"Gott sei Dank habe ich Geduld“

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Vor neun Jahren ist der Sozialarbeiter Emmanuel Chukwuka unter abenteuerlichen Umständen aus seiner Heimat Nigeria geflohen und in Wien gelandet. Heute hilft er (nicht nur) Polizisten dabei, ihre Vorurteile abzubauen und Menschen anderer Kulturen offen zu begegnen.

Irgendwo im Mittelmeer taumelt ein heillos überladener Fischkutter durch die Wellen. An Bord drängen sich Menschen, die von einer vagen Hoffnung auf ein besseres Leben getrieben sind, Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben - außer ihr Leben. Ein hoher Einsatz angesichts der düsteren Realität, die sie in Europa erwartet: Die meisten von ihnen werden wohl in überfüllten Auffanglagern landen, und diejenigen, die es bis nach Österreich schaffen, oft in Schubhaft hinter Gittern.

"Fluchtziel Europa jenseits vom Traum“ lautet der Titel jenes Films von Johanna Tschautscher, der das Schicksal Zehntausender afrikanischer Bootsflüchtlinge erzählt - und den Emmanuel Chukwuka gern zu Sensibilisierungszwecken zeigt: in Schulen, an Universitäten, in Seniorenheimen und besonders oft vor Polizistinnen und Polizisten. "Wir wollen die Bevölkerung darüber informieren, warum Menschen aus ihren Heimatländern flüchten“, erklärt der aus Nigeria stammende Sozialarbeiter im Büro des Vereins "Fair und sensibel. Polizei und AfrikanerInnen“ in Wien-Meidling.

Der Fall Omofuma

Im Jahr 2000 nach dem Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma gegründet, wollte man ursprünglich vor allem das zerrüttete Verhältnis zwischen Exekutive und afrikanischer Community verbessern. Doch mittlerweile, eingebettet in ein eigenes "Referat für Minderheitenkontakte“ der Bundespolizei Wien, geht es um "die Förderung eines fairen und sensiblen Umganges mit allen Mitmenschen“. Emmanuel Chukwuka ist als einer von fünf fix angestellten Zivilisten vor allem für den Brückenschlag zu Afrikanerinnen und Afrikanern zuständig: Er hält Sensibilisierungsworkshops, hilft als Mediator oder Übersetzer nach problematischen Amtshandlungen, trommelt im "Fair & Sensibel Music Project“, in dem Polizisten und Afrikaner gemeinsam musizieren - und wirbt mit Filmen für mehr Verständnis gegenüber Flüchtlingen. "Wenn mich die Leute nach der Vorführung fragen, erzähle ich aber auch gern meine eigene Geschichte“, ergänzt er schmunzelnd.

Es ist eine abenteuerliche, schlussendlich glückliche Geschichte, die Emmanuel Chukwuka von seinem Geburtsort Lagos hierher in die Wiener Hufelandgasse 4 geführt hat, wo er in trauter Hausgemeinschaft mit einer Polizeiinspektion arbeitet. 1972 als Sohn eines nigerianischen Ministerialbeamten geboren, wird der Soziologie-Student begeistertes Mitglied der Organisation MOSOP, die sich gegen den damaligen Militärdiktator General Abacha und für die Rechte des Volks der Ogoni im Niger-Delta einsetzt, das von exzessiver Ölförderung bedroht ist. Als MOSOP-Gründer Ken Saro-Wiwa 1995 hingerichtet wird, muss Chukwuka in den Benin fliehen, kehrt später wieder zurück und engagiert sich abermals - diesmal für die "Alliance for Democracy“, deren politischen Kopf, Michael Odafe, er als Assistent unterstützt. Doch die Lage wird immer dramatischer: Chukwukas Haus geht in Flammen auf, Pistolenschüsse treffen das Fenster seines Zimmers. Schließlich kämpft er sich mit Odafe nach Lagos durch - und landet am 14. April 2003 am Flughafen Wien-Schwechat. "Dass ich hier angekommen bin, war Zufall“, erzählt er. Michael Odafe habe die Flucht organisiert, sei aber unmittelbar nach der Landung spurlos verschwunden. Und so stand Emmanuel Chukwuka allein in einem fremden Land, ohne Sprachkenntnisse, ohne Geld, ohne Perspektiven.

Jahrelanges Warten auf Asyl

Wenn diese nette, alte Frau nicht gewesen wäre, die ihm einen Fahrschein gekauft und die Adresse des Bundesasylamts verraten hat - wer weiß, was aus ihm geworden wäre. Doch dank ihrer Hilfe fand der junge Mann nach und nach seinen Platz: Zuerst in einem Heim der Caritas, dann als Verkäufer der Straßenzeitung Augustin, dann als Straßenkehrer bei der MA 48 - und ab 2004 als Sozialarbeiter bei "Fair und sensibel“. Asyl wurde ihm bis heute nicht gewährt. Doch 2009, nach jahrelangem Warten, erhielt er endlich eine Niederlassungsbewilligung aus "humanitären Gründen“.

Vor Tausenden Menschen hat er seither referiert - und ihre Vorurteile zu entkräften versucht, dass Asylwerber aus Nigeria prinzipiell Drogendealer und Polizisten prinzipiell Rassisten seien. "Wir haben schon viel erreicht, aber hinter jeder Uniform steckt eben auch ein Mensch, und wenn die Belastung zu groß wird, kann man leicht überreagieren“ glaubt der 40-jährige, bekennende Optimist, der nach eigenen Angaben selbst nie mit rassistischen Übergriffen konfrontiert war. "Wie auch immer: Als Sozialarbeiter muss man geduldig sein. Und ich habe Gott sei Dank Geduld.“

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