"Helfen, nicht strafen!"

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Seit 2006 wird der 21. März als Welt-Down-Syndrom-Tag begangen -in Anlehnung an das Chromosom 21, das bei Betroffenen dreifach vorhanden ist. Heuer fällt das Datum mitten in eine heftige Debatte über sogenannte "Spätabbrüche". Bisher ist ein Schwangerschaftsabbruch auch jenseits der ersten drei Monate (Fristenregelung) straffrei, wenn "eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde". Die Initiative "#fairändern" will diese Passage, die sie "eugenische Indikation" nennt, abschaffen, weil dies "eine deutliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen" sei.

Rund 60.000 Personen, darunter Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ), ÖVP-Behindertensprecherin Kira Grünberg und Wiens Kardinal Christoph Schönborn, haben die Petition unterzeichnet. Kritiker warnen indes davor, dass Frauen ihrer Autonomie beraubt und zum Austragen von Kindern mit schwerer Behinderung gezwungen würden. Peter Husslein, Vorstand der Universitätsfrauenklinik am Wiener AKH, meint zudem, dass sich die Zahl der Abbrüche diesfalls "verfünffachen" (Falter) bzw. "vervierfachen"(ZIB2) werde, weil auch jene Kinder "auf Verdacht" abgetrieben würden, deren pränatale Auffälligkeit sich derzeit nach der Dreimonatsfrist zerschlage. Was meint Aktion Leben Österreich, die sich seit jeher mit Schwangerschaftskonfliktberatung befasst, zu alledem? DIE FURCHE hat mit Generalsekretärin Martina Kronthaler gesprochen.

DIE FURCHE: Aktion Leben fordert anlässlich des Down-Syndrom-Tages, dass Eltern im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik "nicht allein gelassen werden" dürften. Was fordern Sie konkret?

Martina Kronthaler: Wir fordern schon seit Langem, dass Frauen und Paare besser beraten werden -und zwar schon bevor sie Pränatal-Untersuchungen angeboten bekommen. Derzeit erhalten sie zwar sehr viele ärztliche Informationen, auch weil die Ärzte Angst vor Klagen haben, aber Informationen und Beratung dahingehend, was vorgeburtliche Tests überhaupt leisten können - und vor allem, was man selber überhaupt wissen will und welche Werthaltungen man hat, das gibt es kaum. Die aktuelle Überarbeitung des Mutter-Kind-Passes wäre eine riesige Chance, einen verpflichtenden Hinweis auf jene unabhängigen psychosozialen Beratungseinrichtungen vorzusehen, die es längst gibt, die aber noch zu wenig bekannt sind.

DIE FURCHE: Sie fordern auch ein sorgsames Umgehen mit dem neuen Bluttest (NIPT), der relativ früh genetische Auffälligkeiten feststellt. Befürworter betonen, dass damit das Abort-Risiko bisheriger Fruchtwasserpunktionen (ein bis zwei Prozent) wegfällt. Kronthaler: Das ist richtig. Aber die Frage ist auch, was solche Tests generell bedeuten. Sie sind auch ein großes Geschäft und schaffen entsprechende Nachfrage, ohne Reflexion darüber, was das für unsere Gesellschaft -etwa konkret den Umgang mit Menschen mit Down-Syndrom -bedeutet.

DIE FURCHE: Schon jetzt werden kaum noch Kinder mit Down-Syndrom geboren. Gibt es konkrete Zahlen über die Abbruchquoten?

Kronthaler: Nein, und damit sind wir bei einer zentralen Forderung von Aktion Leben: In unserer Bürgerinitiative "Fakten helfen!" fordern wir endlich eine anonymisierte Statistik sowie eine Erforschung der Motive für Abbrüche. Es wird zwar kolportiert, dass rund 90 Prozent aller Kinder nach Diagnose Down-Syndrom abgetrieben werden, aber wir wissen es nicht.

DIE FURCHE: Eine Statistik fordert auch "#fairändern". Wie steht Aktion Leben zu dieser Initiative?

Kronthaler: Die Forderung nach einer Statistik und Motiverforschung hat diese Initiative von uns übernommen -wobei wir mit "Fakten helfen!" weiter an diesem Anliegen dranbleiben. Wir haben auch immer die Forderung von Behindertenorganisationen nach einem Ende der Diskriminierung unterstützt. Doch die Abschaffung der "eugenischen Indikation" war keine Forderung von uns. Auch die Art, wie derzeit über ein Verbot von Spätabtreibungen diskutiert wird, halten wir für unglücklich. In Deutschland wurde die embryopathische Indikation vor Jahren abgeschafft,aber Frauen und Paare können weiterhin im Rahmen der medizinischen Indikation entscheiden, ob sie ein Kind mit Behinderung bekommen oder nicht. Es geht nur offiziell nicht mehr um eine etwaige Schädigung des Kindes, sondern darum, ob diese Schwangerschaft "eine schwere Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren" bedeutet. In der Praxis hat sich aber nichts geändert. Das würde es auch bei uns nicht.

DIE FURCHE: Und was ist mit der Sorge von Peter Husslein, dass sich die Abbruchzahlen vervielfachen würden?

Kronthaler: Das wäre der Fall, wenn die gesamte medizinische Indikation gekippt würde (s. u.), nur das wird nicht gefordert. Uns fehlt generell Differenzierung, vieles ist spekulativ. Umso mehr fordern wir, mit einer Statistik Klarheit zu schaffen. Wir wollen keine Änderung der Fristenregelung und keine neuen Verbote, sondern auf Basis von Fakten präventiv und unterstützend tätig sein. Zugleich müssen wir aber auch über den Stellenwert von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft nachdenken. Bis jetzt gibt es nicht einmal eine zentrale Anlaufstelle für Frauen und Paare, die ein behindertes Kind erwarten. Das von der Regierung versprochende One-Stop-Shop-Prinzip fehlt, von Unterstützung in Kindergärten, Schule sowie Entlastung im Alltag nicht zu reden. All das sind Signale, die Eltern von vornherein vermitteln: Bekommt dieses Kind lieber nicht! Hier brauchen wir grundlegende Verbesserungen.

HINTERGRUND

Die Gesetzeslage

Laut §97 StGB ist ein Schwangerschaftsabbruch straffrei, wenn er 1. innerhalb der ersten drei Monate vorgenommen wird (Fristenregelung); oder 2.,"wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist"(medizinische Indikation) oder wenn "eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde". Letzteres wird meist als "embryopathische" oder (wertend) "eugenische Indikation" bezeichnet. (dh)

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