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Bericht über meine fortgesetzten Versuche, deutsch zu sprechen.

In Rußbach am Paß Gschütt, dem kleinen Dorf im Tennengau, verstand der Lehrer aus dem 60 Kilometer entfernten Salzburg in den frühen 1960er Jahren seine Schüler oft nicht - und sie ihn ebenso wenig. Ich bin erst mit gut drei Jahren ins Dorf gekommen und konnte beide verstehen. Die Situation änderte sich natürlich, als dort Fernsehen empfangen werden konnte und regelmäßig deutsche "Sommerfrischler" kamen. Doch als diese radikale Veränderung eintrat, war ich schon wieder fort; so war ich 1962-66 ein sehr erfolgreicher Volksschüler.

In Salzburg hätte man mich ausgelacht mit meinem Dialekt, aber davor hat mich das katholische Gymnasium "Borromäum" bewahrt; dort waren alle Gebirgstäler vertreten, fast die Hälfte der Klasse kam aus Tirol, da konnte jeder sprechen, wie er wollte. Im Lauf der Jahre bin ich zu einem Salzburger Normalsprecher geworden.

Die Krise kam erst, als ich 1984 als Germanistiklektor nach Vilnius ging. Nicht dass ich nicht imstande gewesen wäre, einen hochsprachlichen Vortrag zu halten, den Nicht-Muttersprachler verstehen. Aber in der Freizeit und auch nach dem fünften Bier noch immer hochdeutsch zu sprechen und sogar ein so gutes österreichisches Wort wie "Depp" konsequent zu vermeiden, das war doch eine sehr künstliche Situation. Dafür musste ich begreifen, dass man "heuer" nicht kennt und "Sonnabend" den gesamten Samstag bezeichnet. Mit den Kollegen aus Berlin habe ich das "tschüss" lieb gewonnen. Dass mich der gestrenge Phonetiklehrer verflucht hat, weil die Studentinnen hörten, dass ich das meiste nicht beachtete, was er ihnen eingebläut hatte, erfuhr ich erst später.

Als Gartenzwerg in Berlin?

1990 moderierte ich meine erste Veranstaltung in Berlin. Am Podium fragte ich mich plötzlich, wie mein Deutsch hier wohl klänge, und hatte Angst, als gemütlicher alpenländischer Gartenzwerg zu erscheinen. Dass ich den Abend dennoch gut zu Ende führen konnte, verdanke ich der beruhigenden Zuwendung, die Sten Nadolnys Blick ausstrahlen kann.

Nach vielen Vorträgen und Moderationen in Deutschland konnte ich meine beklemmende Berlin-Erfahrung in einem Vortrag über österreichisches Deutsch in der Kleinstadt Königsberg in Unterfranken zur Sprache bringen - und habe dadurch erfahren, dass mancher Königsberger sich angesichts der Gefahr, in München als "Nordlicht" zu gelten, ähnlich fühlt.

Als Salzburger in Wien lebe ich wieder in der Fremde. "Dahoam" klingt hier zu provinziell, aber "daham" mag ich einfach nicht sagen - da bleibt mir nur, beides zu meiden und auf "zu Hause" auszuweichen. Ein "viertel sieben" werde ich jedenfalls nie über die Lippen bringen, und wenn ich "18 Uhr 15" sagen muss! Was aber in Wien wirklich komisch ist: die klare Spaltung der Menschen in eine demonstrative "Guten Tag"- und eine "Grüß Gott"-Fraktion. Und wenn Alfred Gusenbauer Angelika Merkel in Wien mit "Grüß Gott" begrüßt, weiß ich nicht, ob das den Wandel alter habitueller Vorurteile in der SPÖ oder österreichische Provinzialität demonstriert (oder beides zugleich?). Wenn die AUA ihre Gäste auf Englisch mit einem "Servus and good buy" verabschiedet, schäme ich mich jedenfalls.

Im österreichischen Hochdeutsch fühle ich mich wohl, aber den Dialekt meiner Kindheit kann ich nicht mehr fließend sprechen. Nur mit meiner Mutter probiere ich gelegentlich die alten Wörter, denn nach ihr werde ich sie mit niemandem mehr sprechen können. Und so sehr ich das "tschüss" in all seinen bundesdeutschen Varianten von "tschüssi" (Berlin) bis "tschüssle" (Schwaben) mag, weil es aus der Sprache enger Freunde kommt, so selektiere ich in Wien meine Gesprächspartnerinnen und-partner doch danach, von wem ich mich mit jenem Wort verabschieden kann, in dem ein Stück meiner frühen Jugend aufgehoben ist: "pfiat enk!"

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