"Haben die historischen Lehren vergessen"

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Der stellvertretende UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Volker Türk, warnt vor entmenschlichter Sprache und Sündenbockmentalität.

DIE FURCHE: Herr Türk, wo sind Sie zum ersten Mal auf das Thema Menschenrechte gestoßen? Volker Türk: Ich erinnere mich gut, ich war 15, und wir haben im Englisch-Unterricht im Linzer Khevenhüller-Gymnasium einen Artikel über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gelesen. Mich hat das unglaublich berührt und fasziniert. Die Geschichte handelte von Jugendlichen in einem Entwicklungsland, die keinen Zugang zu Bildung hatten, obwohl es das Recht auf Bildung gibt. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit hat mich nicht mehr losgelassen.

DIE FURCHE: Als Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks sind Sie besonders mit dieser Diskrepanz konfrontiert.

Türk: Den Flüchtlings-und Migrationsbereich sehe ich als Brennpunkt, wo die Frage der Menschenrechte und die Folgen von weltweiten Ungerechtigkeiten fokussieren. Die Flüchtlinge erinnern uns, dass im Gegensatz zu unserem friedlichen Europa große Teile der Welt in Unruhe sind. Und sie fordern unsere Mitmenschlichkeit heraus, unser Herz, unsere Offenheit.

DIE FURCHE: In der "Zeit" war eine Gegenwartsanalyse mit "Die Rückkehr der Menschenfeindlichkeit" betitelt -übertrieben?

Türk: Ich sehe diese Gefahr durchaus. Es gibt die Tendenz, eine Sprache zu verwenden, die entmenschlicht, die kriminalisiert. Gerade im Bereich Migration und Flucht werden mit Begriffen wie Massen, Horden, Invasion Ängste geschürt und Sündenböcke definiert.

DIE FURCHE: In Europa, in Österreich sind die Asylansuchen stark zurückgegangen. Dennoch: Je weniger Flüchtlinge, umso aggressiver der Ton.

Türk: Das hat sehr viel mit politischer Manipulation zu tun. Das ist Teil der Innenpolitik, und man will das Thema auch künstlich aufrechterhalten. Natürlich sind Flüchtlinge eine Herausforderung, aber diese sollte man mit politischer Verantwortung, Nüchternheit und Sachverstand lösen. Wie mit Flüchtlingen umgegangen wird, ist auch ein Zeichen, wie wir mit uns als Gesellschaft umgehen, da muss man sehr aufpassen.

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