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Grammelhofer: „Frauen arbeiten in prekäreren Beschäftigungsformen“

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Sechs von zehn offenen Stellen sind Zeitarbeitsjobs, sagt Thomas Grammelhofer von der Arbeitergewerkschaft Pro-Ge. Über Risiken für Arbeitnehmer, Hierarchien des Prekariats und fehlenden Gemeinschaftssinn.

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Sechs von zehn offenen Stellen sind Zeitarbeitsjobs, sagt Thomas Grammelhofer von der Arbeitergewerkschaft Pro-Ge. Über Risiken für Arbeitnehmer, Hierarchien des Prekariats und fehlenden Gemeinschaftssinn.

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Mehr Arbeit, weniger Absicherung: Mit der Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse sind zunehmend auch prekäre Jobs entstanden. Arbeitsrechtsexperte Thomas Grammelhofer von der Gewerkschaft Pro-Ge über prekäre Hierarchien, den Fall Hygiene Austria und faire Entlohnung.

DIE FURCHE: Flexibler, schneller, vielfältiger: Immer mehr Menschen arbeiten in sogenannten atypischen Verhältnissen. Und hier hat vor allem die Zeitarbeit stark zugenommen. Wie erklären Sie diesen Trend?
Thomas Grammelhofer: Der Trend besteht zunächst einmal vor allem darin, dass sich das Risiko zunehmend von den Arbeitgebern hin zu den Arbeitnehmern verlagert. Das, was unsere Vorfahren arbeitsrechtlich geregelt haben, also die Frage, ob ich gebraucht werde und Lohn bekomme, wird nun auf Arbeitnehmer übertragen. Zudem versucht die Wirtschaft etwa bei der Leiharbeit, also der Arbeitskräfteüberlassung, auszuweichen. Kein Wunder, denn diese ist von den atypischen Arbeitsformen jene, die rechtlich noch am besten abgesichert ist. So greifen Unternehmen, in Umgehung des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes, dann immer wieder zu Werkverträgen oder anderen Arbeitsformen. Da gibt es oftmals schlechtere Absicherung bei Urlaubsanspruch oder Entgeltleistung im Krankheitsfall. In den letzten Jahrzehnten ist vonseiten der Wirtschaft massiv gegen die bislang übliche typische Erwerbsarbeit vorgegangen worden.

DIE FURCHE: Innerhalb atypischer Arbeitsverhältnisse gibt es eine Hierarchie der Absicherung?
Grammelhofer: Ja, und was man nicht vergessen darf, ist, dass auch die Teilzeitarbeit dazugehört. Die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, meistens sind es Frauen, ist in den vergangenen 30 Jahren viel größer geworden. Einerseits sind die Betreuungsverpflichtungen noch immer „Frauensache“, und die entsprechenden Rahmenbedingungen fehlen; andererseits bieten viele Betriebe, etwa im Handel, nur mehr Teilzeitarbeitsplätze an. Es gibt aber auch Frauen, die freiwillig Teilzeit arbeiten wollen. Für mich ist immer die Frage wesentlich: Inwieweit können Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihre Situation selbst bestimmen? Und wann werden sie in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen, weil es einfach nichts anderes gibt? Die Teilzeitarbeit ist genauso gut abgesichert wie die Leiharbeit. Es werden Sozialabgaben geleistet, es besteht ein klar geregeltes Dienstverhältnis. Die Unsicherheiten in der Teilzeit liegen jedoch im geringen Einkommen, den meist geleisteten, unbezahlten Mehr- und auch Überstunden, die dann etwa mit Freizeit abgegolten werden, und in der drohenden Altersarmut. Die Unsicherheit bei der Leiharbeit hingegen besteht darin, nicht zu wissen, was morgen ist. Habe ich noch einen Einsatz? Habe ich noch einen Job? Wann kommt der nächste Auftrag?

DIE FURCHE: Welche Menschen sind das, die gezwungen sind, diese Jobs anzunehmen?
Grammelhofer: Die Grundsatzfrage ist: Wie komme ich zu einem Job? Wenn Sie heute zum Arbeitsmarktservice gehen und sehen, welche Jobs angeboten werden, dann sind sechs von zehn Jobs auf jeden Fall Zeitarbeitsjobs. Das Bild, dass Leiharbeiter meist schlecht qualifiziert seien, ist falsch. Zeitarbeit findet man auf allen Ebenen, in allen Wirtschaftsfeldern. Innerhalb der Zeitarbeit sind knapp 80 Prozent Arbeiter und nur 20 Prozent Angestellte. Auch das Verhältnis Männer und Frauen liegt bei 80 zu 20. Da schließt sich der Kreis zu dem schon zuvor Erwähnten, dass Frauen meist in noch prekäreren, schlecht bezahlten, atypischen Formen arbeiten. In der Arbeitskräfteüberlassung darf man keinen Teilzeitvertrag abschließen, wenn schon im Vorfeld klar ist, dass mehr gearbeitet werden muss. Im Handel ist so etwas jedoch üblich. Oder der Reinigungsbereich zahlt durch einen „schlechteren“ Kollektivvertrag weniger, als wenn die Reinigungskraft über einen Zeitarbeitsvertrag beschäftigt wäre. Da müsste sie nämlich für Vollzeitarbeit zumindest einen Mindestlohn von 1781,14 Euro erhalten. Und derzeit gibt es etliche Wirtschaftsbereiche, in denen man noch sehr viel verhandeln muss, um überhaupt die 1500 Euro zu erreichen.

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