GRENZGANG zwischen Hilfe und Ausbeutung

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Schlepper sind in der Asyl-Debatte die Lieblings-Schurken von Behörden und Medien. Europa geht hart gegen sie vor. Aber wann wird Fluchthilfe zum Verbrechen?

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Schlepper sind in der Asyl-Debatte die Lieblings-Schurken von Behörden und Medien. Europa geht hart gegen sie vor. Aber wann wird Fluchthilfe zum Verbrechen?

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Im Zeugenstand sitzt jetzt Herr H., in blauem Hemd und strahlend weißer Hose. Die Beine, die darin stecken, wippen auf und ab. Herr H. ist nervös, wie jeder, der es nicht gewohnt ist, seine Stimme übers Mikrofon zu hören. Ein Telefonat, das er vor Monaten geführt hat, wird ihm vorgespielt. Es geht darin um 20 Euro, die er einem Burschen gegeben hat, der gerade aus Traiskirchen gekommen ist. "Für eine Telefonkarte", sagt er. "Warum haben Sie dieser Person geholfen?" fragt die Richterin den Angeklagten. "Der Mann, der mich darum gebeten hat, ist ein Freund von mir. Unsere Familien stehen sich seit Generationen nahe. Er hat mir auch schon oft geholfen."

Es ist ein düsterer Vormittag in Niederösterreich, an diesem 9. Oktober, dem 32. Verhandlungstag im Schlepper-Prozess. Seit März bemüht sich der Schöffensenat am Landesgericht Wiener Neustadt darum, herauszufinden, was an der Anklage der Staatsanwaltschaft gegen acht Asylwerber dran ist. Ihnen wird vorgeworfen, als Mitglieder einer kriminellen Organisation Menschen durch Österreich geschleust zu haben.

Erfolgreiche PR-Kampagne

Schlepper gibt es "vom kleinen, ungarischen Taxifahrer bis hin zum großen Netzwerk", erklärt Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle Menschenhandel im Bundeskriminalamt vor Journalisten. Es ist ein klarer Abend im Burgenland, an diesem 2. Oktober, an dem das Innenministerium Medienvertreter eingeladen hat, beim Einsatz gegen Schlepper zuzuschauen. An der österreichischungarischen Grenze werden Wärmebildkameras vorgeführt, am Grenzübergang Nickelsdorf LKWs kontrolliert. "Oft werden Barrieren gebaut, hinter denen sich Flüchtlinge verstecken", schildert Tatzgern. Er erzählt von Menschen, die unter Zellophan versteckt waren. Von Personen, die in Kühltransportern fast erfrieren.

Unter dem Titel "Operation Fox" sollen in nächster Zeit vermehrt Schwerpunktkontrollen im Grenzgebiet durchgeführt werden. "Die Aktion richtet sich nicht gegen schutzsuchende Menschen", betont Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck, "sondern gegen jene, die mit Menschenschmuggel Geld verdienen". Die Botschaft, die das Innenministerium senden möchte, ist klar: Wir greifen hart durch. Und: Wer Menschen, die keine gültigen Papiere haben, gegen Geld über die Grenze bringt ist ein skrupelloser Krimineller, der Geschäfte mit der Not macht.

"Die Öffentlichkeitskampagne, die das Innenministerium seit Jahren fährt, ist erfolgreich", resümiert Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschafter und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung (öge), der die Berichterstattung über Schlepper untersucht hat. Es ist ein sonniger Nachmittag in Wien, an diesem 13. Oktober. Die öge hat ins Gartenbaukino zu einem interdisziplinären Kongress geladen, in dem ein differenzierteres Bild gezeichnet wird, als es die üblichen Schlagzeilen vermitteln. Historiker und Soziologen, Juristen und Journalisten diskutieren über Fluchthilfe in Gegenwart und Vergangenheit (siehe rechts).

Keine Lobby für Fluchthelfer

Zurück ins Landesgericht Wiener Neustadt. Seit März nahm der Prozess viele Wendungen, die Angeklagten wurden aus der Untersuchungshaft entlassen, die Anklageschrift abgeändert. In der Hauptverhandlung muss nachgeholt werden, was eigentlich im Vorverfahren hätte geschehen sollen. Und so ackern sich eine Berufsrichterin, drei Schöffenrichter, drei Dolmetscher, eine Staatsanwältin, vier Anwälte, zwei Gerichtsschreiber und die acht Angeklagten durch 12.000 Telefonate, die über drei Monate von der Polizei mitgeschnitten wurden. Es geht darin um kleine Summen. Wurden mit den 20 Euro, von denen die Rede war, Mehl und Bohnen fürs Abendessen gezahlt? Waren sie das Schlepperhonorar? Hat H. mit den 150 Euro, die ihm ein Freund aus Griechenland geschickt hat, Schuhe und eine Hose für dessen kleinen Bruder auf der Durchreise gekauft, damit der etwas Frisches zum Anziehen hätte, wenn er seine Familie in Holland wiedertreffen würde?

H. ist müde, es fällt ihm schwer, die Augen offen zu halten. Frühmorgens trägt er Zeitungen und Prospekte aus, auch an Tagen, an denen er um neun im Schwurgerichtssaal sitzen muss. Er habe Leuten dabei geholfen, weiter nach Deutschland oder Italien zu fahren. Das sei ein Fehler gewesen, räumt er ein. Um große Summen ging es dabei nie. "Wir alle können nicht mehr zurück", sagt der Pakistaner in der Pause, "natürlich müssen wir einander helfen." Ist es ein Verbrechen, Mitfahrgelegenheiten und Zugtickets zu organisieren?

Wie niederschwellig das, was als "Schlepperei" kriminalisiert wird, oft abläuft weiß Andreas Schloenhardt. Der Strafrechtsprofessor der Universität Queensland, der auch das UNO-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung berät, forscht seit Jahren dazu und weiß: Die meisten, die als Schlepper tätig sind, waren selbst einmal Geschleppte. Das sei nicht überraschend: "Sie haben ein bisschen Know-How gesammelt und großes Interesse daran, anderen aus ihrem Umfeld, die in einer ähnlichen Situation sind, zu helfen. Das Bild von mafiaähnlichem Hintergrund, von Kartellen und Syndikaten, ist nicht mehr als ein Mythos". Dass der so weit verbreitet ist, erklärt Fritz Hausjell: "Fluchthelfer haben keine Lobby"

Tatsächlich ist aber jeder, der in Europa Schutz sucht, auf Fluchthilfe angewiesen, weil es keine legale Möglichkeit gibt, außerhalb der EU um Asyl anzusuchen. Das Dilemma, in das sich die europäische Politik dadurch manövriert, zeichnet Fabiane Baxewanos vom Institut für Staats- und Verwaltungswissenschaften der Universität Wien nach: "Man verfolgt zwei widersprüchliche Ziele: Einerseits will man Grenzen zumachen, andererseits Schlepperei bekämpfen. Dabei bedingt das eine das andere." Die derzeitige Einwanderungspolitik Europas fördere daher Schlepperei, anstatt sie zu bekämpfen, so ihr Fazit.

Die Politik reagiert jedoch mit Polizeieinsätzen. Unter dem Titel "Mos Maiorum"(lat.: die Sitten der Ahnen) findet seit Montag eine EU-weite Geheimoperation gegen Migranten ohne gültige Reisedokumente statt. Das geht aus einem internen Dokument der italienischen EU-Ratspräsidentschaft hervor, das die britische NGO Statewatch ins Netz gestellt hat. Die Behörden sollen Informationen über Schlepperwege sammeln, die dann von Geheimdiensten genutzt werden können, heißt es darin.

Die Grenzen des Strafrechts

Für den Juristen Andreas Schloenhardt steht fest: "Strafrecht schafft es nicht, Migration zu verhindern oder kontrollieren. Aber es bietet Regierungen eine billige Handlungsmöglichkeit, die sich relativ schnell umsetzen lässt, und von der Bevölkerung positiv aufgenommen wird."

Ob auch H. und seine Mitangeklagten diese populäre harte Hand zu spüren bekommen, steht wahrscheinlich bis 4. Dezember fest. Das ist vorerst der letzte Tag, der 43. in Summe, an dem er in Wiener Neustadt vorgeladen ist. Die Anspannung wird auch mit der Routine nicht weniger. Letzen Montag, am sonnigen Tag 33 auf der Anklagebank, brach er in Tränen aus: "Wenn Sie glauben, dass ich ein Täter bin, dann hängen Sie mich auf."

RECHTSLAGE

In Österreich

1990 schien Schlepperei erstmals als Delikt im Fremdenpolizeigesetz auf, das seither oft überarbeitet wurde. Österreich war damit eines der ersten Länder, die Schlepperei als Verbrechen ahndeten.

International

Außenminister Wolfgang Schüssel initiierte 1996 einen internationalen Staatsvertrag gegen Menschenschmuggel. Das daraus resultierende UN-Zusatzprotokoll wurde im Jahr 2000 verabschiedet.

In der EU

Der Europäische Rat beschloss im November 2002 eine Richtlinie, die die Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt definierte und 2004 in Kraft trat.

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