Musiktherapie: Heilende Töne für das kranke Herz

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An der Intensivstation des AKH in Wien gehört die rezeptive Musiktherapie im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Behandlung. Die heilende Wirkung von Musik gilt als erwiesen. Seit 1. Juli gilt das Musiktherapiegesetz. Und ab September werden an der Fachhochschule Krems die ersten Musiktherapeuten sechs Semester lang akademisch ausgebildet.

Den traumhaften Blick, der sich vom dreizehnten Stockwerk des AKH über Wien bietet, kann auf der internistischen Intensivstation kaum jemand genießen. Die meisten Patienten sind aufgrund eines Traumas oder einer schweren Krankheit durch starke Medikamente in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt und nicht ansprechbar. Die Monitore piepsen und klingeln unaufhörlich und überprüfen Herzschlag, Atmung und Sauerstoffsättigung im Blut der Patienten. Auch wenn die Ärzte und das Pflegepersonal auf der Station dem Patienten Gutes tun möchten – nicht immer kann das mit angenehmen Maßnahmen geschehen. Es werden Katheter gelegt, Spritzen gesetzt, und es wird umgebettet. Der Patient ist all diesen Prozeduren ausgeliefert und hat die Autonomie, selber zu entscheiden, abgeben müssen. Trotz Hightechmedizin und modernster Medikamente ist für den Intensivmediziner Prof. Klaus-Felix Laczika dies nicht unbedingt eine geeignete Atmosphäre für die Genesung eines schwerkranken Körpers. „Viele Intensivpatienten empfinden die Beleuchtung der Intensivstation wie die Flutlichter der Berliner Mauer und die Geräuschkulisse vergleichbar mit der auf der Süd-Ost-Tangente. Die Patienten befinden sich in einem körperlichen Ausnahmezustand, der Körper ist extrem gestresst“.

Seit rund eineinhalb Jahren gehört die rezeptive Musiktherapie auf dieser Station im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Behandlung. Ziel ist es, die lebensbedrohlich erkrankten Patienten über Musik auch in tiefen Schichten ihrer Persönlichkeit emotional zu erreichen und anzusprechen. Im Gegensatz zur aktiven Musiktherapie, bei der der Patient selbst ein Instrument spielt, wird bei dieser Form die Musik vom Patienten nur „passiv“ aufgenommen. Da das Hören und die Verarbeitung von Musik jedoch rezeptive Vorgänge sind, wurde der ehemalige Begriff „passiv“ durch „rezeptiv“ ersetzt. Man geht davon aus, dass das bloße Anhören bestimmter Melodien bereits heilsame Wirkung hervorrufen kann. Die Musik wird entweder vom Therapeuten gespielt oder von einem Tonträger wiedergegeben. Der Patient hat hierbei keinen Einfluss auf die musikalische Gestaltung.

Musiktherapeut Dr. Gerhard Tucek ist sich sicher, dass ein bewusstloser Patient noch lange nicht wahrnehmungslos ist. Tucek sieht Musik als „Fenster zur Seele“ und die Möglichkeit, auf einem nonverbalen Weg mit dem Kranken zu kommunizieren und mit ihm in Beziehung zu treten.

Der Gesang und die Klänge von Harfe, Laute und Gitarre sollen dem Patienten ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Durch das Eingehen des Therapeuten auf den Atemrhythmus des Patienten versucht er diesen in einen entspannten und angstfreien Zustand zu versetzen.

Um den persönlichen Kontakt zum Patienten aufzunehmen, begrüßt der Therapeut ihn mit Namen und berührt ihn an Armen und Beinen. Häufig haben Patienten, die sich im künstlichen Tiefschlaf befinden, die Orientierung im eigenen Körper verloren. Durch die persönliche Zuwendung und die Berührungen kann dem Patienten wieder ein wenig Orientierung gegeben werden. Die Wahl der Musik und des Instrumentes, wie auch die Art und Weise des Spiels trifft der Therapeut spontan und intuitiv aus der jeweiligen Situation heraus. Die Klangstrukturen und Rhythmen der Melodien sind einfach, nicht überladen und bestehen häufig nur aus einer harmonischen Abfolge von Tönen. Während der zehn- bis 20-minütigen Sitzung versucht der Therapeut somit seinen eigenen entspannten Zustand auf den Patienten zu übertragen.

Patienten, die sich auf dem Weg der Besserung befinden, wünschen sich dann häufig melodisch anspruchsvollere Stücke, oft auch Volkslieder, berichtet Gerhard Tucek. „Lange ertragen es die Patienten aber nicht. Häufig fehlt ihnen einfach die Kraft, komplexere Melodien zu verarbeiten und sich darauf zu konzentrieren.“

Musik wirkt, nur das Warum ist noch offen

Die genauen Wirkmechanismen der Musik auf den Menschen sind noch nicht geklärt. Dass Musik wirkt, kann allerdings durch Messung von physiologischen Parametern bewiesen werden. Die Veränderungen der Muskelaktivität, des elektrischen Hautwiderstandes, der Gehirnströme, der Atmung und Herzfrequenz sind Zeugnis für die Wirkung von Musik.

Das Herz eines gesunden Menschen reagiert auf äußere und innere Einflüsse und passt sich mit fein abgestimmten Veränderungen des Herzschlages an.

Das beschriebene Phänomen wird „Herzfrequenzvariabilität“ (HRV) genannt und beschreibt die Fähigkeit des Herzens, den zeitlichen Abstand zwischen zwei Herzschlägen je nach Anforderung zu variieren und laufend zu verändern. Diese Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ist charakteristisch für einen gesunden Organismus.

Das Herz soll wieder natürlich schlagen

Ist ein Mensch schwer krank und sein Körper in einem Stresszustand, so geht diese natürliche HRV verloren. Das Herz schlägt maschinell regelmäßig und mit starrer Frequenz.

Prof. Klaus-Felix Laczika ist überzeugt davon, dass nur in einem entspannten Zustand, in dem das Herz „unregelmäßig-gesund“ schlägt, die Reparaturmechanismen des Körpers greifen können und Genesung möglich ist. Um diesen entspannten Zustand zu erreichen, findet nun die Musiktherapie ihren Einsatz.

Klänge, Rhythmen und Musik sind tief verwurzelt in der Geschichte des Menschen. Im Alten Testament heilt David durch sein Zitherspiel König Saul von Depressionen. Auch in der griechischen Mythologie findet die enge Verbindung zwischen Musik und Medizin ihren Niederschlag. Asklepios, der Gott der Heilkunst, gilt als Sohn von Apollon, dem Gott der Künste. Schamanen der Vorzeit beeinflussten den Verlauf von Krankheiten mit Rhythmen und Klängen. Die Verknüpfung von Musik und Heilkunst besteht in allen Kulturen. Papyrusrollen aus dem Alten Ägypten geben Zeugnis von Musikpriesterinnen und dem Einsatz von Musik bei Geburten. Im Orient wurde die Musiktherapie in den Spitälern ab dem 9. Jahrhundert nach Christus regelmäßig als medizinische Hilfsdisziplin von eigens angestellten Musiktherapeuten eingesetzt. Im Mittelalter beschäftigten sich unter anderem Augustinus und Thomas von Aquin mit dem Thema Musik und Heilung. Damals war ein Studium der Musik notwendige Voraussetzung für ein Medizinstudium. Ab dem 17. Jahrhundert wurde die Bedeutung der Musik als therapeutische Maßnahme in der Medizin zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Die Medizin war stark naturwissenschaftlich ausgerichtet und man konnte sich die therapeutische Wirkung von Musik rational nicht erklären. Heute sind es gerade die modernen, wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden, die die Wirkung von Musik auf den Menschen untermauern.

Rett und Ringel standen am Anfang

In Österreich gewann die Musiktherapie vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung. Die Musiktherapie-Ausbildung, die damals an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien unterrichtet wurde, erfuhr besonders durch die klinische Unterstützung des Kinderarztes Andreas Rett und des Psychiaters Erwin Ringel internationales Ansehen.

Musiktherapie wird heute mit wissenschaftlich nachgewiesenen Erfolgen bei Psychosen, Depressionen und Angsterkrankungen, wie auch bei psychosomatischen Erkrankungen oder eingeschränkter Kontaktfreudigkeit eingesetzt. Ebenso kommt sie bei körperlich, geistig oder sinnesbehinderten Menschen, verhaltensauffälligen Kindern und bei maligne verlaufenden Krankheitsbildern zum Einsatz

Bis heute war die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie in Österreich gesetzlich nicht geregelt. Die Musiktherapeuten befanden sich in einer rechtlichen Grauzone und waren gezwungen, ihren Beruf innerhalb des Gesundheitswesens ohne berufsrechtliche Absicherung auszuüben. Am 1. Juli 2009 ist nun das „Musiktherapiegesetz“ in Kraft getreten, das dem bereits etablierten Berufsstand der Musiktherapeuten ein rechtlich solides Fundament verleiht. Es regelt unter anderem das Ausbildungssystem, die Qualitätssicherung der musiktherapeutischen Leistungen, die Formen und Voraussetzungen der Berufsausübung, die Führung einer Musiktherapeutenliste sowie die Schweige- und Dokumentationspflicht der Therapeuten. Durch dieses Gesetz ist der beruflichen Identität der Musiktherapeuten eine angemessene Stellung in dem Gesundheitswesen eingeräumt worden.

Die Autorin ist Biologin und Journalistin in Wien.

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