Werbung
Werbung
Werbung

Das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung hat den österreichischen Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen erforscht - und vor allem fehlende Flexibilität gefunden.

Endlich Klarheit in den Zahlendschungel bringen: Nicht mehr, aber auch nicht weniger haben sich Bernd Marin und das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung zum Ziel gemacht. Im Auftrag der Industriellenvereinigung hatten sie abseits aller ideologischen Gräben in der Diskussion um außerhäusliche Kinderbetreuung nach den tatsächlichen Bedürfnissen der Eltern bis zum Jahr 2015 geforscht - und ihre Erkenntnisse, die sie bereits im November des Vorjahres verlautbart hatten, nun in Buchform präsentiert.

Diffuse Zahlen

Die Suche nach realen Bedürfnissen war freilich kein leichtes Unterfangen, weiß Studienautor Michael Fuchs: "Schließlich produziert erst ein entsprechendes Angebot eine entsprechende Nachfrage." Zudem sei die außerhäusliche Betreuung von Kleinstkindern erst in den letzten Jahren überhaupt sozial akzeptiert worden. So nehme es auch nicht wunder, dass die genannte Zahl an österreichweit fehlenden Kinderbetreuungsplätzen - je nach politischer Beheimatung des Sprechenden - zwischen null und 650.000 changiert.

Die letztgenannte Summe würde laut Fuchs zumindest fehlen, um in Österreich schwedische Zustände bei der Betreuung aller Kinder bis 14 Jahren herzustellen. Doch auch die gemäßigteren Daten der Mikrozensus-Erhebung beweisen laut Fuchs, "dass die Nachfrage nach Betreuungsplätzen - trotz des massiven quantitativen und qualitativen Ausbaus des Angebots - noch gestiegen ist." Laut Fuchs, der selbst demnächst seinen Vaterschaftsurlaub in Angriff nimmt, würden bei den Unter-Dreijährigen zumindest 15.000 Plätze, bei den Kindergartenkindern bis zu 10.000 Plätze und bei den bis zu 14-jährigen Schulkindern 26.000 Plätze fehlen. Freilich sei gerade bei ihnen abzuwarten, wie sich die ab dem Schuljahr 2006/07 verpflichtende Nachmittagsbetreuung an den Schulen (ab einer Bedarfsmeldung von 15 Schülerinnen oder Schülern!) entwickle.

So groß die quantitative Lücke freilich auch ist: In Sachen Qualität und Flexibilität ist sie in jedem Fall noch größer. Vor allem die Kindergärten haben sich in der Bedarfsanalyse als Sorgenkinder entpuppt. "Knapp ein Drittel der österreichischen Kindergärten sperrt längstens um 14 Uhr zu", stellt Michael Fuchs fest. Auch die Zahl an Schließtagen sei im Sinne der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oft inakzeptabel hoch. "In Vorarlberg haben 15 Prozent der Kindergärten und über 30 Prozent der Kinderhorte mehr als drei Monate pro Jahr geschlossen", kritisiert der Studienautor.

Dies führe umgekehrt auch zur untragbaren Situation, dass 50.000 Kinder unter drei Jahren und 5.000 Kinder im Kindergartenalter trotz erwerbstätiger Mutter nicht außerhäuslich betreut werden. (Wie viele davon vom eigenen Vater bzw. von Großeltern versorgt werden, wurde in der Studie nicht festgestellt.)

Alles in allem Rahmenbedingungen, unter denen die viel zitierte Vereinbarkeit von Beruf und Familie oft unmöglich wird. Sehr zum Leidwesen der betroffenen Eltern - und der Industrie, die Österreichs Mütter (neben der Gruppe der Über-Fünfzigjährigen) als eine der größten, noch nicht gehobenen "Arbeitsmarktreserven" betrachtet. Dass immerhin 25.000 derzeit nicht beschäftigte Frauen mit Kindern eine Teilzeit-Arbeit anstreben und 25.000 weitere nicht oder Teilzeit beschäftigte Mütter sich einen Vollzeit-Job wünschen, passt ins Bild.

Die Wünsche der Wirtschaft gehen freilich noch weiter - und betreffen auch das Kinderbetreuungsgeld der Regierung, das bis Ende März erstmals evaluiert wurde. (Ob und wann die Ergebnisse der Evaluierung öffentlich präsentiert werden, steht noch nicht fest.) "Wir würden uns jedenfalls wünschen, dass die Bezugsdauer flexibler gestaltbar ist", meint Christian Friesl, Bereichsleiter Gesellschaftspolitik in der Industriellenvereinigung (IV). Dazu müsse es etwa möglich sein, diese Geldleistung kürzer - und entsprechend erhöht - in Anspruch zu nehmen.

"Optimal wäre es natürlich, die finanzielle Macht in die Hände der Eltern zu geben - etwa in Form eines Voucher-Systems mit Gutscheinen für Kinderbetreuungsleistungen", meint Friesl. Auch die Zuverdienstgrenze (derzeit 14.600 Euro pro Jahr) sollte fallen bzw. so umgestellt werden, dass zumindest 60 Prozent der vorangegangenen Arbeitsleistung (gemessen an der Arbeitszeit oder am Gehalt) neben der Kinderbetreuung möglich ist.

Nervöse Wirtschaft

Mindestens so notwendig wie bessere Rahmenbedingungen seien freilich Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, betont Christian Friesl - und hofft inständig, dass sein IV-Wunschpaket von der künftigen Regierung umgesetzt wird. "Als zukunftsorientierte Einrichtung werden wir ja immer etwas nervös, wenn wichtige Themen nicht rechtzeitig angegangen werden."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung