Hoffen auf ein kleines Stück Wohlstand

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Wie ein Sandsturm wälzt sich die Moderne auf die Nomaden im Süden der Sahara zu. Sie bringt Zerfall, Dürre, Elend.Eine Ausstellung im SchlossGoldegg und ein Bildbandzeigen Eindrücke aus dem harten Leben der Tuareg-Frauen.

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Wie ein Sandsturm wälzt sich die Moderne auf die Nomaden im Süden der Sahara zu. Sie bringt Zerfall, Dürre, Elend.Eine Ausstellung im SchlossGoldegg und ein Bildbandzeigen Eindrücke aus dem harten Leben der Tuareg-Frauen.

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Ziegen hatte sich Mariema noch retten können, als sie vor der Dürre und der Rebellion aus den Bergen nach Agadez geflüchtet war. Fünf Ziegen und vier Kinder - ein denkbar schlechtes Verhältnis für eine Tuareg-Nomadin, die es gewohnt war, täglich 30 Ziegen durch den Busch zu führen, um ihnen saftige Zweige von den Bäumen zu schlagen. Doch mit Mariemas Jugend versickerten auch die traditionellen Lebensbedingungen in der Vergangenheit. Heute ist die Stadt Agadez ihr "Busch", an dessen staubigen Straßen sie jeden Morgen über dem Feuer kleine Kuchen bäckt, um ein paar Münzen zu verdienen.

Viel ist es nicht, eher viel zu wenig, um ihre Kinder, den arbeitslosen Ehemann und die mageren Ziegen durchzufüttern. Erspart bleibt ihr derzeit nur das Schulgeld, denn auch der Regierung des westafrikanischen Sahel-Staates Niger fehlt das Geld für Lehrergehälter. "Die Schule bleibt so leer wie die Köpfe meiner Kinder. Weiß Allah, was aus ihnen einmal werden soll!" klagt Mariema, deren Schicksal eines von tausenden Tuareg-Frauen südlich der Sahara ist. Die Moderne wälzt sich zwar wie ein Sandsturm auf die Nomaden zu, doch bringt sie nur sozialen Zerfall, Dürre und Elend.

Auch der traditionelle Karawanenhandel zwischen den Air-Bergen im Norden, den Salzoasen jenseits der Tenere-Wüste und dem Hirsereichen Grenzgebiet zu Nigeria hat stark an Attraktivität verloren. Die staatlichen LKWs sind an Tempo und Preis nicht zu unterbieten. Zugleich hat der knappe Regen die Kamelherden dezimiert, was viele Karawanier zum Aufgeben zwingt. Sie versuchen sich heute als Gartenbauer oder ziehen in die leuchtenden Städte in der Hoffnung auf ein Stück Wohlstand.

Chancenlose Frauen Seit sich die bewaffneten Aufstände gelegt haben, keimt ein neues Hoffnungspflänzchen in Agadez: Wie schon in den achtziger Jahren lassen sich wieder einige Europäer von ihrer Sehnsucht nach goldenen Dünen und "Blauen Männern" nach Agadez locken. Seither sprießen die Reiseagenturen wie Pilze aus dem Boden, denn jeder will an den Touristeneinnahmen mitnaschen. Doch nicht jeder, der will, darf auch: Unter den Angestellten finden sich fast nur Männer, so dass einmal mehr eine Chance der Moderne für Tuareg-Frauen unerreichbar bleibt ... so unerreichbar, wie die Welt dieser Frauen für westliche Vorstellungen ist: Spricht man in Europa von den Tuareg, so steigen unweigerlich Traumbilder von "verschleierten Männern" und den "Herrinnen der Zelte" auf, Stereotype, wie sie über Jahrzehnte den Dialog zwischen Europa und Afrika geprägt hatten. Diese Klischees zu überwinden und den Alltagsblick jener Frauen gleichsam zu erzählen, versuchte die Fotografin Christine de Grancy mit kontrastreichen S/W-Fotografien, die während zweier Reisen in den Niger "geschaffen" worden sind: Sämtliche Themen waren nämlich von den Tuareg-Frauen selbst vorgeschlagen worden, was den Bildern zusätzliche Authentizität verleiht. Mit dem Verzicht auf Farbe gelang es der Künstlerin auch, jegliche Romantisierung der Menschen auszublenden, ohne damit den Raum für die kleinen und großen Freuden der Tuareg-Frauen einzuengen.

Ob aber der Versuch auf Klischees zu verzichten nicht stets zum Scheitern verurteilt ist, weil andernfalls diese Bilder dem Betrachter so fremd wie die Tuareg-Welt selbst blieben? Schließlich hatte de Grancys stets auch für den Europäischen Betrachter fotografiert, denn die Bilder sind noch bis zum 5. November auf dem Salzburger Schloss Goldegg im Rahmen der Ausstellung "Die Tuareg. Frauen-Bilder aus der Sahara" zu sehen. Dann aber wird diese Wanderausstellung nach Agadez übersiedeln, um den Darstellerinnen selbst eine kulturelle Reflexion über den Blick durch die Linse zu ermöglichen. Spätestens dann wird sich am Staunen oder am Gelächter der "Models" erweisen, ob der Künstlerin die visuelle Gratwanderung zwischen Orient und Okzident gelungen ist.

Wem die "Weltreise" zur Ausstellung nach Goldegg zu weit ist, findet die fotografischen Einsichten in den Alltag der Tuareg-Frauen auch im gleichnamigen "Bilderlesebuch", das nun vom Kulturverein Schloss Goldegg im Eigenverlag herausgegeben wurde. Hier findet der Leser zwischen den pittoresken Episoden zahlreiche Begleittexte aus der Feder führender Tuareg-Kenner aus dem deutschsprachigen Raum und kenntnisreicher Tuareg aus Agadez. Auch hier gelang die Balance zwischen der wissenschaftlich geprägten Zugangsweise des Westens und der bildhaften Schlichtheit einer ehemals oralen Kultur. Den Bildband durchzublättern, die Texte zu überfliegen und bei mancher Fotografie zu verweilen, gleicht fast dem traditionellen Lebensstil der Tuareg selbst: Es ist geistiges Nomadisieren auf der Suche nach Orten, wo man verweilen kann, um Tee zu trinken ...

Das Bilderlesebuch "Die Tuareg. Frauen-Bilder aus der Sahara" ist beim Kulturverein Schloss Goldegg unter Tel. 06415/8234-0 (oder: schlossgoldegg@aon.at) erhältlich und kostet 250 Schilling.

Einblicke in Afrikas Hinterhöfe Kulturverein Schloss Goldegg (Hg.): Die Tuareg. Frauen-Bilder aus der Sahara. 128 Seiten; Eigenverlag, Goldegg 2000. öS 250,-/e 18,17

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