Hilfe in den Startlöchern

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Der Verein Neustart bietet Tätern wie Opfern Hilfe bei ihrem Weg aus der Krise. von veronika thiel

Ich hatte Angst, wusste nicht, was ich machen sollte. Ich hatte kein Seil, an dem ich mich festhalten konnte", erinnert sich Atilla an seine Entlassung nach einer siebenmonatigen Haftstrafe. Als 16-jähriger war er nach dem Tod seiner Mutter auf der Straße gelandet, wo er in die Kriminalität abdriftete: Einbruch und Körperverletzung. Nach dem Gefängnis erwartete ihn erneut die Straße und die Arbeitslosigkeit. Von einem Kollegen erfuhr er von der Haftentlassenehilfe von Neustart.

Der Verein Neustart, der bereits 1957 unter dem Namen "Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit"gegründet wurde, versteht sich selbst als Dienstleister der Gesellschaft: Nach dem Motto "Hilfe schafft Sicherheit" bietet die Organisation Unterstützung bei der Bewältigung von Konflikten, um so durch Prävention und Rückfallvermeidung zur gesamtgesellschaftlichen Sicherheit beizutragen. Die Tätigkeitsbereiche umfassen neben Täter- und Opferhilfe auch die Prävention.

Sicherheit durch Hilfe

Das Angebot im Bereich der Täterhilfe geht weit über die klassische Bewährungshilfe hinaus: Vor allem bei der Betreuung von Haftentlassenen nach einer längeren Freiheitsstrafe ist eine hohe Dichte an Kontakten und Unterstützung in verschiedenen Bereichen nötig. Andreas Zembaty, Sprecher des Vereins Neustart, erinnert sich an einen Klienten, der bei seiner Entlassung nicht wusste, wie ein schaffnerloser Beiwagen funktioniert, und nicht im Stande war die Türen zu öffnen. "Der Strafvollzug, so wie er ist, kann nicht mehr leisten, was eigentlich von ihm erwartet wird. Er macht die Menschen kaputt." Aus diesem Grund begrüßt Neustart auch das Modellprojekt des Electronic Monitoring (siehe unten), da es dazu beitragen könnte, die Freiheitsstrafen in Österreich zu reduzieren.

In hauseigenen Werkstätten bekommen arbeitslose Klienten zum Beispiel die Möglichkeit, sich wieder an einen geregelten Arbeitsrhythmus zu gewöhnen, sowie die nötige Absicherung, um sich in Ruhe eine neue Arbeit zu suchen. Atilla, der ebenfalls zunächst in einer solchen Werkstatt Arbeit gefunden hatte und in einer betreuten Wohngemeinschaft des Vereins untergekommen war, bedauert nur, "dass man erst ins Gefängnis kommen muss, bevor man solche Hilfe bekommt".

Aus der Täterhilfe nicht mehr wegzudenken sind auch die verschiedenen Formen der Diversion, die seit Anfang 2000 in Österreich gesetzlich verankert ist: Staatsanwalt oder Richter können bei Delikten mit einer Strafandrohung bis zu fünf Jahren Haft dem Verdächtigen ein Diversionsangebot als Alternative zum traditionellen Strafverfahren unterbreiten. Neben Geldbußen kann dieses auch eine Probezeit mit Auflagen, einen außergerichtlichen Tatausgleich (siehe Kasten) oder die Erbringung gemeinnütziger Leistungen beinhalten. "Mit den Geldbußen haben wir allerdings wenig am Hut", so Zembaty, denn diese seien sozial nicht konstruktiv. Dass der Anteil von Geldbußen bei weitem überwiege, sei darauf zurückzuführen, dass sie eine schnelle Erledigung eines Aktes ermöglicht.

Mit der gesetzlichen Verankerung des außergerichtlichen Tatausgleichs kam eine ganz neue Klientel zu Neustart, wo man durch die klassische Bewährungshilfe eher mit schweren Delikten zu tun hatte: "Es war für uns überraschend", so Zembaty, "wie viele Leute nicht in der Lage sind, Konflikte des Alltags konstruktiv zu lösen und wie schnell es - quer durch alle Schichten - zur Eskalation kommt." Die Qualität des Außergerichtlichen Tatausgleichs sieht der Bewährungshelfer und Sprecher des Vereins deswegen auch darin, dass es durch die Mediation zu einer Verarbeitung des Konflikts kommen kann und somit auch zur Rückfallsprävention beigetragen wird. Auch für die Opferhilfe sei es von großem Vorteil, über die eigenen Emotionen sprechen zu können, eine Entschuldigung zu bekommen und den Konflikt beizulegen: "Das ist in einem normalen Strafprozess nicht vorgesehen, denn da geht es um eine objektive Rechtsverletzung gegenüber der Republik und nicht um das Opfer. Das halte ich für eine Degradierung des Opfers."

Finanzielle Engpässe

Der Verein Neustart, der bundesweit über 15 Einrichtungen verfügt, wird großteils aus Mitteln des Justizministeriums finanziert. Derzeit betreuen 603 hauptamtliche und rund 860 ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen etwa 33.600 Klienten im Jahr. Die vorhandenen Mitteln sichern zwar den Routinebetrieb, die gesamte von Neustart geleistete Betreuung ist damit allerdings nicht abgedeckt. Im Bereich der Opferhilfe heißt das etwa, dass nur die Prozessbegleitung finanziert wird, nicht aber die Betreuung davor und danach. Auch bei der Täterhilfe ist der Verein auf Drittmittel angewiesen. Daher versucht Neustart derzeit in einer Sommerkampagne, potenzielle Spender zu erreichen. Mit einer ähnlichen Aktion im vergangenen Jahr konnte man allerdings nur rund 5000 Euro Rücklauf verzeichnen.

Das Sujet der diesjährigen Plakat-Kampagne: Zwei nackte Menschen - eine Frau symbolisiert das Verbrechensopfer ("Verletzt und allein gelassen? Wege aus der Krise") und ein Mann den Täter ("Verurteilt und ausgeschlossen? Jeder verdient eine zweite Chance") - knien sichtbar mitgenommen in den Startblöcken und sind offensichtlich nicht in der Lage, sich aus eigenen Kräften abzustoßen.

Irritation

Mit der Kampagne stößt Neustart zum Teil auf Irritation. Ein Anrufer fragte erst kürzlich lautstark und höchst emotional: "Warum überhaupt etwas für einen Täter tun, der gehört doch sein Leben lang weggesperrt!" Diese ablehnende Reaktion gegenüber der Gruppe der Täter erklärt sich Zembaty damit, dass, "je mehr wir einen Täter ablehnen, wir desto eher hoffen, unsere eigene Täterschaft, die in uns allen ruht, in den Griff zu bekommen".

Info: www.neustart.at

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