie von den Giganten geschluckt.

Langsam werden die Stimmen gegen diese Vormachtstellung der Internetgiganten auch im politischen Establishment laut. Während der Anhörung vor dem amerikanischen Kongress im vergangenen April erinnerten einige Abgeordnete Facebook-Gründer Mark Zuckerberg an die traditionsreiche Geschichte in der Zerschlagung von US-Monopolen wie Standard Oil (1911) oder AT&T (1984). Jedoch bleibt fraglich, ob selbst dieser letzte Schritt der Zerschlagung nicht Auswirkungen am Datenmarkt zeigen würde. Selbst ein kleineres "Facebaby" oder "Googlein" könnte, ausgestattet mit der Macht von Millionen von Nutzerdaten, schnell wieder aus der Asche emporsteigen. Vordenker, wie die Internetwissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger und Thomas Ramge, schlagen daher eine progressive Datensteuer vor. Diese verpflichtet digitale Konzerne ab einer gewissen Marktmacht, Teile ihrer Nutzerdaten in anonymer Form mit Konkurrenten zu teilen.

Transparenz und Verantwortung

Wer die Macht über die Daten hat, hat die Macht über den Markt. Der Gesellschaft Daten als Rohstoff für Innovation verfügbar zu machen und gleichzeitig aber die Privatsphäre des Einzelnen zu schützen, ist eine der großen Herausforderungen des digitalen Zeitalters. Sie stellt moderne Demokratien auf die Probe und verlangt nach einer Erneuerung des sozialen Vertrags zwischen Bürger und Staat. Wie die Erneuerung des Vertrags gelingen kann, hat der kleine Baltenstaat Estland vorgemacht. Das estnische Modell steht für Transparenz und Verantwortung. Die Daten jedes Bürgers sind für den Staat frei einsehbar, ebenso aber auch wer darauf zugreift.

Darüber hinaus haben die Esten das Recht auf eine verständliche Auskunft und warum ein Zugriff erfolgte. Gleichzeitig bietet die Atmosphäre von Transparenz und Verantwortung Unternehmern und Wissenschaftlern die Chance, das Potential der Daten in größtmöglichem Umfang zu nutzen. Die Esten haben vorgemacht, wie man Freiheit schützt und gezeigt, dass der digitale Wandel keine Bedrohung, sondern eine Chance ist. Die Rekordstrafe dürfte Google jedoch ohnehin keine Kopfschmerzen bereiten. Google-Mutter Alphabet verzeichnete trotz der Höchststrafe im zweiten Quartal 2018 einen Gewinn von 3,2 Milliarden Dollar.

| Der Autor ist Mitarbeiter der Denkfabrik Agenda Austria|

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