"Handelsattaché in Kairo verschollen!"

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Während eines Frühstücks vor 40 Jahren beginnt in Kairo der Sechstagekrieg. Sechs Tage voll mit Falschinformationen folgen.

Montag, 5. Juni 1967, 8 Uhr früh: Vom Balkon meiner Wohnung im sechsten Stock in der Mahad Swissri Street in Kairo hatte ich einen schönen Blick auf den kaum 50 Meter entfernten Nil. Plötzlich flog ein Düsenjet im Tiefflug unter mir vorbei, das Flugzeug machte einen Sprung über die Nilbrücke, dann ein paar Sekunden später die mir noch aus dem zweiten Weltkrieg allzu gut bekannten Detonationen von Bombeneinschlägen im Süden von Kairo, dort, wo die Fabriken für Düsenflugzeuge und Raketen angesiedelt waren. Weitere Detonationen folgten. Erst jetzt heulten die Sirenen. Nun war klar: Der seit langem erwartete Krieg gegen Israel hatte begonnen.

Schon im Frühjahr des selben Jahres hatte ich ägyptischen Freunden gegenüber prophezeit, dass es noch in diesem Jahr zum Krieg kommen werde. Nassers Verstaatlichungspolitik hatte zu einer katastrophalen Wirtschaftssituation geführt. Der Staat war total verschuldet, die Bevölkerung ärmer denn je, selbst Grundnahrungsmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs waren Mangelware. Der Schwarzmarkt blühte, gepaart mit Angst vor dem totalen Überwachungsstaat. Was machte noch jeder Diktator in so einer Situation? Er trat die Flucht nach vorne in den Krieg an, um damit vom Desaster im Inneren abzulenken.

Zu Ostern 1967 konnte man auf der Wüstenstraße entlang des Roten Meeres in Richtung Hurgada in regelmäßigen Abständen Panzer unter Tarnnetzen, halb eingegraben im Sand, sehen. Bei näherem Hinsehen stellten sie sich als Attrappen heraus, gut imitiert aus Pappe und Holz, so wie die Raketen und Flugzeuge, die bei den Militärparaden mitgeführt wurden.

Am Samstag, den 27. Mai, titelte die französische Tageszeitung Le Progrès Egyptien: "Im Falle des zionistischen Angriffs werden wir Israel zerstören." Am selben Tag wurde auch in Algerien mobilgemacht. Neun Tage später hat Israel mit einem Überraschungsschlag am frühen Morgen den Krieg tatsächlich begonnen und in den ersten Stunden schon gewonnen. Denn der Flugplatz von Kairo und die übrigen ägyptischen Militärflugplätze sowie das gesamte fliegende Material am Boden waren in einer Stunde zerstört. Israel hatte ab Beginn des Krieges die Lufthoheit.

Keine Bombe auf Zivilisten

Am Montag des Kriegsbeginns erschien keine Tageszeitung. Eine telefonische Verbindung mit der Heimat war nicht möglich. Die Sirenen heulten den ganzen Tag, Luftschutzräume gab es nicht, Militär und Polizei verjagten die Menschen von den Straßen. Aber die israelischen Bombenangriffe verwendeten nicht eine Bombe für zivile Objekte.

Am Dienstag, Tag zwei, lauteten die Schlagzeilen in Kairo: "Der Krieg wurde durch Israel ausgelöst" - was genau genommen richtig war; dazu: "Israel hat am ersten Tag 163 Flugzeuge verloren" - was natürlich nicht stimmte. Die damalige österreichische Tageszeitung Express: "Schlacht um Israel an allen Fronten" - Syrien und Jordanien waren als Verbündete von Ägypten in den Krieg eingetreten, ebenso wie Algerien. In Kairo brach unter den deutschen und österreichischen Ingenieuren, die für Nasser an der Entwicklung von Raketen und Düsenflugzeugen arbeiteten, Panik aus. Sie sahen sich schon in israelischen Gefangenenlagern und suchten die Österreichische Botschaft auf, wo sie die Heimreise verlangten; davon konnte keine Rede sein. Der Botschafter selbst war mit Frau und drei kleinen Kindern nach Alexandrien aufgebrochen, um dort auf ein Evakuierungsschiff zu kommen.

Am Mittwoch wurde der Bevölkerung über die Medien erklärt, dass amerikanische und englische Flugzeuge den Israelis helfen würden, und so gestand man indirekt ein, nicht erfolgreich zu sein. Im Express war zu lesen: "Israelis konnten Panzerschlacht von Sinai für sich entscheiden." Aber da war auch in der selben Zeitung zu lesen: "Handelsattaché in Kairo verschollen!" Das war für die Eltern, Frau und Kind in Wien äußerst beunruhigend. Die auch für die Furche schreibende Journalistin Dolores Bauer wusste, wie solche Meldungen entstehen und klärte damals schnell auf. Der Redakteur der Meldung hatte in der Wirtschaftskammer angerufen und gefragt, ob man vom Handelsattaché Nachricht habe. Da man dies mangels Verbindungen verneinen musste, wurde er eben als verschollen bezeichnet.

Demoralisierte Ägypter

Am Donnerstag gab es in Kairo noch die Siegesmeldung, dass den Israelis von den Vereinten Arabischen Kräften schwere Verluste zugefügt worden seien. In Wirklichkeit waren die demoralisierten ägyptischen Soldaten auf dem Sinai ohne Wasser-oder Verpflegungsnachschub von den Israelis aufgerieben worden.

Am Freitag, dem fünften Kriegstag, hieß es, die sechste US-Flotte habe am Sinai eingegriffen und daneben stand, dass die Resolution des Sicherheitsrates zur Feuereinstellung angenommen wurde.

Am Samstag, sechster Tag des Krieges, bot Nasser seinen Rücktritt an, gleichzeitig sind, gut organisiert, tausende, laut ägyptischer Presse, hunderttausende, Menschen auf die Straße gegangen, um für den Verbleib Nassers zu demonstrieren. Und er blieb.

Zweiter Sieger UdSSR

Der Blitzkrieg, den Nasser vom Zaun gebrochen hatte, um von der katastrophalen und ausweglosen wirtschaftlichen Lage abzulenken, war zu Ende. Israel war zwar der große Sieger, es gab aber auch auf der ägyptischen Seite einen Gewinner: die Sowjetunion. Schon vor dem Krieg war Ägypten fest in russischer Hand: Der Assuan-Staudamm wurde von Russen gebaut, die Armee von Russen ausgebildet und ausgerüstet, Fluggeräte waren russischer Provenienz und tausende russische Experten waren mit ihren Familien in Kairo. Nach dem Krieg war Ägypten endgültig bankrott. Von nun an lebte Ägypten nur von Moskaus Gnaden, das bot die Chance, ein zweites Kuba im Nahen Osten zu errichten. Es begann ein Köpferollen in der Armee, in Russland ausgebildete Offiziere kamen an die Spitze. Für österreichische Flugzeugbauer in Heluan hieß es nach dem Besuch einer russischen Kommission, die sich über den technischen Stand des Werkes sehr amüsiert haben soll, Abschied nehmen.

Als nach sechswöchigem Schweigen Gamal Abdel Nasser eine Rede an die Nation hielt - "wir waren Opfer einer Täuschung durch die USA" - wurde er schon wieder begeistert gefeiert und viele Ägypter sagten: "Wir greifen Israel wieder an!"

Der Autor war Handelsdelegierter in Ägypten.

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