"Heute wird nichts mehr vertuscht"

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Professor Viktor Pickl, Wiener Patientenanwalt, über die Erfolge seiner nun siebenjährigen Tätigkeit.

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Professor Viktor Pickl, Wiener Patientenanwalt, über die Erfolge seiner nun siebenjährigen Tätigkeit.

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dieFurche: Sie sind seit sieben Jahren Patientenanwalt in Wien. Warum beschäftigen Sie sich so eingehend mit Qualitätsmanagement?

Viktor Pickl: Ein Patientenanwalt beschäftigt sich zwangsläufig mit Qualität in der Medizin. Denn pro Jahr kommen rund 7.000 Patienten wegen Beschwerden, Mängel, Mißstände im Gesundheitsbereich und Medizinschäden erstmals zu mir. Eine wesentliche Aufgabe des Patientenanwaltes ist es, darüber nachzudenken, was man hier verbessern könnte. Nach dem Gesetz obliegt die Wahrung und Sicherung der Rechte und Interessen der Patienten in allen Bereichen des Gesundheitswesens in Wien dem Patientenanwalt.

dieFurche: Was ist dabei Ihr Beitrag zur Qualitätssicherung?

Pickl: Beispielsweise die Qualitätskontrolle. Dazu gehören die gezielte Beobachtung der medizinischen Versorgung und die Aufdeckung von Mängeln. Ich gebe die Ergebnisse meiner Überprüfungen dann an die Spitäler und an andere Institutionen weiter.

Die Mängel fangen bereits in der universitären Ausbildung der Mediziner an. Sie entspricht nicht den heutigen Anforderungen. Medizinische Ethik, Medizinrecht und Kommunikation werden beispielsweise derzeit nicht gelehrt. Es gibt eine Studie, in der festgestellt wurde, daß Medizinstudenten am Beginn ihres Studiums eine ungeheuer hohe Einstellung zu Humanität und zu sozialer Bereitschaft haben, vergleichbar mit den Theologiestudenten. Mißt man mit den gleichen Kriterien am Ende des Studiums, dann rangieren Mediziner hinter den Betriebswirten.

dieFurche: Wie können Sie dazu beitragen, daß durch Ihre Tätigkeit auch in den Spitälern Verbesserungen für Patienten erzielt werden?

Pickl: Ich möchte hier drei Beispiele nennen, die verdeutlichen, auf welche Weise meine Tätigkeit Verbesserungen herbeiführen kann. An mich wenden sich manchmal Patienten mit Nervenschädigungen. Sie entstehen durch schlechte Lagerung während der Operation. Derartige Schäden wären oft vermeidbar. Ich habe diese Erfahrung an die Spitäler herangetragen. Ein Spital hat daraufhin für die Mitarbeiter Schulungen zur Lagerung der Patienten abgehalten und eine Broschüre zu diesem Thema herausgegeben. Ich werde mich darum kümmern, daß auch die anderen Spitäler Zugang zu dieser Broschüre bekommen.

Das zweite Beispiel betrifft Verbrennungen von Patienten während der Operation. Eine Frau ist zu mir gekommen. Sie hatte an der Innenseite der Oberschenkel arge Verbrennungen. Das hat auch schlimme Schäden hinterlassen. Niemand konnte uns erklären, wie diese Brandwunden entstanden sind. Auf Grund unserer Nachforschungen haben wir entdeckt, daß die Desinfektionsflüssigkeit schuld daran war. Sie müssen sich das so vorstellen: Die Patienten liegen bei der Operation auf einer Platte, die auch zur Erdung der elektrischen Geräte dient. Wenn die Desinfektionsflüssigkeit auf diese Platte fließt, können Kriechströme entstehen - und das verursacht diese Verbrennungen. Auch das wäre meist vermeidbar, wenn man mit Watte abdecken würde.

Das drittes Beispiel, das ich erwähnen möchte, betrifft einen tragischen Fall vor zwei Jahren. Eine Krankenschwester verabreichte eine Nährflüssigkeit nicht über die Magensonde, sondern über einen venösen Zugang. Die Patientin war sofort tot. Die Krankenschwester hat sich daraufhin das Leben genommen. Unter meinem Vorsitz hat anschließend eine Expertenkommission Vorschläge zur möglichen Vermeidung derartiger Vorfälle erarbeitet. Ein Ergebnis ist, daß alle Kontaktstücke, die im medizinischen Bereich verwendet werden, vereinheitlicht wurden. Heute ist es nicht mehr möglich, ein Kontaktstück von einer Nährflüssigkeit an einen Zugang zu einer intravenösen Versorgung anzuschließen. Und das wird auch kontrolliert.

dieFurche: Wie schwierig ist es, ein Bewußtsein für ein solches Fehlermanagement zu erreichen?

Pickl: Eine wichtige Empfehlung im oben erwähnten Fall galt dem Fehlermanagement. Es ist besonders wichtig aus Fehlern zu lernen, um künftig gleichartige Vorfälle nach Möglichkeit zu vermeiden. In einem Rechtsstaat können wir bei Fehlern, die arge Patientenschäden zur Folge haben, nicht auf Sanktionen verzichten. Das sollte aber nicht im Vordergrund stehen. Es ist aber zu wenig, den Himmel rein zu halten, indem man den Belzebub austreibt und sonst gar nichts macht.

dieFurche: Zurück zu Ihrer Tätigkeit als Patientenanwalt: Ist es in Österreich für Patienten leicht zu Entschädigungen zu kommen?

Pickl: Es ist schwierig, die Ansprüche auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld nach Medizinschäden durchzusetzen. Wir haben ein Arzthaftungsrecht aus dem Jahre 1811, und das ist patientenfeindlich. Der Patient muß dem Arzt den Fehler oder die Fahrlässigkeit beweisen. Dieser Beweis ist sehr schwer zu erbringen. Der Patient hat daher kaum eine Chance. Seit einiger Zeit verhilft die Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofes den Patienten zu mehr Gerechtigkeit. Die ärztliche Verpflichtung zur Aufklärung der Patienten über Art der Behandlung und deren Risiken wird sehr ernst genommen. Ein Aufklärungsmangel wird jetzt als Behandlungsfehler gewertet.

dieFurche: Was hat das für Konsequenzen?

Pickl: Die Patienten nutzen das natürlich. Es gibt kaum einen Anwalt, der heute eine Medizinklage erhebt ohne die Behauptung des Mangels an Aufklärung. Denn diese Behauptung muß der Arzt widerlegen. Das ist meiner Meinung nach aber der falsche Weg. Wir gehen in eine Richtung, die wir nicht wollen: Das Gespräch, die Aufklärung des Patienten wird zu einem juristischen Instrument. Ich selbst war Richter. Daher kann ich das abschätzen. In Deutschland etwa sind dadurch die Prozesse innerhalb von zehn Jahren von 600 auf 10.000 im vorigen Jahr gestiegen. Es gibt keine Zahlen für Österreich. Ich bin aber überzeugt, daß wir weit darunter liegen. Denn wir bemühen uns, viele Fälle nach Möglichkeit außergerichtlich zu regeln. Das ist auch eine meiner wichtigsten Aufgaben.

dieFurche: Welche Rechte haben Patienten?

Pickl: Ein ganz wichtiges Patientenrecht ist das Recht auf volle Information, auch bei Patientenschäden. Der Patient hat das Recht, Einsicht in die Krankengeschichte zu nehmen. Alle Spitäler haben Patientenrechte zu gewähren, und Patienten auch über ihre Rechte zu informieren. In Wien besteht auch die Verpflichtung in allen Spitälern, auf die Wiener Patientenanwaltschaft hinzuweisen.

dieFurche: Welche Schwierigkeiten haben Sie bei der Hilfestellung für geschädigte Patienten?

Pickl: Es gibt in der Medizin große Freiheiten. Es gibt keine fixen Standards. Zu mir kommen Menschen, die ein zweites Mal operiert wurden. Die Ärzte haben das damit begründet, daß die erste Operation nicht komplett gewesen wäre. Das kann man nicht mehr überprüfen. Auch ist allgemein bekannt, daß Ärztinnen und Arztfrauen wesentlich weniger gynäkologische Operationen unterzogen werden. Es gibt Studien die belegen, daß Knieprothesen in gleichen Regionen zu 50 Prozent mehr oder weniger gemacht wurden. Für die Operationsindikation gibt es offenbar nicht nur medizinische Kriterien. Dort wo es keine Standards für Operationen gibt, dort kann man auch das Gegenteil schwer beweisen. Und das ist mein Problem als Patientenanwalt. Den Schaden hat letztlich der Patient.

dieFurche: Wie könnte man diese für den Patienten unbefriedigende Situation abschaffen?

Pickl: Diese für Patienten unbefriedigende Situation hat etwa die skandinavischen Staaten dazu veranlaßt, eine sogenannte verschuldensunabhängige Kompensation bei Patientenschäden einzuführen. Das heißt, ein Patient braucht bei einem Schaden nicht mehr einen schuldigen Arzt suchen, sondern er bekommt seinen Schaden auch ohne diesen Nachweis ersetzt. Natürlich ist das mit erheblichem finanziellen Aufwand verbunden. In Österreich haben bereits drei Bundesregierungen in ihren Regierungsübereinkommen versprochen, sich diesem Problem anzunehmen und Lösungen zu suchen. Bisher ist es keiner Regierung gelungen. Die Wiener Landesregierung hat nun 1997 eine neue Regelung beschlossen, die etwas Abhilfe schafft. Es wurde die "rasche finanzielle Hilfe bei Medizinschäden in Härtefälle" geschaffen. Ich habe dafür im Jahr 1998 8,5 Millionen Schilling zur Verfügung gestellt bekommen und kann damit geschädigte Patienten außergerichtlich helfen.

dieFurche: Reicht das?

Pickl: Wir haben im Vorjahr das Budget nicht aufgebraucht, aber wir haben mit unserer Tätigkeit erst begonnen. Unsere Aufgabe ist nicht einfach, denn wir haben in Wien mit dieser Regelung juristisches und soziales Neuland beschritten. Es funktioniert irgendwie. Aber ich bin sicher, daß wir heuer bereits mehr Geld verbrauchen werden. Doch habe ich keine Sorge, daß wir das Geld, das wir dafür benötigen, auch erhalten. Denn es ist gut angelegt. Wir können so immerhin Prozesse vermeiden. Und die würden mehr Geld kosten.

dieFurche: Welche Vorteile bringen außergerichtliche Regelungen?

Pickl: Der Patientenanwalt muß die Beweissituation nicht so streng nehmen. Auch fällt die lange Verhandlungsdauer weg. Es kommt vor, daß derartige Prozesse bis zu acht Jahren dauern. Der Patient bekommt durch uns rascher die finanzielle Hilfe. Möglicherweise bekommt er nicht so viel. Wir können höchstens 300.000 Schilling für den Einzelfall ausbezahlen. Aber der Patientenanwalt ist eine unabhängige Einrichtung zur Klärung der Patientenansprüche, er ist weisungsfrei und objektiv. Und Patienten brauchen nicht mehr von einer Stelle zur anderen irren.

dieFurche: Ist die außergerichtliche Regelung die Lösung für alle Probleme?

Pickl: Ich möchte damit nicht sagen, daß das die Lösung für alle Probleme ist. Es ist selbstverständlich nicht möglich, alle Medizinschäden außergerichtlich zu regeln. Es gibt Fälle, die mit sehr hohen Ansprüchen verbunden sind, etwa Geburtsschäden. Daher sollte man in erster Linie Schäden vermeiden. Das ist auch das wichtigste Anliegen eines Patientenanwalts. Daß wir hier zu wenig machen, das liegt auf der Hand. In der Medizin dafür ein Bewußtsein zu schaffen, ist schwierig. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Wenn etwa heute etwas Gröberes passiert, dann wird sofort der Patientenanwalt verständigt. Da wird nichts mehr vertuscht. Das ist ein erster Schritt.

Redaktionelle Gestaltung Monika Kunit.

ZUR PERSON Patientenanwalt Professor Viktor Pickl kämpft seit 1992 in Wien in der Funktion des Wiener Patientenanwalts um Schadensersatzleistung für geschädigte Patienten. Im Unterschied zu den anderen Bundesländern sind der Wiener Patientenanwalt und seine zehn Mitarbeiter dabei für das gesamte Gesundheitswesen zuständig. 1998 wurden rund sechs Millionen Schilling mit Hilfe der außergerichtlichen Regelung ausbezahlt. Der ehemalige Richter, Staatsanwalt und Direktor der Volksanwaltschaft ist Mitglied in der Gesundheitsreform-, der Spitalsfinanzierungskommission und in vielen Ethikkommissionen. kun.

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