Gordischer Knoten - salomonisch gelöst

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Keine klare Empfehlung zur Forschung an embryonalen Stammzellen, sondern bloße Erläuterung der Positionen: Die Bioethikkommission des Bundeskanzlers will dem Dilemma, in dem sie ohne Zweifel steckt, durch Zurückhaltung entfliehen.

Das "Schattenparlament" - so es jemals existierte - hat versagt. Monatelang wurde über die Zusammensetzung dieses Gremiums debattiert. Monatelang hatte man auf seine Empfehlung hingebangt. Und dann das: Vergangenen Mittwoch, den 8. Mai, präsentierte die Bioethikkommission des Bundeskanzlers ein sechsseitiges Papier, das so manche Politikerhoffnung zerplatzen ließ. Der Beschluss mit dem sperrigen Titel "Stellungnahme zu Fragen der Stammzellenforschung im Kontext des 6. Rahmenprogramms der EU im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des europäischen Forschungsraums (2002-2006)" hat sich keineswegs als jene bequeme Handreichung entpuppt, die sich die Verantwortungsträger insgeheim gewünscht hatten. Auf eindeutige Empfehlungen hat man vergebens gehofft.

Signierte Positionen

Dabei sollte von vornherein nicht die strittige Frage nach dem Status des menschlichen Embryos zur Debatte stehen, erklärt der Kommissionsvorsitzende Johannes Huber gegenüber der furche. Vielmehr war von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine ethische "Hilfestellung" für eine konkrete politische Herausforderung gewünscht: Sollte sich Österreich dafür aussprechen, dass aus dem EU-Fördertopf von insgesamt 16,3 Milliarden Euro bis zu 254 Millionen Euro in Forschungsprojekte fließen, bei denen Embryonen im Anfangsstadium vernichtet werden - oder nicht?

Schon bald wurde klar, dass auch in dieser Frage keine Einstimmigkeit zu erreichen war. Folglich rang sich das äußerst inhomogen besetzte Gremium zu einer salomonischen Lösung durch: Die 19 Mitglieder konnten jeweils eine der beiden unversöhnlichen Positionen "mit der ganzen Autorität ihres Namens" unterstützen, so Huber. Elf folgten der Position A, wonach die umstrittene Stammzellenforschung nach deutschem Vorbild unter strengen Kautelen zu fördern sei. Die anderen acht Experten folgten der Position B, die sich gegen die Förderung dieses Forschungszweigs aussprach.

Dem Strittigen stellte man freilich das Gemeinsame voran: So warnte man zu Beginn der Stellungnahme vor "übertriebenen oder voreiligen Heilungserwartungen", sei doch die Stammzellenforschung "noch ganz am Anfang". Auch auf die rechtliche Grauzone in Österreich wird hingewiesen: Zwar sei die Herstellung von embryonalen Stammzelllinien, nicht aber ihr Import verboten.

Einhellig begrüßt wurde die Entscheidung des Rates der EU, vorrangig die Forschung an adulten Stammzellen zu fördern - ebenso der Beschluss des Europäischen Parlaments, das reproduktive Klonen sowie die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken und die Veränderung des menschlichen Erbmaterials aus der Forschungsförderung auszuklammern. (Unter www.bka.gv.at/ bioethik ist der Text abrufbar ).

Die zweigeteilte Stellungnahme schien für die Bioethikkommission in zweifacher Hinsicht opportun: Zum einen wurde jeder Stimme im dissonanten Expertengremium - und nicht nur der Mehrheit - Gehör verschafft. Zudem konnte man schon prophylaktisch den Verdacht ausräumen, bloßes Erfüllungsorgan der Bundesregierung oder Feigenblatt biotechnologischer Fortschrittsgläubigkeit zu sein.

Die Sorge, vereinnahmt und instrumentalisiert zu werden, hatte so manches Kommissionsmitglied gequält. So hat etwa der evangelische Theologe Ulrich Körtner regelmäßig davor gewarnt - etwa auch in einem Gastkommentar für die Presse -, unangenehme politische Fragen kurzerhand zu ethischen zu erklären und an entsprechende Gremien zu delegieren, um ihnen in der Folge bequem den "Schwarzen Peter für unpopuläre politische Entscheidungen" zuschieben zu können. Diese Tendenz, Expertenkommissionen "als eine Art von Ersatz- oder Schattenparlament" einzusetzen, führe nicht zuletzt zu einer "Schwächung der repräsentativen Demokratie".

Derlei Risiko scheint nach der uneindeutigen "Empfehlung" vom 8. Mai gebannt. Der Ball, so viel ist klar, liegt nunmehr bei der Politik. Und es mehren sich die Stimmen, wozu denn eine Empfehlung gut sei, die letzten Endes wieder nichts empfiehlt. Ist der Sinn der Debatte nur die Debatte selbst? Johannes Huber quittiert diese Kritik mit einem Anflug von Resignation: "Man kann eben nicht über ethische Fragen abstimmen", stellt er klar. Und: "Wie man's macht, ist es falsch."

Politiker gefordert

Ratlosigkeit beschleicht indes auch die Politik. Bis zum nächsten Forschungsministerrat Mitte Juni muss die zuständige Fachministerin, Elisabeth Gehrer, Österreichs Haltung zum 6. EU-Rahmenprogramm formulieren. "Noch gibt es keine solche Position, sondern nur eine persönliche Position der Ministerin", stellt der Leiter der Forschungssektion im Bildungsministerium, Raoul Kneucker, gegenüber der furche fest. Die Ministerin habe sich jedenfalls bislang noch nicht entschieden, wie sie im Juni votieren werde. Dazu gebe es noch regelmäßige Gespräche im Ministerrat, so Kneucker.

Erleichtert hat das Votum der Bioethikkommission die ministeriale Meinungsbildung vermutlich nicht: Erst im vergangenen Dezember hatte Elisabeth Gehrer ihre grundsätzlichen Bedenken gegen die embryonale Stammzellforschung deponiert. Gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland und Italien hatte sie sich einer Protokollanmerkung angeschlossen, wonach die Forschung an überzähligen embryonalen Stammzellen nicht zu fördern sei. Nun, wenige Wochen vor dem fälligen Entscheid, sieht sich die Ministerin mit einer "Empfehlung" konfrontiert, in der doch die Mehrheit der Experten für eine liberalere Handhabung optiert.

In einem ähnlichen Dilemma befindet sich auch Infrastrukturminister Mathias Reichhold. Bereits seinen ersten Brüsseler Auftritt im März hatte der Newcomer dazu benutzt, die grundsätzlichen Bedenken Österreichs bei der Stammzellenforschung zu betonen. Und Reichhold wagte sich weit hinaus: Nicht nur die Forschung an embryonalen, sondern auch jene an adulten Stammzellen müsste beschränkt werden.

"Es ist den beiden Ministern unbenommen, ihre eigene Meinung zu formulieren", erklärt Ulrich Körtner, der in der Bioethikkommission für die begrenzte Forschungsförderung an embryonalen Stammzellen eingetreten ist. "Doch beide liefern überhaupt keine Begründung dafür." Ein "prinzipielles Nein" wäre jedenfalls auf europäischer Ebene wirkungslos, ist Körtner überzeugt. Auch wenn es in dieser Woche im EU-Parlament in Strassburg noch zur Zweiten Lesung und zur Abstimmung über das Forschungsrahmenprogramm kommt: Rat und Parlament, weiß Körtner, hätten sich schon längst auf eine gemeinsame Gangart verständigt. Nachdem es kein Veto-Recht gebe, müsste Österreich die getroffenen Entscheidungen in jedem Fall mittragen. Schließlich könnten sich auf Grund des Anti-Diskriminierungsgesetztes im EU-Raum auch Österreicher an solchen Forschungen beteiligen. "Wir haben über Jahre hinweg bestimmte Dinge verschlafen", kritisiert der Bioethiker und Theologe. "Und nun ist der Zug abgefahren."

Angst vor Präjudiz

Grundlegend anders schätzt sein Kommissionskollege Gerhard Luf die Lage ein. Der Wiener Rechtsphilosoph hatte sich gegen die Förderung embryonaler Stammzellforschung ausgesprochen. An der anderslautenden Position lässt er kein gutes Haar. "Bevor man überhaupt in Österreich umfassend diskutiert hat, nimmt man schon auf EU-Ebene eine pragmatische Stellung ein und schafft damit ein Präjudiz", kritisiert Luf. Auch die engen Grenzen, innerhalb derer die Anhänger der Position A eine Förderung embryonaler Stammzellforschung befürworten, hält er für nicht ausreichend. So bestehe etwa bei einer Stichtagsregelung, wie sie in Deutschland beschlossen wurde, ein "immanenter Druck Richtung verbrauchender Embryonenforschung".

Ähnlich besorgt zeigt sich auch der Innsbrucker Hämatologe Richard Greil. In der Forderung der Position A, dass nur "alternativlose hochrangige Forschungsprojekte" gefördert werden sollten, sieht er zudem einen Widerspruch in sich: "Um solche Differenzen zwischen adulten und embryonalen Stammzellen festzustellen, muss man eben beide untersuchen. Jede Forschung an embryonalen Stammzellen ist per se alternativlos."

Für bioethische Grundsatzdebatten ist also auch in nächster Zeit gesorgt. Bereits die einstimmige Empfehlung der Kommission zur Umsetzung der europäischen Biopatentrichtlinie vom März dieses Jahres hatte so manchen verstört. Doch die eigentlichen Stolpersteine - darunter die Novelle des 1992 beschlossenen Fortpflanzungsmedizingesetzes - stehen den ethischen Pfadfindern politischer und wissenschaftlicher Provenienz noch bevor. Es wird sich zeigen, ob auch dann noch salomonische Lösungen taugen.

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