"Gott ist die Freiheit lieber als der Gehorsam"

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Es müsste eigentlich im Interesse der Kirchenleitungen liegen, demokratische Entscheidungsmechanismen in der Kirche einzuführen.

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Es müsste eigentlich im Interesse der Kirchenleitungen liegen, demokratische Entscheidungsmechanismen in der Kirche einzuführen.

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Gehorsam bearbeitet eine Differenz, indem er sie in eine Richtung auflöst. Es ist die Differenz zwischen dem eigenen Willen und dem Anspruch fremder Willen auf mein Handeln, Denken, manchmal gar Fühlen. Diese Differenz ist mit der Pluralität menschlicher Willen unvermeidlich gegeben. Das Problem ist, wer, wann, wie und warum Anspruch auf Gehorsam erheben darf -oder gerade nicht.

Nun setzte schon die klassische Moderne den Einzelnen zunehmend frei gegenüber vielen Gehorsamverpflichtungen, die in vormodernen, ständischen Gesellschafen ganz selbstverständlich galten: die Bindungen an Beruf, Familie, Ort, Religion und, zuletzt, die Geschlechterrolle. Die Moderne setzt auf andere Steuerungsmechanismen, auf Recht, Geld und neuerdings elektronische Überwachung, setzt mithin auf den demokratischen Verfassungsstaat, den flexiblen Kapitalismus und die Möglichkeiten der digitalen Globalisierung. Diese drei Strategien haben eines gemeinsam: Sie lösen die Gehorsamsproblematik, indem sie versuchen, sie gar nicht erst auftreten zu lassen.

Kirchliches Gehorsamsmodell ist von gestern

Das Recht ist in demokratischen Staaten mehrheitlich beschlossen und grundsätzlich von allen anerkannt, also folgen wir uns selbst, wenn wir ihm folgen. Der Kapitalismus steuert nicht mehr über die Differenz von fremdem und eigenem Willen, sondern über die Steuerung des Willens selbst; er führt -oder verführt - den Willen der Individuen über konsumbasierte Glücks-und Statusversprechen. Und auch die globale digitale Überwachungsmaschinerie setzt an den Sehnsüchten nach kostengünstiger Dauerkommunikation und Runduminformation an, um die elektronischen Spuren unseres Verhaltens zu screenen, zu speichern und daraus Profit zu ziehen, oder Abweichungen vom Erlaubten frühzeitig zu erkennen.

Demgegenüber wirkt das herkömmliche Gehorsamsmodell der katholischen Kirche ein wenig von gestern. Aus gutem Grund: Es ist von gestern. Die neueren Steuerungsmechanismen stehen der Kirche schlicht kaum zur Verfügung. Das katholische Kirchenrecht ist ausdrücklich vor-demokratisch, die kapitalistische Steuerung über Geld und Wunscherfüllung, wie sie etwa manche evangelikale Pfingstkirchen ziemlich direkt betreiben, hat in der katholischen Kirche wenig (neuzeitliche) Tradition und die digitale Überwachungshoheit lässt sich der postmoderne Staat nicht aus der Hand nehmen.

Gehorsam war Ausweis des Katholischen

Dabei war Gehorsam gegenüber der kirchlichen Obrigkeit in der Neuzeit geradezu der Ausweis des Katholischen. Kompensatorisch zum Reichweitenverlust im modernen bürgerlichen Staat forderten die kirchlichen Obrigkeiten als einzig legitime Auslegungsinstanzen des Willen Gottes von den Katholikinnen und Katholiken den umfassenden Gehorsam des "Willens und des Verstandes". Pastoraltheologisch interessant daran ist, dass gerade die letzten Jahrzehnte wieder vom lehramtlichen Versuch geprägt waren, Gehorsam über formale Akte einzufordern, inklusive der Aufforderung, etwaige Abweichungen an die kirchlichen Obrigkeiten zu melden. Da die katholische Kirche in unseren Breiten nun aber realiter unter den Zustimmungsvorbehalt der Gläubigen geraten ist, reicht die Sanktionskraft solcher kirchlicher Gehorsameinforderungen kaum mehr über den Wirkungsbereich des Arbeitsrechts hinaus.

Außerdem ist ja nur zu deutlich: Wer Gehorsam einfordern muss, hat die Zustimmung bereits verloren. Ganz zu schweigen davon, dass zwei zentrale christliche Begriffe hier den Weg kreuzen: die Freiheit und das Gewissen. In einem biografisch orientierten Gespräch hat der Tübinger praktische Theologe Ottmar Fuchs darauf hingewiesen, dass es Gott offenbar "sehr wichtig" sei, "seine Schöpfung in die Freiheit zu entlassen."(R. Bucher/R. Krockauer, Es geht nichts verloren, Würzburg 2010,139). Gott lasse es sich "sogar das Böse kosten", um "uns nicht in die Marionettenabhängigkeit zu entlassen, sondern in die Freiheit." Gott sei die Freiheit lieber als der Gehorsam. Die letzte Aussage vom Kreuz her sei, dass alle bedingungslos von Gott geliebt sind. Das sei "die Quelle der christlichen Freiheit."(141)

Der Freiheitsbegriff nimmt das Risiko des Bösen auf sich. Das Gewissen aber soll helfen, dieses Risiko zu verringern. Es steht freilich selbst unter dem Risiko des Irrtums. Es kann Entscheidungen treffen, die sich im Nachhinein als unvertretbar herausstellen. Und dennoch: Der Anspruch des Gewissens bindet. Eine andere Instanz steht nicht zur Verfügung. Was sittlich richtig ist, welche Entscheidung ethisch verantwortbar ist, wird zugänglich nur durch die Vermittlung des personalen Gewissensurteils.

Wir sind aber natürlich auch verantwortlich dafür, wer und was unser Gewissen bildet. Spätestens jetzt ist für Christen der Glaube der Väter und Mütter im Glauben, also die Tradition, eine wirkliche Lernschule. Aber auch sie nimmt uns die letzte Entscheidung nicht ab, zuletzt, weil sie selbst in sich höchst plural bis zur Widersprüchlichkeit ist. Die katholische Tradition hat im Übrigen seit Thomas von Aquin und noch einmal mit dem II. Vatikanischen Konzil herausgestellt, dass auch das irrende Gewissen bindet. Gewissensentscheidungen nimmt uns niemand ab, auch nicht in kirchlichen und religiösen Angelegenheiten.

Kirche darf die Freiheit nicht nehmen

Nun sind Christen Menschen, die auf den Gott Jesu hören wollen. Auf dieses Hören auf den Gott Jesu sind alle in der Kirche verpflichtet. Gott aber hat sich in die Abhängigkeit von der Freiheit der Menschen gegeben und sich selbst in Liebe zu allen Menschen erniedrigt. Die Kirche als Institution ist nicht dazu da, diese Freiheit zurückzunehmen, sondern im Sinne des Gottes Jesu zu gestalten, und sie ist dazu da, gehorsam zu sein in seiner Hingabe an andere.

Was dieses Hören auf Gott hier und heute konkret aber bedeutet, das ist immer umstritten, kann gar nicht anders als umstritten sein. Es geht darum, wie dieser Streit geführt wird, wie dieser Streit heute, in Zeiten epochalen gesellschaftlichen und deshalb auch kirchlichen Wandels geführt werden sollte.

Kreativität ist notwendiger als Kontinuität

Zum einen gilt es auf allen Ebenen Orte der Überwindung der autoritären Vermachtung der kirchlichen Kommunikation zu gestalten: Orte reversibler, wertschätzender, nicht-direktiver, problem- und ergebnisorientierter innerkirchlicher Kommunikation, Orte, in denen gelernt wird, was es heißen könnte, hier und heute auf Gott zu hören. In radikalen Umbruchphasen von Gesellschaft und Kirche ist zudem Kreativität notwendiger als Kontinuität. Es gibt Christsein sowieso nur als Wagnis, das galt schon immer. Aber die Gegenwart zwingt die Kirche dazu, diese alte geistliche Erkenntnis als Prinzip ihres eigenen Selbstentwurfs neu zu entdecken.

Von den Nachfolgemechanismen des alten Gehorsamsprinzips sollte die Kirche dabei weder das Geld noch gar die Überwachung übernehmen, sondern das Recht in seiner menschenrechtlichen, demokratischen Variante. Es müsste eigentlich im Interesse der Kirchenleitungen liegen, demokratische Entscheidungsmechanismen in der Kirche einzuführen. Denn die Demokratie ist eine mittlerweile bewährte Herrschaftsform; sie ermöglicht Entscheidung und sichert Gefolgschaft selbst bei Dissens.

Zuletzt aber heißt christlicher Gehorsam schlicht, sich vom Gott Jesu und seiner Liebe zu allen Menschen führen zu lassen. Das ist bekanntlich schwer genug und dafür brauchen wir uns gegenseitig.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie an der Kath.-Theol. Fak. der Uni Graz.

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