Große Gier nach dem Glücks-Kickasddasd

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Ekstase und Ausflippen gehören für viele zum Glück. Die Psychologin und Leiterin des Wiener Instituts für Lebensstil über die Gefahren und Folgen.

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Ekstase und Ausflippen gehören für viele zum Glück. Die Psychologin und Leiterin des Wiener Instituts für Lebensstil über die Gefahren und Folgen.

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dieFurche: Haben Psychologen eine Definition der Begriffe Glück und Unglück Gertraud Czerwenka-Wenkstetten: Wir können hier von keinem Schwarz-Weiß-System ausgehen. Die Wirklichkeit zeigt, daß es Zustände vollkommenen Glücks oder Unglücks nicht gibt. Die Graustufen sind unübersehbar. Glück ist eine subjektive Empfindung, die sich dann einstellt, wenn eine Ausgewogenheit zwischen Spannung und Entspannung gegeben ist. Glück entsteht auch dann, wenn Wollen und Können im Einklang stehen und wenn sich der Körper biochemisch in einem Zustand befindet, wo die Wohlfühlhormone, die Endorphine, das Melatonin und das Säftespiel so aufeinander abgestimmt sind, daß der Körper keine gröberen Mangelzustände hat.

Glück ist auch kein Zustand, sondern ein Vorgang, der sich in seiner Dynamik immer wieder aufs Neue einstellt. So bedeutet Glück für ein Kind sicher etwas ganz anderes als zum Beispiel für einen älteren Menschen. Glücklichsein heißt also nicht unbedingt frei sein von Leid oder Tod, es kann vielmehr auch die Fähigkeit sein, mit allen Belastungen des Lebens angstfrei umgehen zu können.

Angstfreiheit spielt immer eine große Rolle, auch im Hinblick auf das Vertrauen in die Zukunft, im Hinblick auf ein Freisein von Bedrohungen. Glück ist natürlich auch zutiefst verbunden mit dem Sinnerleben, mit dem Gefühl "ich habe hier auf der Welt meinen Platz gefunden, das was ich tue, hat Bedeutung und Wert". Unglück ist deshalb nicht notwendigerweise das genaue Gegenteil von Glück. Es ist vielmehr oft nur ein Leben ohne Höhepunkte. Das chronische Fehlen von Glück kann ein Leben sehr schal und öde werden lassen.

dieFurche: Welche Vorstellungen verbinden Durchschnittsbürger mit Glück?

Czerwenka-Wenkstetten: Die Vorstellungen von Glück sind bei sehr vielen Menschen auf der Haben-Seite anzutreffen, und weniger auf der Ebene des Seins. Gewisse Standards und Besitztümer, auch Partner die man "hat", und die Gewißheit, daß nahestehende Menschen gut versorgt und glücklich sind, stellen sehr maßgebliche Parameter dar. Ganz junge Menschen brauchen zum Glücklichsein heute oft große Extremsituationen wie Ekstase und Ausflippen-Können. Leider werden hier aber oft Wege beschritten, die gesundheitsschädigend sein können, weil sie zu einer Überforderung der Wahrnehmung führen. Hierher gehört zum Beispiel das Dauerberieseln durch den Walkman, ekstatische Lärmorgien oder natürlich auch Chemikalien, die den jungen Menschen vorübergehend in Ausnahmesituationen bringen können.

dieFurche: Gibt es Menschen, die für Glück/Unglück besonders "geeignet" beziehungsweise "ungeeignet" sind?

Czerwenka-Wenkstetten: Es gibt sicher Familien, die seit Generationen mit hängenden Schultern und Köpfen anzutreffen sind, wo man den Eindruck bekommt, daß hier Unglück bereits genetisch programmiert ist. Dann gibt es Familien, bei denen sicher in der Erbsubstanz schon eine Seratoninstoffwechselstörung vorhanden ist, der Hang zu Depressionen also vorgezeichnet scheint. Solche Schicksale muß man heute aber nicht mehr unerwidert annehmen, da es Maßnahmen wie Lichttherapie, Solidarisierung mit anderen Menschen, und jede Art der medizinischen Hilfe gibt.

Auch falsche Erziehungstraditionen können aus völlig gesunden Menschen verhaltensgestörte, glücksunfähige Menschen machen, die chronisch verstimmt sind und sich selbst und den anderen nichts gönnen. Wir erleben diese Muster sehr häufig in Familien, in denen Disziplin und Ordnung einen hohen Stellenwert haben, wo Liebeskontakte und Zärtlichkeiten kaum Platz haben.

dieFurche: Kann man eine Grenze ziehen zwischen körperlichem und seelischem Glück?

Czerwenka-Wenkstetten: Es gibt diesen Unterschied in der menschlichen Psyche so gut wie nicht. Es kann aber ein Anteil vorübergehend dominieren. Wenn man sich manche unglücklichen jungen Frauen ansieht, die ihre Unsicherheit, Verzweiflung und Einsamkeit in Eßorgien zu betäuben suchen, das heißt sich Augenblicke holen, in denen sie Unmengen von Futter in sich hineinstopfen und das Gefühl haben, "jetzt geht es mir gut" - um aber im nächsten Moment wieder zu "kippen", wie es in der Bulimie oder Anorexie der Fall ist.

Ebenso gibt es in der Sexualität die Möglichkeit, nur den Augenblick der sexuellen Entspannung anzupeilen, um anschließend Ekel oder schlechten Nachgeschmack feststellen zu müssen. Insgesamt gehen aber Körper und Psyche miteinander her, das ist auch gehirnphysiologisch gar nicht anders möglich.

dieFurche: Warum üben Glücksbringern immer noch Faszination aus?

Czerwenka-Wenkstetten: Diese Dinge haben sicher mit unseren mystisch-magischen Vorstellungen viel zu tun. Als Kind glaubt man, wenn man mit einem Kieselstein, der von einem lieben Menschen geschenkt wurde, unterwegs ist, wird einem nichts Böses widerfahren. Das ist ein Versuch, mit unseren kleinen menschlichen Kräften Glück zu erzwingen, gewisse Dinge dazu zu benutzen, es uns in der unheimlichen Welt "heimelig" zu machen. Schwarze Katzen, die nicht über den Weg laufen sollen, sind ein Beispiel für generalisierte Ängste, die entlastet werden sollen.

dieFurche: Peter Handke hat den Begriff vom "wunschlosen Unglück" geprägt. Gibt es nicht auch Menschen, die nur unglücklich ihr Glück finden?

Czerwenka-Wenkstetten: Es kann sein, daß manche Menschen sich selbst kein Glück gönnen, um nicht den "Neid der Götter" auf sich zu lenken, wie es Ganimed passiert ist.

Das Gespräch führte Angela Thierry.

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