"Guter Mann, Sie sind auch schwanger!"

19451960198020002020

Seminare und Forschungenbeschäftigen sich vermehrt mit den Vätern vor, während und nach der Geburt ihrer Kinder.

19451960198020002020

Seminare und Forschungenbeschäftigen sich vermehrt mit den Vätern vor, während und nach der Geburt ihrer Kinder.

Werbung
Werbung
Werbung

Lange hat die Psychologie und die Soziologie den Vater vernachlässigt, ihm nur eine begrenzte oder indirekte Rolle bei der Kindererziehung und Persönlichkeitsentwicklung zugesprochen, besonders in den ersten Kinderjahren. Sigmund Freud gestand dem Vater nur als Objekt der ödipalen Phase der frühkindlichen Entwicklung Bedeutung zu, ließ sich jedoch nur wenig über die Handlungen und Gefühle des Vaters und ihre Wirkung auf das Kind aus.

Das begann sich in den sechziger Jahren zu ändern, als die Frauenbewegung den alten Berichten Margaret Meads über Gesellschaften, in denen die Männer die Kinder betreuten, neue Beachtung schenkte. Milton Kotelchuk unternahm die ersten konkreten Untersuchungen zur Beziehung zwischen Vätern und Kindern im Jahre 1970. Benjamin Spock revidierte seine Bibel der Kinderbetreuung 1974, indem er den Vätern mehr Platz einräumte und mehr Verantwortung übertrug.

Heute ist es ganz selbstverständlich, daß werdende Väter sich mit ihrem Vaterwerden und Vatersein auseinandersetzen. Die "Aktion Leben" begann vor zwei Jahren mit einem jährlich stattfindenden Seminar für "schwangere Männer" mit dem Titel "For men only". Die Gesprächsabende finden auch heuer wieder im April und Mai statt, weil sich Nachfrage und der Bedarf bestätigt haben.

In Gesprächsrunden von acht bis zehn Teilnehmern werden männliche Wünsche, Hoffnungen, aber auch Ängste und Unsicherheiten im Hinblick auf Vaterschaft thematisiert. Bildungsreferent Oliver Bruck (1996 selbst Vater geworden) sowie Erwachsenenbildner Gerold Porstner moderieren die Abende, an denen es um folgende Fragen geht: "Wie war/ist meine Beziehung zu meinem eigenen Vater?"

"Welche Möglichkeiten und Rechte habe ich als Vater?"

"Will ich bei der Geburt meines Kindes dabei sein?"

"Wie gestalte ich meine Vaterschaft?"

"Väterkarenz - ja oder nein?"

Wann wird man eigentlich Vater? Mit der Zeugung, mit der Geburt des ersten Kindes oder erst später, wenn ein Mann mit seinem Kind "etwas anfangen kann"? Im biologischen Sinn ist die Antwort klar: Sobald sich das weibliche Ei und die männliche Samenzelle vereinigen, werden Frau und Mann Eltern. Es gibt aber auch die "soziale Vaterschaft", die zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt beginnt, nämlich dann, wenn ein Mann sich selbst als Vater anerkennt beziehungsweise vor seinem Umfeld und von der Gesellschaft als solcher betrachtet wird.

Nicht nur viele Frauen, auch die meisten Männer erleben zu Beginn der Schwangerschaft ihres Kindes eher gemischte Gefühle. Sie werden sich einer gänzlich neuen Verantwortung bewußt, die auf sie zukommt. Es ist der Beginn eines neuen Lebensabschnittes, der nicht nur glücklich und froh, sondern oft auch unsicher und ängstlich macht. Das gilt für Männer genauso wie für Frauen, und ganz besonders für jene Männer die ihr Vatersein nicht nach den traditionellen Mustern leben wollen, sondern an sich selbst den Anspruch des "neuen Vaters" stellen.

Magische Vorstellung Daß auch Männer sich "schwanger" fühlen und intensiv Anteil an Schwangerschaft und Geburt nehmen, ist nicht ungewöhnlich. Gar nicht selten sind sogar körperliche Reaktionen des "schwangeren" Mannes, wie Zahnweh und Mundschmerzen weitverbreitet, ebenso Krämpfe, Durchfälle, Übelkeit, Gewichtszunahme, Heißhunger, Magen-Darm-Beschwerden, und nicht selten auch Stimmungsschwankungen - eine Parallele zu den Symptomen von Frauen im ersten Schwangerschaftsdrittel.

Interessant ist auch das Phänomen der "Couvade" (=Männerkindbett), das heißt, daß Männer während und nach der Geburt eines Kindes die Rolle der Wöchnerin spielen. Was Völkerkundler im südpazifischen Raum entdeckt haben, ist weltweit verbreitet: Männer simulieren dabei in dramatisch übersteigerter Weise eine Geburt. Damit wird die magische Vorstellung von einer besonderen Beziehung zwischen Vater und Neugeborenem verbunden.

Nichts zeigt den Einstellungswandel der Väter gegenüber Frauen und Kindern deutlicher als die Tatsache, daß immer mehr Männer die Geburt ihrer Kinder miterleben. Nach einer Gallup-Umfrage in den USA waren 1973 nur 27 Prozent der Väter bei der Geburt ihrer Kinder dabei, Ende der achtziger Jahre waren es bereits mehr als 60 Prozent. Für Österreich liegen keine statistischen Daten vor. Eine Nachfrage bei einzelnen Krankenhäusern ergibt jedoch ein ähnliches Bild: In der Wiener Semmelweiss-Frauenklinik sind rund 90 Prozent der Väter bei der Geburt anwesend. Ebenso hoch ist der Anteil im Krankenhaus Korneuburg, im salzburgischen Oberndorf beträgt er sogar 95 Prozent. Daß Männer bei der Geburt dabei sind, ist mittlerweile in praktisch allen österreichischen Spitälern möglich und wird von immer mehr Vätern in Anspruch genommen.

Dazu Oliver Bruck: "Viele junge Eltern erklären uns bei unseren Gesprächsabenden, daß sie die Umstellung, die das Leben mit einem Neugeborenen mit sich bringt, unterschätzt haben". Ein Baby im Haushalt, das mit seinen Bedürfnissen alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, kann auch ein eingespieltes Paar aus dem Gleichgewicht bringen.

Nach der Euphorie der Geburt folgen die "Fallen des Alltags". Manche Väter ziehen sich deshalb bald nach der Geburt wieder zurück, oder werden von angeblichen Experten auch zum Rückzug genötigt. Sie haben weder die passende Anleitung noch die praktische Erfahrung - von Rollenvorbildern ganz zu schweigen, - die ihnen in Augenblicken der Abweisung und Unsicherheit eine Hilfe wären.

Nach einer Studie in den USA leiden zwei Drittel aller Väter in der ersten Zeit nach der Geburt sogar unter dem sogenannten "Vaterschafts-Blues", das ist eine Phase der Schwermut und der latenten Enttäuschung."

Es werden von Fachleuten die ersten drei Monate mit dem Säugling auch als das "vierte Drittel" der Schwangerschaft bezeichnet, weil Mütter ihr Kind so behandeln, daß Väter den irritierenden Eindruck bekommen, das Baby sei immer noch Teil des mütterlichen Körpers. Gefühle der Eifersucht, des Ausgeschlossenseins sind da nichts Ungewöhnliches.

Verschüttete Trauer "Ich beobachte bei Vätern häufig, daß die Intensität der Mutter-Kind-Beziehung während der Stillzeit beim Vater eine längst verschüttete Trauer auslöst, die sich auf in der eigenen frühen Kindheit erlittene Versäumnisse seitens der Eltern bezieht", sagt Gerold Porstner. Der junge "neue" Vater sehnt sich aber nach uneingeschränkter, liebevoller Verbundenheit, die er selbst vielleicht nie gekannt hat. Es liegt an der Frau, wie gut und geschickt sie da ihr Kind und den Vater zueinander führt, damit echte und tiefe Beziehung entstehen kann.

Babys sind kontaktfähiger als man vermutet. Sie brauchen nicht nur die Mutter als Bezugsperson, sondern sehr wohl auch einen Vater, der versteht, die Signale seines Kindes wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. Wenn Väter ihrem Kind Zeit und Zuwendung schenken, entlasten sie damit nicht nur die Frau, sondern bereichern auch ihr eigenes Leben.

Feindliche Wirtschaft In Österreich besteht seit 1990 die Möglichkeit, daß auch Männer den Karenzurlaub zur Betreuung von Kleinkindern in Anspruch nehmen. Es liegt mehr an den für Männer überaus kinderfeindlichen Arbeitsbedingungen, als an grundsätzlich fehlender Bereitschaft, daß Karenzväter bis jetzt zahlenmäßig fast nicht ins Gewicht fallen: 1990 nahmen 83 österreichische Väter Elternurlaub in Anspruch. 1991 waren es 328, ein Jahr später 781. Als im Jahr 1993 das zweite Karenzjahr eingeführt wurde, stieg die Zahl der Karenzväter auf 920, die Tausendermarke (1.014) wurde im Jahr darauf überschritten. Die für das Jahr 1995 hochgerechnete Zahl liegt bei knapp unter 1.100. Gleichzeitig gab es rund 120.000 Karenzmütter in Österreich. Das bedeutet: In nicht einmal einem Prozent der Karenzurlaube sind es die Väter, die beruflich wegen ihres Babys zurückstecken. 1996 einigten sich die Regierungsparteien auf eine Verkürzung der Karenzzeit auf eineinhalb Jahre. Zwei Jahre soll es nur noch dann geben, wenn der Vater zumindest ein halbes Jahr davon übernimmmt.

Eine Studie von Professor Paul Zulehner über Österreichs Männer belegt ein Umdenken der Jüngeren hinsichtlich der Kindererziehung: "Wie sehr sich zwischen den Generationen ein Wandel abzeichnet, zeigt auch die deutlich höhere Bereitschaft junger Männer, für den Fall, daß ein Kind kommt, selbst das Karenzjahr zu beanspruchen." Mehr als 70 Prozent der Männer bis 29 Jahre könnten sich das vorstellen. Die Studie zeigt auch, daß das Bild vom eigenen Vater mehrheitlich als das eines "unzärtlichen Berufsmannes" ist. Zwei Drittel der befragten Männer haben ihren Vater in ihrer Kindheit nie weinen sehen. Ein Viertel ist überhaupt ohne männliches Vorbild aufgewachsen. Überraschend dabei ist die Tatsache, daß die Beziehung zu Vater und Mutter sich nicht nennenswert auf das Entstehen der Rolle des "neuen Vaters" auswirkt.

Anmeldung für die vier Abende "For men only" der Aktion Leben (1010 Wien, Dorotheergasse 6-8) ab sofort unter der Telefonnummer: 01/512 52 21, Fax: 01/513 98 40. Unkostenbeitrag für das ganze Seminar: S 240,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung