Hier zu Hause und trotzdem fremd

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Sie sind österreichische Staatsbürger, sprechen Dialekt, sind Fußballfans hiesiger Vereine und erfahren dennoch Tag für Tag, daß sie für viele einfach Ausländer bleiben. Der Verein "Echo" sieht sich als Sprachrohr für diese Jugendlichen der zweiten Generation.

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Sie sind österreichische Staatsbürger, sprechen Dialekt, sind Fußballfans hiesiger Vereine und erfahren dennoch Tag für Tag, daß sie für viele einfach Ausländer bleiben. Der Verein "Echo" sieht sich als Sprachrohr für diese Jugendlichen der zweiten Generation.

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Das Eckhaus wirkt von außen tot. Heruntergelassene Jalousien verhindern den Blick durch die großen Glasfronten, und von weitem könnte man glauben, eine junge Modeboutique namens "Echo" hätte hier kurz und unglücklich gewirtschaftet und nichts sonst hinterlassen als ein auffälliges Namensschild. Beim näheren Hinsehen erkennt man langsam das Kleinergeschriebene an der Fassade: "Kultur- und Integrationsverein - Überregionale mobile Jugendarbeit". Das Eckhaus Gumpendorferstraße-Hofmühlgasse im 6. Bezirk ist kein aufgelassener Shop, sondern Sitz eines dynamischen Vereins zur Unterstützung Jugendlicher der zweiten Generation, junger Menschen, deren Eltern als Fremde nach Österreich gekommen sind und die sich nun selbst auf die Suche machen nach ihrer alten und neuen Heimat.Täglich verbringen hier rund 100 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren ihre Freizeit, aber das mit dem Alter nimmt man ohnehin nicht so genau.

Im Veranstaltungsraum wird gerade geputzt: "Gestern haben sie bei uns für die Pilotsendung des ,Echo'-TV gefilmt", erklärt Irmi Novotny, eine der sechs Jugendarbeiter(innen), die der Verein beschäftigt. Die resolute 28jährige macht bald klar, daß diese Anstellung für sie mehr bedeutet als ein bloßer Job: "Mir gefällt die Kombination aus direkter Arbeit mit Jugendlichen und einem politischen Anspruch. Animation allein wäre nicht mein's."

Über mangelnde gesellschaftspolitische Aufgaben kann "Echo" seit seinem Entstehen im Jahr 1993 auch nicht klagen. Gerade ein Projekt war es, das zumindest regional für erhitzte Gemüter sorgte, erzählt Novotny: "Vor zwei Jahren haben wir Kontakt mit Jugendlichen aus dem 3. Bezirk aufgenommen. Von offizieller Seite waren die ,ausländischen' Jugendlichen dort im Park am Kardinal-Nagl-Platz nämlich ,das' Problem schlechthin."

Bezirksvorsteher, Jugenddienst und Wiener Integrationsfonds waren bereits mit dem Konflikt beschäftigt, denn die Situation war tatsächlich verfahren: Anrainer im angrenzenden Gemeindebau beschwerten sich über nächtlichen Lärm und über eine "Verschmutzung" des Parks durch den Müll der jungen Leute. Die Jugendlichen wiederum meinten, sie könnten sich nirgendwo sonst aufhalten, ohne etwas dafür zahlen zu müssen, und klagten über offen geäußerte Fremdenfeindlichkeit - auch von Seiten der Polizei. Jeder habe sich aufgeregt, aber keiner hätte die Idee gehabt, Kontakt mit den Jugendlichen aufzunehmen, schildert Novotny die Ereignisse. "Der eigentliche Auslöser war dann ein Artikel in einer Tageszeitung mit dem Vorhaben, den Park ,wieder sicher zu machen.' Da haben wir gedacht: ,So, uns reicht's.'"

Dialog mit Kritikern Und so schritt man im Herbst 1998 mit einer Kamera ausgerüstet zur Tat, um endlich Anrainern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu artikulieren.

Die Jugendlichen filmten im Park und führten Interviews mit ihren Kritikern, schließlich wurden auch zwei Profiregisseure angeheuert. Die Folge waren beeindruckende Bilder und einige spannend-beklemmende Szenen, erzählt Irmi Novotny: "Ein älterer Mann hat während der Dreharbeiten, live sozusagen, vom Balkon zu uns heruntergespuckt." Sorgfältig wurde die Spucke von der Linse weggewischt. Auf die Frage, ob die Jugendlichen mit ihm ein Interview führen könnten, schmetterte er fremdenfeindliche Parolen Richtung Kamera. Trotz hitziger Diskussionen zwischen den "Streitparteien" keimte nach und nach Verständnis für die Situation des anderen auf. Schließlich kam es zur Aussöhnung: Ein Anrainer und ein Jugendlicher schüttelten sich vor laufender Kamera die Hände. "Das Problem entpuppte sich als reiner Generationskonflikt. Nur zwei Einwohner des Gemeindebaus waren im Grunde Rassisten", rekapituliert die Sozialarbeiterin.

Auch die Präsentation des Films, die allen Anrainern in einer "von-Tür-zu-Tür-Aktion" persönlich angekündigt worden war, stieß auf ein großes Echo: Etwa 40 Jugendliche und 40 Erwachsene kamen im Juli 1999 und tauschten sich nach anfangs frostigem Klima untereinander aus. Am Buffett kam es schließlich zur Verbrüderung.

Zurück in die Gegenwart, zurück ins Eckhaus im 6. Bezirk. Im Redaktionsbüro der Vereinszeitschrift "Echo", die alle zwei Monate erscheint, lehnt ein wandfüllendes Hochglanztransparent mit dem knalligen Schriftzug "Wir sind zornig!" Darunter verzieht ein süßer Fratz mit Sportkappe das Gesicht und sieht aus, als mache er die ganze Welt, besonders aber den Betrachter für seinen Unmut verantwortlich. Die Kontroverse um den Kardinal-Nagl-Platz ist zwar längst Vergangenheit, doch neue Probleme stehen an. Viele Jugendliche der zweiten Generation sitzen zwischen den Stühlen, haben einerseits die Bindung zur alten Heimat verloren und fühlen sich andererseits in Österreich noch immer fremd. Die Gründe dafür sind vielfältig, meint Novotny: "Eltern, die als Gastarbeiter das Gefühl bekommen haben, nicht erwünscht zu sein, geben dieses Gefühl an die Kinder weiter. So fällt es vielen schwer zu sagen ,Österreich ist meine Heimat.' Gerade in der momentanen politischen Situation wird oftmals das Herkunftsland idealisiert. Das birgt aber auch die Gefahr, leichter anfällig zu werden für nationalistische oder radikale Organisation."

Die einzige wirksame Gegenmaßnahme sei es, das Selbstbewußtsein dieser Jugendlichen der zweiten Generation zu erhöhen, meint Novotny überzeugt: Dies gelinge durch das Stärken ihrer Artikulations- und Diskussionsfähigkeit und durch das Angebot von politischer Partizipation. "Echo" wolle hier gezielt Aufklärung betreiben, gerade bei Ängsten vor einer Verschärfung des Umgangs mit Ausländer(innen) in Österreich.

Manchmal werden von Jugendlichen sogar Vergleiche mit der politischen Entwicklung am Balkan gezogen, so Novotny: "Einige meinen, auch in Bosnien hätte sich durch eine Legitimation von oben die Ausländerfeindlichkeit in der Bevölkerung durchsetzen können. Manche sehen in der momentanen Entwicklung in Österreich eine Parallele."

Flucht nach vorn Sensibilität und kritische Auseinandersetzung will der Verein auch auf anderen Gebieten erreichen: Etwa über traditionelle Rollenmuster von Mann und Frau, besonders in Gastarbeiterfamilien. Zur Zeit widmet sich "Echo" dem Spannungsfeld Kunst und Integration: Im Zuge einer Podiumsdiskussion soll die Frage diskutiert werden, welchen gesellschaftspolitischen Beitrag Kunst zur Integration leisten kann. Teilnehmer an der Debatte sind unter anderem die Regisseure des Films "Geboren in Absurdistan", Houchang und Tom Darius Allahyari, und Andreas Salcher vom Wiener Kulturausschuß.

Gerade im Bereich Integrationspolitik seien nicht konkrete Forderungen wie etwa die doppelte Staatsbürgerschaft bei den Jugendlichen zu oberst auf der Wunschliste, bekräftigt Novotny. Vielmehr würden sie sich von der Gesellschaft mehr Freiräume erhoffen und das Zugeständnis, ernst genommen zu werden. "Die Jugendlichen der zweiten Generation sind nicht primär ein Problem sondern besitzen durch ihren doppelten Background ein doppelt kreatives Potential", meint die Jugendarbeiterin und schließt augenzwinkernd: "Sie sind ein irrsinnig dynamischer Haufen."

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