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Das neue Buch "Zwischen Welfare und Workfare" bereichert die Diskussion um die Finanzierung des Sozialsstaates.

Lob für Österreich im neuesten Bericht der Europäischen Kommission über die soziale Ausgrenzung: Armut ist hierzulande ein geringeres Problem als im Durchschnitt der EU-Länder, auch die Unterschiede zwischen hohen und niedrigen Einkommen sind im Vergleich nicht so hoch. Das starke Sozialsystem bewährt sich im Hinblick auf die Umverteilung: ohne Berücksichtigung von diversen Transferleistungen wäre allerdings ein Viertel der Österreicher als arm zu bezeichnen, sagt die EU-Kommission. Und - die Schere zwischen Frauen- und Männereinkommen ist nach wie vor beträchtlich weit offen.

Also: einerseits kein Grund, uns wieder einmal zur Insel der Seligen hochzustilisieren, andererseits aber offensichtlich der Beleg, dass differenzierte Sozialpolitik auszugleichen vermag. Noch - denn die Grundlagen des EU-Berichts sind gerade einmal eine Momentaufnahme respektive ein historischer Rückblick: immerhin ist die Diskussion um die Frage der Finanzierung des Wohlfahrtsstaats und die Treffsicherheit sozialer Maßnahmen voll im Gange - und nicht nur in Österreich.

Humane Verbrämung

Mittlerweile werden überall in Europa Fragen zur künftigen sozialen Sicherung diskutiert, neue Modelle erarbeitet, Konzepte erprobt. Im Mittelpunkt dabei steht der Begriff des aktivierenden Wohlfahrtsstaats, respektive der Übergang von Welfare zu Workfare. Workfare soll einer Verfestigung von Armut entgegenwirken. Durch vermehrte Arbeits- und Ausbildungsangebote, gekoppelt mit Sanktionen, wird eine Integration bislang aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzter Gruppen angestrebt. Workfare-Maßnahmen sollen weiters dazu beitragen, die Abhängigkeit von staatlichen Versorgungsleistungen zu reduzieren und den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Diese Strategie bleibt aber nicht unwidersprochen. Kritiker sprechen von "Disziplinierung" und "Arbeitszwang". Aktivierung sei bloß ein Vorwand, um den angestrebten Rückbau des Sozialstaats zu legitimieren und humanistisch zu verbrämen. Vor dem Hintergrund eines neoliberalen Politikverständnisses gehe es vor allem darum, die Kosten zu minimieren, indem Sozialleistungsempfänger in schlecht bezahlte Randarbeitsplätze hineingezwungen werden. Einkommensungleichheiten würden dadurch weiter verschärft, Arbeitslosen ein abgesicherter Status außerhalb des Arbeitsmarktes verweigert.

Der Sammelband "Zwischen Welfare und Workfare. Soziale Leistungen in der Diskussion.", herausgegeben von Christine Stelzer-Orthofer im Rahmen der Gesellschafts- und Sozialpolitischen Texte, geht über diese beiden konträren Positionen hinaus und versucht, differenzierte Antworten auf die damit zusammenhängenden Fragen zu wohlfahrtsstaatlichen Reformen zu geben. Namhafte in- und ausländische Sozialexperten analysieren die vielfältigen unterschiedlichen Aspekte und Herausforderungen. Hilfe-zur-Arbeit-Programme, Workfare-Modelle auf internationaler, nationaler wie auch auf lokaler Ebene werden vorgestellt und diskutiert, unterschiedliche Varianten einander gegenübergestellt und bewertet.

Wer wird getroffen?

So verweist etwa Susanne Schunter-Kleemann in ihrem Beitrag "Zwischen Welfare and Workfare- Sozialpolitische Strategien gegen die Feminisierung von Armut" auf die Tatsache, dass eine wirtschaftspolitisch allenfalls wünschenwerte Flexibilisierung der Organisation von Arbeit (einschließlich Lohnflexibilisierung) mit hoher Sicherheit eine Verstärkung der geschlechtlichen Segmentierung des Arbeitsmarktes beziehungsweise eine Strategie zulasten der Frauen darstellt: In fast allen EU-Ländern steigt in den letzten Jahren der Anteil geringfügiger beziehungsweise prekärer Arbeitsverhältnisse, in deren Rahmen sich wiederum der Frauenanteil ständig erhöht. Durch die marginale soziale Absicherung ist wohl derzeitige Erwerbstätigkeit erreicht, aber spätere Altersarmut von Frauen vorprogrammiert.

Oder: In seinem Artikel "Umverteilungswirkungen und ,Treffsicherheit' des öffentlichen Sektors in Österreich" analysiert Gerhard Wohlfahrt diesbezügliche Aspekte der Einführung von Studiengebühren an Österreichs Hochschulen. Klar ist, dass es sich dabei primär um eine bildungs- und nicht sozialpolitische Maßnahme handelt; bezieht man den sozialen Aspekt mit ein, zeigt sich, dass der gebührenfreie Zugang zu Universität das gesamte untere Einkommensdrittel der Studierenden-Familien begünstigte, während nun zwar ein etwas größerer Teil als früher durch Stipendien auch von der Gebühr entlastet ist, aber die untere Mittelschicht - ohne Stipendium und mit Studiengebühr - besonders zum Handkuss kommt. Mit Einkommenseinbußen, die zumindest Armutsgefährdung signalisieren. Damit ist das Paradoxon von Umverteilung angesprochen: konzentrieren sich staatliche Leistungen auf die "ganz Armen", bröckelt einerseits die Solidarität in der Gesellschaft beziehungsweise geht der politische Konsens zur Bereitstellung der Mittel verloren, und andererseits verlieren mittlere Einkommensschichten zunehmend Leistungen und werden dadurch immer ärmer ...

Buchtipp

Zwischen Welfare und Workfare. Soziale Leistungen in Diskussion.

Christine Stelzer-Orthofer (Hg.), 2001, Gesellschafts-und Sozialpolitische Texte, Bd. 14, Linz

Mit Beiträgen von: Renate Artner, Jens S. Dangschat, Nikolaus Dimmel, Holger Feist, Walter Hanesch, Bernhard Hilkert, Roland Lehner, Lutz Leisering, Ivar Loedemel, Ronnie Schöb, Susanne Schunter-Kleemann, Christine Stelzer-Orthofer, Emmerich Tálos, Heather Trickey, Wolfgang Voges, Josef Weidenholzer, Gerhard Wohlfahrt und Karl Wörister. 368 Seiten, oS 350,-/e 20

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