Honorare und Honoratioren

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Die Ehre des Wissenschaftlers: eine vormoderne Standespflicht als Substanz von Wissenschaft und Universität.

David Kelly war ein Wissenschaftler in Diensten des britischen Verteidigungsministeriums. Dass er dennoch vor allem Wissenschaftler bleiben wollte, wurde seine Tragödie. Er suchte die Frage, ob Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze, ausschließlich nach Kriterien der Wahrheit, Falschheit und Überprüfbarkeit zu beantworten. Andere damit zusammenhängende Fragen, ob Saddam ein zweiter Hitler sei, ob man Krieg gegen ihn führen müsse, ob dem Irak eine Demokratie besser anstände als eine Diktatur, wie man mit Ministerien und Medien am passendsten umgehe, hat Kelly mit störendem Eigensinn als nachrangig behandelt. Es mag ja sein, dass es die wichtigeren Fragen sind. Darum haben auch die Wölfe, denen er zum Fraß vorgeworfen wurde, ihn als einen Naivling abgetan. Kelly hatte versucht, seine Integrität zu wahren. Er hatte sich über seine Stellung als Wissenschaftler in der Politik Illusionen gemacht und sie verloren. Nun sah er sich einer Welt gegenüber, in der er nicht weiterleben wollte. Nach einem letzten Verhör ist er von einem kleinen Spaziergang nicht mehr zurückgekommen.

Ehre und Standespflichten

Ehre ist das Maß an sozialer Anerkennung für erfüllte Standespflichten. Mit dieser ihrer Außenseite bindet sie ihren Träger an die Gesellschaftsordnung. Nach innen hin schreibt sie ihm bestimmte Handlungsweisen vor, verbietet ihm andere und legt ihn damit fest, womit sie ihm aber auch Haltung und Integrität verleiht. Die Balance zwischen Innen und Außen, zwischen dem Träger von Ehre und seinen Mitmenschen, ist schwierig und störanfällig. Die Ehre kann im sozialen Umgang gemehrt und gemindert, gewonnen und verloren werden. Stets aber muss man mit der Gesamtperson, wie der Fall Kelly zeigt mit Leib und Leben, für sie einstehen.

Ehre gedeiht in ständisch gegliederten Gesellschaftsordnungen, wo die Menschen in konkreten und stabilen Beziehungen leben. Sie ist damit etwas Vormodernes. Wo immer sich in der Moderne Reste solcher Beziehungsstrukturen erhalten haben, bleibt auch die Ehre wesentlich. Wo immer dagegen Beziehungen abstrakt und flüchtig werden, verliert sie ihre bindende Kraft. Der Markt wie die Bürokratie begünstigen einen weniger sperrigen, flexiblen Menschentyp. Über Menschen mit Ehrbegriffen wird eher zynisch gesprochen; sie gelten als "ehrpusselig". Es ist eine der Attraktionen des Egalitarismus, dass er davon dispensiert, eine Ehre haben und verteidigen zu müssen.

Uni als mittelalterliche Zunft

Zwar ist die Wissenschaft eine der Gestaltungskräfte der Moderne, doch in ihren sozialen Wurzeln ist sie vormodern. Die Universität etwa bleibt ihrem Wesenskern nach eine mittelalterliche Zunft, deren Angehörige in stabilen, konkreten, die Gesamtperson einbegreifenden Über- und Unterordnungsbeziehungen zueinander stehen. Die akademischen Grade, die sie verleiht, gewähren immer noch Distinktion. Dass sie Quanten ständischer Ehre sind, zeigen die Möglichkeit ihrer Aberkennung und das Ehrendoktorat. Dieses hat gleich der Honorarprofessur nichts mit einem Honorar, aber viel mit Honoratiorentum und Honorigkeit zu tun. All das widerstrebt jener Allianz von Wirtschaft und Bürokratie, die die Universitäten heute in die Zange nimmt. Diese sollen zu Unternehmen mit häufig wechselnden Angestellten werden, bildungspolitische Dienstleistungsbetriebe und Clearingstellen für Drittmittelforschung, und auf politische und wirtschaftliche Trends flexibel reagieren. Konflikte wie der, dem David Kelly ausgesetzt war, sind da nicht mehr fern.

Was sind nun aber die Standespflichten der Wissenschaftler? Der Soziologie Robert K. Merton hat sie zu formulieren versucht. Wissenschaftler sollen ihre Erkenntnisse in Zusammenarbeit methodisch überprüfen, keine sozialen, religiösen, rassischen und dergleichen Unterschiede dabei machen, sie großzügig und frei mitteilen und somit uneigennützig sein, sich die Wahrheitssuche also weder abkaufen lassen noch einem Machthaber oder Guru zum Opfer bringen. Das ist leichter gesagt als getan und wird in der Praxis mehr oder minder gut beherzigt. Eine geschenkte Ehre wäre ja auch wenig wert. Es leuchtet aber ein, dass es mit der übernationalen "Gelehrtenrepublik" und der für alle Menschen gültigen Wissenschaft vorbei wäre, wenn diese Standespflichten völlig wegfielen. Vom Wissenschaftler wird darum letztlich eine doppelte Loyalität verlangt, zur eigenen Gesellschaft und zur Gelehrtenrepublik. In der eigenen Gesellschaft bleibt er so immer ein wenig fremd und unhandlich, ein Rechthaber, Pedant und Naivling. Weil sein unzugängliches Tun aber doch praktisch verwertbar sein kann, genießt er dort auch Respekt.

Forschung und Geschäft

Das führt zurück zur Drittmittelforschung. Aufgrund dieses Respekts soll sie die Universitäten finanzieren helfen, wenn das die Regierung nicht mehr kann oder will - ein wahres Ei des Kolumbus! Doch der Drittmittelforscher ist bestenfalls ein redlicher Kaufmann oder Advokat, der seine Kompetenz dem Meistbietenden vermietet. Die Forschungspriorität setzt nun der Auftraggeber, also der Nichtwissenschaftler. Wird der Auftragnehmer seine Erkenntnisse auch dann weiterverfolgen und veröffentlichen, wenn sie dessen Interessen zuwiderlaufen? Wir hoffen es. Wenn es nicht weiterhin sperrige Gesellen mit Wissenschaftlerehre gibt, wird es auch mit dem Respekt vor der Wissenschaft bald vorbei sein. Kann sich das kleine Österreich auf die Dauer eine Wissenschaftslandschaft leisten, die von österreichischen Nichtwissenschaftlern dominiert wird?

Unbedachte Reform

Ja, aber die auswärtigen Gutachter! Die werden ein verkommendes System auch nicht retten. Immer hat man schon unerwünschte Gutachten durch erwünschte ausgehebelt, doch das neue Gesetz hat dieses Unwesen geradezu inflationiert. Akademische Gutachten werden nicht bezahlt, sie sind uneigennütziger Dienst an der Gelehrtenrepublik. Der Zyniker mag einwenden, sie dienten der Wichtigmacherei oder dem Machttrieb, der Realist sieht, dass sie viel Arbeit und, wegen verletzter Vertraulichkeit, Feinde machen. Es ist eine Schande, wie man hierzulande mit dem unbelohnten Einsatz der Gutachter umgeht. Zumindest in Deutschland hat sich das auch schon herumgesprochen, Gutachten sind schwerer zu bekommen oder werden inhaltsleer. Eine unbedachte Universitätsreform sucht die Ehre des Wissenschaftlers zugunsten seiner Flexibilität zu unterdrücken und möchte sie dabei doch ausbeuten, solange es sie noch gibt. Bis es bald nichts mehr gibt.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Salzburg.

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