Hoch- & Niederschwelliges

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Vom Umgang mit unserem kulturellen Erbe, vom vermeintlich und tatsächlich Elitären des Kulturbetriebs - und inwiefern wir heute wieder an frühere Zeiten anknüpfen.

Wir leben in einer musealen Zeit. Das ist nicht so negativ gemeint, wie es für viele klingen mag. Aber es ist nun einmal so: Die historischen Stadtzentren, durch die wir uns als Einheimische bewegen und deretwegen wir als Touristen reisen, sind große Freilicht-Museen - und viele der Gebäude, die wir besuchen oder besichtigen, sind für sich genommen wieder Museen: nicht nur die Museen selbst, sondern auch Kirchen, Schlösser, Palais, Bibliotheken, Theater-, Opern- oder Konzerthäuser. Dass überall dort längst auch Zeitgenössisches zu finden ist, ändert nichts am grundsätzlichen Befund.

Man kann das ganz schrecklich finden; man kann es von "links“ als hoffnungslos reaktionär charakterisieren, dass es das Neue so schwer hat sich gegen das Alte durchzusetzen; man kann es von "rechts“ kulturpessimistisch interpretieren, dass seit (je nach Geschmack) fünfzig oder hundert Jahren eben nichts Bleibendes mehr geschaffen worden sein. Man kann es aber auch ganz einfach als Ausdruck eines Selbstbewusstseins würdigen, welches das eigene kulturelle Erbe zu schätzen und daher pfleglich (im Wortsinn "kultiviert) damit umzugehen weiß. Dass die Pflege dieses Erbes auch ökonomisch einträglich ist, tut der Sache ja keinen Abbruch.

Mit Ruhe und Andacht

Wie auch immer: Dieses Museale ist jedenfalls ein bemerkenswertes und relativ neues Phänomen. Im 19. Jahrhundert entstanden die Bildungs- und Kulturtempel der bürgerlichen Gesellschaft, in denen sich neben dem Bedürfnis nach Repräsentation zweifellos auch der hohe Stellenwert von Kunst und Wissen widerspiegelte. In dieser Zeit setzte auch die vertiefte Auseinandersetzung mit kulturellen Hervorbringungen früherer Epochen ein. Man denke etwa an die von Felix Mendelssohn Bartholdy mit einer Aufführung der Matthäus-Passion 1829 in Berlin eingeleitete Bach-Renaissance. Damals wurde auch herausgebildet, was uns heute (noch?) selbstverständlich scheint: dass wir insbesondere in Theatern und Konzertsälen, aber auch in Museen und Bibliotheken uns mit Ruhe und, wenn man so will, Andacht ganz auf das Gebotene konzentrieren.

Dagegen schrieb etwa der italienische Musiktheoretiker und Komponist Gioseffo Zarlino 1558: "Hauptsächlichster und letzter Zweck der Musik muss es sein, die Zeit zu vertreiben und sich auf die vornehmste, edelste Art zu unterhalten.“ Dementsprechend waren Opern- und Konzertaufführungen ehedem primär gesellschaftliche Ereignisse, bei denen getratscht, Karten gespielt, gegessen und getrunken wurde. Das ist - vom Open-Air-Charakter abgesehen - deutlich näher an heutigen Events wie dem Filmfestival auf dem Rathausplatz oder auch dem philharmonischen Sommernachtskonzert im Schönbrunner Schloss-park als am "konventionellen“ Besuch einer Aufführung in der Staatsoper oder im "Goldenen Saal“ des Musikvereins.

Passanten- und Kinderpastoral

Damit sind wir bei einem zentralen Begriff des heutigen Kulturbetriebs angelangt: "Niederschwelligkeit“. In Zeiten verschärften Wettbewerbs (nicht zuletzt um Aufmerksamkeit) sind auch und gerade die etablierten Kulturinstitutionen bemüht, neue Publikumsschichten und natürlich vor allem die nächste Generation an ihr Angebot heranzuführen. Weil ja zuerst schon kurz von "Andacht“ die Rede war, mag auch hier ein Vergleich mit der Kirche erlaubt sein: Das entsprechende Schlagwort dort lautet "Passantenpastoral“, es bedeutet die Kirchen offen zu halten für jene, die nur hinten im Eck stehen wollen und natürlich alle Formen von Kinderseelsorge. Analog dazu gibt es auch keinen Kulturveranstalter ohne Kinder- und Jugendschiene, keinen Intendanten oder Impresario, der nicht sein Haus in irgendweiner Weise "öffnen“ würde - sei es in "Langen Nächten“ oder durch Live-Übertragungen aus dem Haus auf den Platz vor der Oper.

Ob die Rechnung langfristig aufgeht, wird naturgemäß erst die Zukunft weisen. Positiv kann man vermerken, dass das niederschwellige Angebot das hochschwellige jedenfalls nicht zu verdrängen scheint. Oper und Konzert boomen, die Auslastungszahlen können sich durchaus sehen lassen. Das ist immerhin ein markanter Unterschied etwa zur Zeitungsbranche, wo die Gratiskultur verheerende Wirkungen zeitigt.

Ein Missverständnis freilich gälte es zu vermeiden: Niederschwellig kann immer nur der primäre Zugang sein. Die persönliche Aneignung eines Kunstwerks, die vertiefte Befassung und Auseinandersetzung erfordert, wird immer hochschwellig bleiben. Über diese Schwelle muss letztlich jeder selbst drüber steigen. Oder eben nicht.

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