Grenzgänger am Rubikon

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Keine Verschnaufpause beim Wettlauf um neue Biotech-Errungenschaften. Nunmehr ist es offiziell: Ein menschlicher Embryo wurde geklont. Immer dringender wird es daher, Grenzen zu ziehen. Aber wird man sich einigen können? Wie unterschiedlich die Standpunkte sind, zeigt das folgende Dossier, mit dem diese furche-Serie endet.

Die frohe Botschaft des "Journal of Regenerative Medizine" vom vergangenen Sonntag hatte es in sich: Erstmals und hochoffiziell sei es Wissenschaftern des Biotech-Unternehmens Advanced Cell Technology im US-Staat Massachusetts gelungen, einen menschlichen Embryo zur Stammzellengewinnung zu klonen. Dabei gehe es nicht um die künstliche Zeugung von Menschen, beeilte sich Firmenchef Michael West zu erklären, sondern um "die ersten vorsichtigen Schritte hin zu einer neuen Ära der Medizin."

Wie meist nach derlei Grenzüberschreitungen ging ein Sturm der Entrüstung durch die mediale Öffentlichkeit: Vatikanvertreter orteten eine "Niederlage der Menschheit". Das Weltgewissen müsse aufbegehren und solche Initiativen bremsen, appellierte etwa der Sekretär der Glaubenskongregation, Tarcisio Bertone. Auch US-Präsident George W. Bush, der noch im August grünes Licht für die öffentliche Förderung der Forschung an bereits existierenden embryonalen Stammzelllinien gegeben hatte, bekräftige sein Nein zum Klonen menschlicher Embryonen. Bereits im Juli hatte das US-Repräsentantenhaus ein entsprechendes Gesetz gebilligt. Nun hofft Bush auf einen positiven Entscheid des Senats.

Wie lange diese Regelungen mehr wert sind als das Papier, auf dem sie geschrieben stehen, ist jedoch eine andere Geschichte. Und von der kann Großbritannien dieser Tage manches erzählen: Just in jenem Land, das mit seiner limitierten Erlaubnis für "therapeutisches" Klonen im Dezember 2000 vorgeprescht war, eröffnete eine Gesetzeslücke dem reproduktiven Klonen - und damit dem umstrittenen italienischen Frauenarzt Severino Antinori - Tür und Tor. Ein diese Woche gebilligtes Eilgesetz gegen Klonen zu Fortpflanzungszwecken soll Antinori davon abhalten, wie angekündigt auf die Insel zu kommen und seine Träume zu realisieren.

Man könnte meinen, die Biopolitiker und -ethiker seien Rastlose, die wie im Wettlauf zwischen Hase und Igel immer schneller reagieren und dennoch stets zu spät kommen. Ist also die Ethik - wie es der Soziologe Ulrich Beck formulierte - tatsächlich nicht mehr als "eine Art Fahrradklingel am Interkontintalflugzeug des humangenetischen Fortflugs?"

Manches spricht dafür, nicht zuletzt die eingangs geschilderten Entwicklungen. Dennoch braucht es das Sturmläuten gegen biotechnologische Maßlosigkeit, das Sichaufbäumen der Denkerinnen und Denker gegen die normative Kraft des Faktischen. Gerade in dieser "Schlacht am Rubikon", bei der die Grenzen des ethisch Vertretbaren ausgefochten werden, offenbart sich das Menschenbild der Kombattanten.

Schreckgespenster

Wo liegen nun die Marksteine der Debatte? Nach der Initialzündung durch das CIBA-Symposium 1962 in London, bei dem zwei Dutzend Wissenschafter die molekularbiologische Utopie als beste aller Welten zu erkennen glaubten, war zweifellos die Rede von Peter Sloterdijk im Jahr 1999 eine der üppigsten Kontroversenquellen. Was der Karlsruher Philosoph mit seinen "Regeln für den Menschenpark" als Utopie entwarf, nämlich die Selektion des Menschen mit Hilfe bestimmter "Anthropotechniken", konnte freilich noch als fiktives Schreckgespenst abgetan und verurteilt werden. Ambivalenter gestaltete sich die jüngste Debatte, die vor allem um die Präimplantationsdiagnostik und embryonale Stammzellenforschung kreiste - wird doch beides schon praktiziert und mancherorts akzeptiert.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der eigenen dunklen Geschichte erreichte die bioethische Kontroverse in Deutschland eine besondere Tiefe. Ein erstes Kritikfeuerwerk löste im Mai dieses Jahres der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker, durch die Empfehlungen zum Import embryonaler Stammzellen aus. Der Rubikon, so die DFG, sei bereits mit der Einführung der künstlichen Befruchtung überschritten worden. Angesichts dessen sei es unrealistisch zu glauben, die Gesellschaft könne zum Status quo ante zurückkehren.

Durch die unvorhergesehene zeitliche Nähe wurde die Berliner Rede von Bundespräsident Johannes Rau als Antwort auf derlei Forscherpläne interpretiert (siehe Seite 17 dieser furche). In seiner vielbeachteten "Levitenlesung", einem Meilenstein der Kontroverse, forderte Rau einen Fortschritt nach menschlichem Maß. Die Würde des Menschen lasse sich gegen keinen anderen Wert aufrechnen. Schließlich gebe es "viel Raum diesseits des Rubikon." Die Antwort auf diese Grundsatzrede folgte im Juni durch den Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl (siehe Seite 15). "Menschsein" sei kein biologischer Begriff, sondern eine kulturelle Zuschreibung. Es sei gerade Aufgabe des Menschen, den Rubikon zu überschreiten, um sich stets neue Grenzen zu setzen. Schlussendlich schaltete sich auch Jürgen Habermas in die Debatte ein: In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Oktober warnte er vor der "Selbstinstrumentalisierung der Gattung". Es sei notwendig, "das Gewordene und das Gemachte" unterscheidbar zu halten.

Das Ringen um die Grenzen des Erlaubten hält bis heute an: mittlerweile weniger in den Feuilletons als in den nationalen Parlamenten und Ethikkommissionen, die vom Fortschreiten der Biotechniken - wie eben jetzt in Massachusetts - herausgefordert sind. Ihnen obliegt es tatsächlich, Grenzen zu setzen - wie die Gesellschaft insgesamt aufgerufen ist, ihr Bild vom Menschen zu klären. Denn ohne ein solches Leitbild bleibt die Frage nach dem Richtigen und Falschen zwangsweise offen.

Zum Thema

Die Genkontroverse. Grundposi-tionen. Mit der Rede von Joh. Rau. Von Sigrid Graumann (Hg.). Verlag Herder, Freiburg/Breisgau 2001, 192 Seiten, TB, öS 138,-/ e 10,03

Die Diktatur der Gene. Biotechnik zwischen Machbarkeit und Menschenwürde. Von Dietmar Mieth. Verlag Herder, Freiburg/Breisgau 2001, 155 Seiten, TB, öS 123,-/ e 8,94

Menschenmarkt. Die Humangenetik zwischen Utopie, Kommerz und Wissenschaft. Von Arnold Künzli. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek b. Hamburg 2001, 207 Seiten, TB, öS 145,-/ e 10,50

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