Guter Rat für Menschenrechte

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Die Debatte. Was nützt der Menschenrechtsbeirat?

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Die Debatte. Was nützt der Menschenrechtsbeirat?

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Zum Thema: Beirat für Exekutive. "Exekutive und Menschenrechte dürfen kein Widerspruch sein", erklärte Innenminister Karl Schlögl bei der Konstituierung des Menschenrechtsbeirates. In dieses Gremium - als Reaktion auf den Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma eingerichtet - wurden neben Vertretern des Kanzleramtes, des Innen- und Justizministeriums auch Delegierte von Caritas, Diakonie, amnesty, SOS Mitmensch und Volkshilfe berufen. Lob ("einzigartig in Europa"), Kritik ("zahnloses Alibigremium") und die Warnung vor "überzogenem Enthusiasmus" waren Reaktionen auf die Gründung. In der ersten Arbeitssitzung vergangene Woche einigte man sich darauf, daß Expertenkommissionen auch unangemeldet bei Polizei und Gendarmerie die Einhaltung der Menschenrechte prüfen. Diese Furche-Debatte lenkt den Blick auf die Chancen und Risiken des neuen Gremiums. WM URSULA KRIEBAUM UND WALTER SUNTINGER Die KritikerInnen haben Recht! Dennoch ist der Menschenrechtsbeirat ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung.

Die KritikerInnen haben Recht: Es ist eine typische Anlaßaktion, wenn es den tragischen Tod von Marcus Omofuma braucht, damit ein Menschenrechtsbeirat im Innenministerium eingesetzt wird. Schon seit Jahren besteht die Forderung von amnesty international und des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter, die Tätigkeit der Sicherheitsexekutive durch ein unabhängiges Gremium zu überwachen.

Die KritikerInnen haben Recht: Ein Menschenrechtsbeirat, der im Ministerium, dessen Beamten er zu kontrollieren hat, eingerichtet ist und vom Kooperationswillen des Ministers auch in finanzieller Hinsicht abhängt, kann ausgehungert werden.

Die KritikerInnen haben Recht: Ernennung und die Abberufungsmöglichkeit der Mitglieder durch den Minister entspricht nicht jenen Kriterien der Unabhängigkeit, die rechtsstaatlich wünschenswert wären. Da hilft die Weisungsfreistellung wenig.

Dennoch: Der Menschenrechtsbeirat ist ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Erstens: Erstmals existiert in Österreich ein Gremium, das ungehindert sensible Bereiche und Orte der Polizeitätigkeit untersuchen kann und nicht nur aus MitarbeiterInnen der Ministerien, sondern auch aus unabhängigen ExpertInnen besteht, die von nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen entsandt sind. Für Österreich ist dies eine kleine Sensation: Die Zeit des Mauerns, Abblockens und Intern-Beratens sollte damit vorbei sein. Die Ergebnisse der Arbeit werden öffentlich sein.

Zweitens: Der Menschenrechtsbeirat ist damit beauftragt, strukturelle Gegebenheiten der Polizeitätigkeit aus menschenrechtlicher Sicht zu analysieren. Klingt sehr spröde, heißt aber: Mißstände und Übergriffe sind nicht isolierte Einzelvorkommnisse, sondern haben Ursachen im System. Diese Ursachen sind aufzuspüren, zu analysieren und durch geeignete Vorschläge zu bekämpfen. Ein sehr sensibles Unterfangen, an dem sich nun VertreterInnen derer beteiligen, die unter den Auswirkungen leiden. Drittens: Der Menschenrechtsbeirat kann nicht nur beraten, sondern hat tatsächlich umfangreiche Möglichkeiten der Kontrolle. Er kann Vorwürfe von sich aus untersuchen und Polizeidienststellen besuchen, um Mißhandlungen und anderen Mißständen vorzubeugen; für europäische Verhältnisse durchaus fortschrittlich.

So die Ausgangslage. Ob der Beirat tatsächlich effiziente Arbeit leisten kann, wird aber von einer Fülle von Faktoren abhängen.

Im Menschenrechtsbeirat selbst: Die Zusammensetzung des Gremiums garantiert, daß Probleme aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden; dieses Potential ist zu nutzen und mit externer Expertise zu kombinieren. Wenn es gelingt, zu wirklich offenem Austausch unter den Personen zu gelangen und unaufgeregt menschenrechtliche Problemfelder der Polizeitätigkeit zu analysieren, können wesentliche Impulse für die Verbesserung der schwierigen, weil immer menschenrechtssensiblen Polizeiarbeit gesetzt werden. In diesem Punkt ist dem Minister zuzustimmen: Die Exekutive hat das (Kern)-Problem, entweder zu viel oder zu wenig zu tun; beides kann zu Menschenrechtsverletzungen führen. Deswegen bedarf es eines umfassenden, alle Facetten der Arbeit der Exekutive einbeziehenden Ansatzes; und dazu muß sich der Beirat geeignete Strukturen geben.

Im Innenministerium: Der Menschenrechtsbeirat hängt finanziell und infrastrukturell vom Ministerium ab. Soll kein Alibigremium entstehen, müssen die notwendigen Mittel vorhanden sein. An der Bereitschaft, die Empfehlungen umzusetzen, wird man den Minister messen. In aufgewühlten Zeiten gesprochene Worte müssen Taten im Alltag folgen.

In der Öffentlichkeit: Der Druck der Öffentlichkeit bewirkte die Einsetzung des Menschenrechtsbeirates in dieser Form. Die Medien müssen die Arbeit des Menschenrechtsbeirates begleiten und sicherstellen, daß sich weder Beirat noch Minister aus der Verantwortung stehlen.

Die Autoren sind Vertreter von amnesty international im Menschenrechtsbeirat.

VON TEREZIJA STOISITS Der Menschenrechtsbeirat ist nur die llusion unabhängiger Kontrolle. Was Österreich braucht, ist eine neue Menschenrechtskultur.

Der unlängst konstituierte Menschenrechtsbeirat droht, ein zahnloses Beschwichtigungsinstrument des Innenministers zu sein, da dem Beirat wesentliche Voraussetzungen fehlen, die unabhängige Kontrolleinrichtungen kennzeichnen. Schon der Name drückt aus, worum es sich handelt: Ein Beirat, der den Bundesminister für Inneres in Menschenrechtsfragen berät und ihm Verbesserungen vorschlägt.

Seit Jahren wird von internationalen Institutionen, wie zum Beispiel dem Antifolterkomittee des Europarates (CPT), der Europäischen Kommission gegenRassismus und Intoleranz (ECRI), Amnesty international (ai) sowie derVolksanwaltschaft der dringende Appell an Österreich gerichtet, eine unabhängige Kommission zur objektiven Untersuchung von Polizeiübergriffen und Menschenrechtsverletzungen einzurichten. Selbst nach dem Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma im Gewahrsam österreichischer Polizisten wird die notwendige Konsequenz der Einrichtung einer echten parlamentarischen Kontrollkommission zur Überprüfung der Arbeit der Sicherheitsexekutive nicht gezogen. Der Innenminister agiert nach dem Motto: "a bisserl untersuchen, a bisserl beraten, a bisserl empfehlen, aber nur nicht an die Wurzel gehen". Deshalb muß er sich auch den Vorwurf gefallen lassen, daß ein Beirat zur Untersuchung der Arbeit der Polizei, deren Mitglieder vom obersten "Polizisten" Österreichs allein bestellt und jederzeit wieder abberufen werden können, das Vertrauen in echte Unabhängigkeit vermissen läßt. Auch im Sinne der Gewaltenteilung darf die Kontrolle der Exekutive nicht bei der Exekutive selbst liegen.

Die Grünen fordern daher eine unabhängige Kommission ähnlich dem Rechnungshof mit umfangreichen Kompetenzen, die nicht dem Innenminister, sondern dem Parlament Bericht erstattet. Die Beschlüsse dieses Gremiums sollten - im Gegensatz zum jetzigen Beirat - bindenden Charakter haben und innerhalb einer bestimmten Frist von der Republik umgesetzt werden müssen. Nur so kann gewährleistet werden, daß die Erkenntnisse und Vorschläge betreffend Einhaltung der Menschenrechte im Polizeiapparat ernst genommen und umgesetzt werden, es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen eines Ministers bleibt.

Die Frage nach der Verbindlichkeit der Arbeit des Menschenrechtsbeirates ist eine weitere Schwachstelle. Dicke Berichte werden seit Jahren vorgelegt, in denen Menschenrechtsverletzungen aufgelistet sind. Diese Berichte sind dem Innenminister zwar bekannt, haben aber bisher zu keinerlei Konsequenzen geführt. Das hervorstechendste Beispiel ist ohne Zweifel der bereits im CPT-Bericht enthaltene Hinweis auf das Benützen von Klebebändern durch österreichische Polizisten. Doch wie dieser Fall beweist: Papier ist geduldig. Deshalb ist die Forderung nach verbindlicher Umsetzung von Vorschlägen zentral. Dieser Punkt wird vom Menschenrechtsbeirat nicht erfüllt, mehr als empfehlen kann er nicht.

Österreich braucht eine neue Menschenrechtskultur. In einem Land, wo es dem Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit so sehr am Grundrechtsbewußtsein fehlt, daß er die Klebefolter als "ein bißchen im rechtsfreien Raum" bezeichnet, ist es mit einem Menschenrechtsbeirat allein nicht getan. Es bedarf einer Polizeireform, die die Grund- und Menschenrechtserziehung in der Ausbildung etabliert, einer Änderung des Disziplinarrechts und der Schaffung eines Antidiskriminierungsgesetzes, das Opfern von rassistischer Diskriminierung Handhabe gegen das Unrecht gibt.

Minister Schlögl muß beweisen, daß er nicht nur gegen die "schwarzen Schafe" konsequent auftreten, sondern auch das Grund- und Menschenrechtsbewußtsein in der Exekutive etablieren will, damit es nicht mehr zu Menschenrechtsverletzungen und falschem Corpsgeist kommt. Dafür ist eine wirklich unabhängige Kontrollinstanz notwendiger denn je.

Die Autorin ist Abgeordnete zum Nationalrat, Menschenrechts-, Migrations- und Justizsprecherin der Grünen.

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