"Hilfe statt Schadenersatz"

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Durch Pränataldiagnostik werden Eltern oft überfordert, meint der katholische Moraltheologe Dietmar Mieth aus Tübingen. Im Interview legt er ihnen "Nichtstun" ans Herz - und kritisiert den Gedanken vom "Kind als Schaden".

Die Furche: Eltern, die im Rahmen einer Pränataldiagnose von der Behinderung ihres Kindes erfahren, stehen vor einer schweren Entscheidung. Die christliche Position ist klar: Das Kind hat ein Recht auf Geborenwerden. Was aber, wenn sich die Eltern dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlen?

Dietmar Mieth: Wenn wir die Menschen nicht aufteilen wollen in anfangende und weiterentwickelte, dann hat ein Mensch grundsätzlich das Recht, sein Leben fortführen zu dürfen. Die Durchsetzungsfähigkeit dieses Rechts ist allerdings an vielerlei Umstände gebunden, die in der Realität der Schwangerschaft sehr komplex werden können. Die Frage ist: Wie nehme ich wahr, dass hier etwas heranwächst, das unabhängig von mir ein Recht hat und nicht nur ein symbiotischer Teil von mir ist, über den ich frei verfügen darf? Wenn ich das wahrnehme, dann würde ich mit pränatalen Untersuchungen vorsichtig sein. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen können mich ja in eine Situation bringen, die ich als Überforderung empfinde. Warum sollte ich mich dann nicht ins Nichtstun, also in eine gewisse Gelassenheit begeben, die man früher so ausgedrückt hat: Die Kinder, die Gott uns schenkt, die nehmen wir an.

Die Furche: Im Unterschied zu früher sehen sich aber die Eltern heute den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik gegenüber, die ihnen suggerieren, Leid abwenden zu können...

Mieth: Ich glaube, dass wir uns heute mit Hilfe der Wissenschaftsgläubigkeit über die Leidlosigkeit im individuellen Leben Illusionen machen; genauso wie wir uns Illusionen machen über ewige Jugend oder ein gewisses Körpergefühl. Wir haben Ideale an "Wellness" aufgestellt, die illusionär sind. Dagegen wäre es notwendig, das Bewusstsein zu stärken, dass man auch gegen falsche Belastungen ankämpfen kann, und die Gelassenheit zu entwickeln, das zu ertragen, was unvermeidlich ins Leben gehört. Sonst weichen wir dem einen Leid aus, um ins andere hineinzugeraten.

Die Furche: Während in Österreich die embryopathische Indikation eine Abtreibung von Kindern mit körperlicher oder geistiger Behinderung bis zu Geburt möglich macht, spricht man in Deutschland von "mütterlicher" Indikation. Wo liegt der Unterschied?

Mieth: Der Unterschied liegt in der Begründung: Nach der österreichischen gesetzlichen Formulierung kann man sagen: Hier handelt es sich um lebensunwertes Leben. Dagegen sagt man in Deutschland: Ich kann - etwa als Mutter - das Leid des anderen einfach nicht ertragen. Diese Begründung halte ich schlichtweg für verlogen. Denn unter dieser Indikation kann man behaupten, dass das Leben eines Kindes nicht lebenswert ist, auch wenn es mit 40 Jahren an Veitstanz stirbt und es keine Rolle spielt, wie dieses Leben mit den Eltern zusammenhängt. Die österreichische Lösung ist ehrlicher, aber unter ethischen Gesichtspunkten nicht zu akzeptieren. Außerdem kommen wir in beiden Fällen leicht in den Bereich: Kind als Schaden.

Die Furche: Apropos: Ist es Ihrer Meinung nach möglich, ein behindertes Kind als "Schadensfall" mit Ersatzanspruch zu sehen, ohne implizit festzustellen, dass es sich hierbei um unwertes Leben handelt?

Mieth: Psychologisch gesehen halte ich das für unmöglich. Es ist Aufgabe der Rechtsschöpfung, hier etwas zu ändern: Man sollte Eltern, die eine zulässige Option zum Schwangerschaftsabbruch hatten, sie aber auf Grund eines Kunstfehlers des Arztes nicht wahrnehmen konnten und unfreiwillig in eine belastende Situation gekommen sind, eine Sonderhilfe zusprechen. Das ist aber etwas völlig anderes als ein Schadenersatz.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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