"Handel ist weder gut noch böse"

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Alexandra Strickner, Vorstandsmitglied und WTO-Expertin des globalisierungs-kritischen Netzwerks Attac Österreich, spricht über Welthandel und Rohstoffe.

Die Furche: Ist die Welthandelsorganisation (WTO) die Manifestation des Bösen in einer globalisierten Wirtschaft?

Alexandra Strickner: So einfach ist das nicht. Die WTO ist nicht das einzige Problem, da sie nur "ein" Ort ist, an dem Verhandlungen zur Liberalisierung des Handels geführt werden. Industrieländer schließen seit der Gründung der WTO exponentiell steigend auch bilaterale und regionale Handelsabkommen ab. Das ist eine Parallelstrategie zur Durchsetzung ihrer Interessen nach billigen Rohstoffen, billigen Arbeitskräften und Märkten. Der alleinige Blick auf die WTO als Ort des Bösen der globalisierten Wirtschaft greift daher zu kurz. Die wirklichen Akteure in dem System sind die Regierungen, die Handelsliberalisierung verhandeln und in die Form von rechtlich verbindlichen Verträgen gießen.

Die Furche: Die Doha-Runde geriet nicht zuletzt wegen der Einsprüche der Entwicklungs-und Schwellenländer, für die diese Gespräche eine Verbesserung hätten bringen sollen, ins Stocken.Was waren die Gründe?

Strickner: Spätestens seit der WTO-Ministerkonferenz in Hongkong im Dezember 2005 ist es klar, dass es den Industrieländern nur um eine weitere Liberalisierung des Handels, das heißt um die Öffnung der Märkte geht. Was wir schon immer befürchteten, dass die Doha-Runde wohl eher aus rhetorischen Gründen als "Entwicklungsrunde" bezeichnet wurde, liegt jetzt auf dem Tisch. Der gegenwärtige Stillstand ist eine Chance, die Diskussion über alternative Handelsregeln zu beginnen.

Die Furche: Was ist so schlecht am freien Warenverkehr? Hierzulande ruft uns Wirtschaftskammer-Präsident Leitl von den Plakaten zu, dass es uns gut geht, wenn es auch der Wirtschaft gut geht. Und Handel ist doch positiv für die Wirtschaft, oder nicht?

Strickner: Der Handel ist per se weder gut noch schlecht. Es geht vielmehr um das Problem, dass der freie Zugang zu Märkten zum Dogma erhoben wird, und keine anderen Gesichtspunkte, wie seine Auswirkung auf die Menschen, deren Arbeit und die Umwelt, zum Tragen kommen. Mehr Handel heißt nicht von vornherein mehr Wohlstand. Mit den heute bestehenden extrem konzentrierten Marktstrukturen, werden in erster Linie Bauern und Arbeiter weltweit zueinander in Konkurrenz gesetzt.

Die Furche: Die kleinen Akteure im internationalen Handel kommen also durch das Dogma freier Marktzugang unter Druck. Wer profitiert dann schlussendlich von der Welthandelsorganisation?

Strickner: Das Regelwerk, das im Rahmen der WTO verhandelt wird, bedient vor allem die Interessen der transnationalen Konzerne, die so zu billigen Rohstoffen, billigen Arbeitskräften und immer geringeren Umwelt-und Sozialkosten aufgrund sinkender Standards kommen. Zugleich sichern sie sich zum Beispiel über Patentrechte das private Eigentum an ihren Erfindungen, wie über das sogenannte TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property; Anm.). Konkret heißt das unter anderem, dass der Zugang zu leistbaren Medikamenten in Entwicklungsländern oft nicht möglich ist, weil die Erzeugung von Generika extrem erschwert wird.

Die Furche: Was meinen Sie mit billigen Rohstoffen?

Strickner: Die Liberalisierung des Agrarhandels hat zu einem Anstieg der gehandelten Agrarrohstoffe geführt, zugleich aber auch zu einem massiven Verfall der Rohstoffpreise. Der Grund dafür liegt zum einen in der Abschaffung von Instrumenten, die die Produktionsmengen beschränkt haben, wie beispielsweise die Rohstoffabkommen oder nationale Politikinstrumente wie Produktionsquoten. Zum anderen wird der Agrarhandel von einigen wenigen transnationalen Konzernen kontrolliert, die Preise und Konditionen auf Grund ihrer marktdominierenden Größe festsetzen. Cargill und ADM, zwei US-amerikanische Unternehmen, kontrollieren 75 Prozent des gesamten Handels von Getreide. Der massive Preisverfall ist vor allem für die Entwicklungsländer fatal, in denen 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung noch von der Landwirtschaft leben.

Die Furche: Ein großes Thema sind die Agrar-Subventionen. Würde eine Abschaffung nicht zu einer Verringerung der Produktion und somit zum Abbau von Überproduktion führen?

Strickner: Nein, sie führt in Ländern wie den USA oder der EU in erster Linie zu einer Konzentration der Produktion in den Händen von immer weniger Bauern und auch zu einer immer stärkeren Industrialisierung der Produktion - mit vielen negativen Umweltfolgen, wie Verlust der Biodiversität, enormer Wasserverbrauch et cetera. In Kanada zum Beispiel führte die Abschaffung aller internen Agrarsubventionen lediglich zu einer leichten Veränderung in dem, was angebaut wurde, und zur besagten Marktkonzentration. Die Abschaffung aller Subventionen und die Öffnung der Agrarmärkte als "Entwicklungsmodell" für den Süden ist eine Illusion. Das ist jedoch kein Plädoyer für die Beibehaltung der bestehenden Agrarpolitik im Norden, sondern für die dringende Rückkehr zu angebotsregulierenden Mechanismen. Und es geht auch darum, sich Lösungen für die Marktkonzentration zu überlegen.

Die Furche: Bis in die 1980er Jahre wurden die angebauten Rohstoffmengen über Abkommen geregelt, das hat wohl auch nicht funktioniert?

Strickner: Doch, sie haben funktioniert, wenn auch nicht perfekt. Die Rohstoffpreise waren weitaus höher und haben nicht so extrem geschwankt wie heute. Die OPEC ist ja auch nichts anderes. Würden wir das Steuersystem abschaffen, nur weil es immer wieder einige Ausreißer gibt? Die USA stieg aus den Abkommen aus, mit dem Gedanken einer Liberalisierung im Hinterkopf, um die Rohstoffpreise im Interesse der transnationalen Konzerne im "Agribusiness" und Lebensmittelsektor zu senken.

Die Furche: Warum ist Kanada ein Agrar-Musterland?

Strickner: Kanada hat zum Beispiel für Milch und Eier ein "Supply-Management-Programme" eingerichtet. Dabei wird die produzierende Menge regelmäßig ermittelt, das heißt Nachfrage minus dem, was über Importe ins Land kommt. Gemeinsam mit den Abnehmern wird der Preis verhandelt. Mehr als die berechnete nachgefragte Menge darf nicht produziert werden. Es gibt keine Überproduktion, und der kanadische Bauer erzeugt nur Waren für das Inland, zu einem Preis, von dem er leben kann.

Die Furche: Was haben die armen Bauern im Süden davon?

Strickner: Die Überkapazitäten aus dem Westen und Norden werden nicht zu billigen Preisen in den Süden verkauft und untergraben nicht den Markt der ohnehin schon ums Überleben kämpfenden Bauern. Ein wichtiges Element bei diesem System ist, dass der lokale Markt durch Zölle und Importquoten geschützt werden kann. Entwicklungsländer brauchen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation vor allem diese Instrumente, um ihren Bauern den Zugang zum eigenen Markt zu ermöglichen und sie vor unfairer Importkonkurrenz zu schützen.

Das Gespräch führte Thomas Meickl

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