Gut heiraten in der Ukraine

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Gesucht: Gefährte im Ausland. Vermittlungsagenturen boomen in der Ukraine.

Winniza, 350.000 Einwohner, eine zentralukrainische Gebietshauptstadt. Plattenbauten der Breschnew-Zeit, gelagert in eine stille Ebene riesiger Äcker. In der Ukraine kennt man Winniza allenfalls wegen seines Süßwarenkonzerns, und das auch nur, weil dessen Besitzer Petro Poroschenko der wichtigste Vertraute von Präsident Juschtschenko ist.

Winniza ist selbst für ukrainische Verhältnisse arm, und nichts blüht so sehr wie das Heiratsgeschäft. In der ganzen Ukraine sind es Hunderttausende, die "einen Gefährten im Ausland suchen" - so heißt das im Jargon der Heiratsagenturen. Da sich viele Frauen gleich bei mehreren Agenturen melden, ist die genaue Zahl unmöglich festzustellen.

Die Hälfte will weg

In der Schokoladefabrik von Winniza ist es die Hälfte der Belegschaft, die in den Westen heiraten will. Einige sind kaum aus der Schule, viele sind jung geschieden, haben Erfahrung mit Trinkern, andere haben bereits erwachsene Kinder und sehnen sich nach einem zweiten Frühling mit einem Deutschen, Italiener oder Amerikaner.

Den Strom der Heiratswilligen wird von mehreren Heiratsagenturen aufgenommen, die fast immer von Frauen geführt werden, von Ukrainerinnen wie Alla Jakimowskaja. Die hochgewachsene und energische Mittdreißigerin hat in den Neunzigern mit Gebrauchtwagen gehandelt, dann hat sie sich wie andere Kleinunternehmer in einer Hoteletage eingemietet und vermittelt seither Frauen. Die Geschäftsbasis ihrer Branche beschreibt sie so: "Alle Frauen wollen Stabilität. In der Ukraine gibt es kaum Männer, die das bieten können."

Allein in Winniza ist ein halbes Dutzend ernstzunehmender Agenturen aktiv. Die Chefinnen beäugen einander missgünstig und schwärzen einander gelegentlich auf schwarzen Listen an - dort werden Agenturen mit betrügerischen Praktiken aufgeführt. Auch Alla hat sich schon einmal auf einer solchen "Black List" gefunden, erzählt sie von sich aus. Sie schreibt es ihren Neiderinnen zu.

Mann gesucht

Es sind die Männer, die das Heiratsbusiness finanzieren. Angelockt werden potenzielle Kunden von Fotos der Heiratswilligen, die von den Agenturen ins Internet gestellt werden. Weil ohne diese Fotos gar nichts geht, beschäftigt Alla einen eigenen Fotografen, der für knapp fünfzehn Euro eine professionelle Serie schießt. "Wenn ein Mädchen schön ist, bezahle ich ihr die Fotosession", erklärt Alla unumwunden: "So ist das Geschäft."

Ein Großteil der Arbeit besteht darin, Korrespondenzen abzuwickeln. Nimmt ein westlicher Mann Kontakt mit einer Kandidatin auf, zahlt er für einen Briefwechsel von zwei bis drei Monaten 100 Dollar. Da die meisten Frauen von Winniza keine Fremdsprachen können, beschäftigt Alla einen kleinen Stab von Übersetzerinnen, die den anfallenden E-Mail-Verkehr übersetzen. Auch dafür kommt der Mann auf: Zwei Dollar für drei Kilobyte Text.

Die Übersetzerinnen sind ihre größte Sorge, sagt Alla, denn allzu viele seien ihr schon abhanden gekommen - anstatt brav zu übersetzen, lachen sie sich selber einen der Kunden an. Wie recht die Chefin hat, zeigt sich bereits im nächsten Moment, als sie für eine Minute das Büro verlässt. Da flüstert die junge Deutsch-Übersetzerin dem österreichischen Korrespondenten ein verschwörerisches "Psst!" zu und drückt ihm einen Zettel mit ihrer privaten Telefonnummer in die Hand.

Alla läuft zu ihrer Hochform auf, wenn ein Kunde nach Winniza kommt. Sie vermittelt ihm ein Appartement und bereitet bei Bedarf Blumen und Geschenke vor - "die Amerikaner würden sonst eine gerade Zahl von Blumen schenken." Für die Organisation eines Rendezvous nimmt die Vielarbeiterin 25 Dollar. Wenn ein Mann mehrere Frauen trifft, sinkt der Preis, ab fünf Treffen auf zwanzig Dollar.

Über die Beweggründe der Angereisten macht sich Alla keine Illusionen: "50 bis 60 Prozent der Männer haben eigentlich keine ernsthaften Absichten", schätzt sie. "Die wollen nur in verschiedenen Städten Frauen treffen. Manche stellen sich eine richtige Tour zusammen."

Europäisches Thailand

Es hat sich allerdings noch nicht herumgesprochen, dass ein großer Teil der interessierten Männer die Ukraine als eine Art europäisches Thailand betrachtet. Ein Gerücht ist in der Ukraine kaum auszurotten: "Westler sind verantwortungsbewusster als Ukrainer", glauben viele der befragten Heiratswilligen. "Die Feministinnen im Westen haben ihre Männer dazu erzogen, Frauen zu achten."

Gewiss speisen sich viele Hoffnungen aus der Armut, sonst wäre die Heiratsbranche in der reichen Hauptstadt Kiew nicht ausgetrocknet. Ein realistisches Bild haben in Winniza nur jene Frauen, die bereits Erfahrungen mit Ausländern gesammelt haben.

So die Mittfünfzigerin Antonina. Sie hat eine Ehe mit einem Alkoholiker hinter sich. Seit ihre Tochter glücklich verheiratet ist, will die gebildete Dame ein neues Leben beginnen, am liebsten im Ausland.

Über Allas Agentur hat sie einen gleichaltrigen Holländer kennen gelernt, der die Vorstellung vom goldenen Westen gleich einmal relativiert hat. Der Mann war arbeitslos und konnte ihr deshalb zunächst nicht einmal ein Visum besorgen. Er war sportlich, seine Psyche sei aber zerrüttet gewesen, erzählt Antonina. Er habe seine Kleider aus dem Fenster geworfen. "Ich habe den Eindruck, dass wenige normale Westler in die Ukraine kommen." Als das holländische Visum endlich ausgestellt war, hat sie es verfallen lassen.

Ein anderer Brautwerber, ein britischer Gentleman, hat ihr das Herz gebrochen. Er hat sie immer wieder mal auf gemeinsame Urlaube eingeladen, etwa nach Zypern, und kam auch manchmal nach Winniza. Dreieinhalb Jahre hat sie der wohlhabende Siebzigjährige mit Versprechungen hingehalten. Bis sie ihn einmal in der Kiewer Metro sah, mit einer anderen Frau. Er würde gerade in England mit alten Freunden jagen, hatte er ihr zu diesem Zeitpunkt geschrieben. "Die Männer fühlen sich hier wie im Supermarkt", konstatiert Antonina bitter. Sie sucht weiter, und sie sucht weiter nach Ausländern.

"Zivilisiert und kultiviert"

Die 35-jährige Violetta sagt von vornherein, dass sie dem "richtigen Mann" Untreue nachsähe, wenn er sie sonst achtet und wenigstens diskret betrügt. Die lebenslustige Frau im Tigerkostüm ist bereits zehn Jahre geschieden und hat einen zwölfjährigen Sohn. Der Vater des Kindes wohnt wieder bei seiner Mutter und zahlt keine Alimente. Er war gewalttätig, brach ihr einmal sogar die Hand, an ihrem Geburtstag, vor den Gästen ihrer Party. "Die Männer im Westen sind zivilisierter und kultivierter", meint sie. "Sie haben eine seriöse Einstellung zur Familie." Über eine andere Winnizer Agentur hat sie einen Deutschen kennen gelernt, einen 38-jährigen Mechaniker mit einer eigenen Werkstätte. Er hat ihr bereits einen Heiratsantrag gemacht, "zwischen uns gibts keine Barriere". Jetzt muss ihr Sohn entscheiden. "Mal will er, mal will er nicht. Er sagt, er mag die deutsche Sprache nicht, er mag Englisch lieber."

Ziel: Jung heiraten

In der Ukraine wird immer noch jung geheiratet, und wer mit 25 noch nicht unter der Haube ist, wird scheel angesehen. Junge Ukrainerinnen sind immer noch aufs Heiraten versessen, aber keine übertrifft an Entschlusskraft Jana. Seit sie von ihrer Mutter in ein Internat gesteckt wurde, hat Jana nicht mehr im Verband einer Familie gelebt. Damals war sie acht, und bereits mit vierzehn ist sie zu ihrem langjährigen Freund gezogen, einem zehn Jahre älteren Studiomusiker. "Er hat mich nicht geliebt", erzählt sie enttäuscht. "Dass er keine Kinder wollte, war ein Skandal."

Mit siebzehn hat sie ein Jahr lang Schachteln in einer Fabrik geschlichtet und dafür 70 Dollar bekommen, weniger als den ukrainischen Durchschnittslohn, der mittlerweile bei 200 Dollar liegt. Obwohl sie danach in einem Teehandel etwas mehr verdient hat, setzt Jana, seitdem sie neunzehn ist, auf einen anderen Lebensweg: "Ich will gut heiraten. Der Mann muss für die Familie sorgen können, Geld selbst interessiert mich nicht." Als sich ihr Musiker verweigerte, wandte sie sich an eine Agentur. Bald darauf hat Jana gelernt, wie gefährlich ihr die Heiratswut werden kann. Sie ließ sich von einem Schweizer, mit dem sie sich gerade einmal zwei Stunden unterhalten hatte, in dessen properes Zürcher Einfamilienhaus einladen: "Er hat gesagt, dass er mich heiraten will." Bereits am ersten Abend zeigt der gut aussehende Kleinspediteur sein wahres Gesicht. Er schreit Jana an, weil sie beim Duschen das ganze Warmwasser aufgebraucht hat.

Haushälterin gesucht

"Er hat bei Tisch gerülpst und sich am Sack gekratzt", beschreibt Jana den Moment, als sie sich innerlich gegen die Heirat entschieden hat. Sein Verhalten gibt ihr Rätsel auf: Er zeigt kein Interesse an Sex, macht sich aber abends fein und geht ohne sie aus. In Jana keimt der Verdacht, dass der Schweizer in ihr eine Haushälterin sieht, adrett und günstig.

Nach ein paar Tagen sagt sie ihm, dass sie zurück nach Hause will. Er will das nicht akzeptieren, versteckt das Rückflugticket. Bald kommunizieren sie nur noch per Zettel, doch oft versteht sie seine Zettel nicht.

Am Strand des Zürichsees trifft sie Landsleute, weint sich bei ihnen aus. Als sie am Abend nach Hause kommt, erwartet er sie bereits. Er schlägt sie, sperrt sie auf den Balkon hinaus. Nach zwei Wochen lässt er sie endlich gehen. "Ich kann von Glück reden, dass mich der Typ nach zwei Wochen gehen ließ. Mir war unheimlich in diesem Haus."

Zurück in Winniza, hat Jana über Allas Agentur einen neuen Mann gefunden: Jeff Ramirez, 30, aus Kalifornien. Ihn hat sie sich immerhin drei Tage lang angesehen, das war vor anderthalb Jahren. "Ein Jahr lang haben wir uns nicht gesehen. Jeff hat mir regelmäßig Fotos von dem Haus geschickt, das er für uns gebaut hat." Mittlerweile ist Jana in das kalifornische Haus eingezogen. Sie ist verheiratet, und sie ist schwanger.

Die meisten Kandidatinnen, die noch in der Ukraine warten, werden nie so weit kommen. Die Mehrzahl bringen es nicht einmal auf ein Rendezvous. Jana will über das Heiratsgeschäft nichts Kritisches sagen: "Ich bin froh, dass es die Agenturen gibt, denn ohne sie hätte ich Jeff nie kennen gelernt. Wann verirrt sich schon ein Ausländer nach Winniza?"

Die Ukraine holt aber wirtschaftlich auf, die Einkommen wachsen spürbar, und das Geschäft der Agenturen droht sich auszudünnen. Alla macht das keine Angst: "Dieses Business wird immer existieren, weil immer jemand jemanden suchen wird. Wenn bei uns der Lebensstandard steigt, werden vielleicht in zehn Jahren die Österreicherinnen ukrainische Männer suchen." Das Selbstbewusstsein in Allas Blick lässt keinen Zweifel zu: Sie hätte überhaupt kein Problem, auch daran wieder ordentlich zu verdienen.

Der Autor ist freier Journalist.

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