"Haft fördert Kriminalität"

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Ernst Walter Stummer muss es wissen: 30 von 65 Jahren sitzt Wiens "Einbrecherkönig" schon im Gefängnis.

Die Furche: Wie viele Jahre haben Sie in Gefängnissen verbracht?

Ernst Walter Stummer: Ich bin 65 Jahre alt, rund 30 Jahre meines Lebens bin ich gesessen.

Die Furche: Weswegen wurden Sie das erste Mal zu Haft verurteilt?

Stummer: Als junger Mensch war ich ein schneller Läufer, und ich dachte mir: Es wird mich keiner erwischen, wenn ich die Seitenauslage eines Elektrogeschäftes einschlage und mit den Transistorradios davonlaufe. Das war 1960. Es funktionierte, aber mein Schulfreund fladerte mir ein Radio und versuchte es im Dorotheum zu verpfänden. So kam ich zu meiner ersten dreitägigen Haft: Und weil ich trotz Arbeit in der Anstaltsbäckerei nichts verdiente, verlor ich meine kleine Wohnung und stand auf der Straße.

Die Furche: Und wie ist ihre kriminelle Karriere weiter gegangen?

Stummer: Ich entwendete Bierflaschen und kam wieder wegen Diebstahls drei Monate in Haft. Danach gab es aus dem gleichen Grund ein Monat, dann vier Monate, schließlich acht Monate...

Die Furche: Das Gefängnis war für Sie nie eine Besserungsanstalt?

Stummer: Dazu ist es ja gar nicht konzipiert. Das Gefängnis ist ein jahrhundertealtes Instrument zum Wegsperren und Verwahren. Und wie sollte ich mich ändern? Wenn ich aus der Haft mit einigen Schillingen entlassen wurde, musste ich wieder stehlen, um zu überleben. Ohne Unterkunft gab's keine Arbeit und was ich getan habe, war eher Mundraub im jugendlichen Unvermögen.

Die Furche: Was ist das Schlimmste im Gefängnis?

Stummer: Die größte Strafe sind die Mitgefangenen: Dem einen ist zu heiß, er reißt das Fenster auf, dem anderen zu kalt, er schließt es. Der eine ist Muslim, er breitet seinen Teppich aus, betet und wenn man über ihn drüber steigt, weil man zum Waschbecken muss, stört man seine Andacht. Dann gibt es die Pedanten, bei denen darf kein Brösel auf dem Tisch sein, andere produzieren dauernd Mist. Wieder ein anderer konzentriert sich auf sein Fernstudium, während der andere Krach macht, weil ihm fad ist. Einer hat Blähungen und pfurzt, der andere schnarcht...

Die Furche: Wie ist das Verhältnis der Häftlinge untereinander?

Stummer: Jeder Gefangene ist besser als der andere. Der Mörder sagt: "Ich habe noch niemand etwas gestohlen." Ein Räuber ist überzeugt, dass ein Kinderschänder das Letzte ist. Der Einbrecher kann sich mit einem Betrüger nicht anfreunden, weil er denen nicht trauen kann und so weiter.

Die Furche: Freundschaften entstehen im Gefängnis keine?

Stummer: Freilich gibt es auch manchmal Gefangene, mit denen man sich gut versteht - so dass man mit ihnen die nächste Hacken planen kann.

Die Furche: Apropos "nächste Hacken" - lernt man kriminelles Handwerk im Gefängnis?

Stummer: Als promovierter Student der Hochschule für angewandte Kriminalität im Gefängnis Stein wundere ich mich über die Justiz, die jetzt um Millionen Euro Containerzellen bauen will. Im Gefängnis lerne ich, wie ich richtig stehle, raube, morde... Haft fördert nur Kriminalität.

Die Furche: Was schlagen Sie statt Haftstrafen vor?

Stummer: Ich schätze, zehn Prozent der Häftlinge sind gemeingefährlich und müssen sitzen. Für alle anderen reichen Geldstrafen und Hausarrest mit elektronischen Arm- und Fußfesseln. Richter, die trotzdem weiterhin Haftstrafen aussprechen, sollten sich ihre Häftlinge mit nach Hause nehmen. Das wäre ein wirklicher Resozialisierungseffekt: für Häftling wie für Richter.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Ernst Walter Stummer sitzt noch bis Ende Jänner 2004 in der Justizanstalt Simmering. Neben seinen Kolumnen in der Straßenzeitung "Augustin" hat er ein rund 200-seitiges Skript über sein Gefängnisleben verfasst. Zu beziehen unter: 1190 Wien, Döblinger-Gürtel 21/4/5.

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