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Seit 1994 betreut der Wiener Verein "Hemayat" Folter- und Kriegsüberlebende. Der Andrang auf medizinische und psychologische Hilfe ist groß - und die Warteliste lang.

Die Menschen kommen mit einem enormen Leidensdruck zu uns. Sie haben Schreckliches durchgemacht. Dabei sind die physischen Wunden oft nicht das große Problem; viel gravierender ist, dass das Vertrauen in die Mitmenschen zutiefst erschüttert wurde." Es gibt sie auch in Österreich: Menschen, die als Kriegs- und Folterüberlebende in unser Land geflüchtet sind. Der Verein ,,Hemayat" (persisch: Schutz) hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihnen zu helfen und sie medizinisch, psychologisch und psychotherapeutisch bestmöglich und umfassend zu betreuen.

Siroos Mirzaei, der medizinische Leiter des 1994 gegründeten Vereins, hat im Rahmen seiner Arbeit unzählige Lebens- und Leidensgeschichten gehört. 191 Personen aus 33 Ländern wurden allein im vergangenen Jahr von "Hemayat" betreut. Was nunmehr fehlt, ist die adäquate finanzielle Ausstattung. Die langen Wartelisten wären "unzumutbar", erklärt Martin Schenk von der Diakonie Österreich. Menschen, die Folter und Kriegstraumatisierungen erlitten haben, hätten ein Recht auf medizinische und psychotherapeutische Hilfe.

Die medizinische Betreuung gliedert sich in zwei große Aufgabenbereiche: Sie beginnt mit einer Erstuntersuchung, die helfen soll, somatische Beschwerden und Symptome, die auch von den Misshandlungen stammen können, zu diagnostizieren und eine entsprechende Therapie zu beginnen. Der zweite Schwerpunkt liegt in der Erstellung von ärztlichen Gutachten über die Übereinstimmung der Angaben zur Folter und dem klinischen Befund, der im Rahmen der Asylverhandlungen seitens der Behörde oder der rechtlichen Vertretung der Flüchtlinge beim Verein angefordert wird. "Untersuchen Sie den Mann", heißt es und "Lügt er?" Das von ,,Hemayat" erstellte Gutachten ist einer der Faktoren, der über das weitere Schicksal des Flüchtlings bestimmt.

Siroos Mirzaei ist Gründungsmitglied von ,,Hemayat" und arbeitet als Nuklearmediziner am Wilhelminenspital in Wien. Er hat eine international beachtete Methode entwickelt, wie man Folterspuren auch noch bis zu 15 Jahren nach dem Vorfall als solche feststellen kann. Damit konnte das Problem gelöst werden, dass viele Folteropfer erst Monate oder Jahre später von einem geschulten Arzt untersucht werden und die äußeren Verletzungen zu diesem Zeitpunkt längst abgeheilt sind, sodass der körperliche Nachweis einer Misshandlung meist nicht mehr möglich ist.

Neben dem medizinischen Aspekt werden den Folter- und Kriegsüberlebenden bei ,,Hemayat" auch psychologische und psychotherapeutische Betreuung angeboten. Erwin Klasek ist einer der acht Psychotherapeuten des Vereins. Seine Arbeit ist eine täglich neue Konfrontation mit erschütternden menschlichen Schicksalen. "Folter ist extrem persönlichkeitszersetzend. Nach diesem Ereignis ist nichts mehr so, wie es früher war, das Vertrauen in die Mitmenschen ist zerstört, das alte Wertesystem aus den Fugen geraten." Bei ,,Hemayat" habe er so wie seine Kollegen mit extrem traumatisierten Menschen zu tun.

"Trauma" ist das griechische Wort für Wunde und meint ursprünglich die körperlichen Konsequenzen, die ein Organismus nach einem gewaltigen Schlag erleidet. Ins Psychologische übertragen bedeutet Trauma die Konfrontation mit einem Ereignis, das real stattgefunden hat, dem sich das Individuum schutzlos ausgeliefert fühlt und bei dem die gewohnten Verarbeitungsstrategien versagen. Die Reizüberflutung ist so gewaltig, dass unbeherrschbare Angst entsteht. Als Folge treten meist langfristige psychische Störungen auf.

Die häufigste psychische Störung, die nach einer existenzbedrohenden Erfahrung wie Folter zu beobachten ist, ist die ,,Posttraumatische Belastungsstörung", kurz PTSD. Weitere Folgeerkrankungen sind anhaltende Depressionen, Angstsstörungen, Panikattacken, Zwangs- und Suchtverhalten, psychogene Ess- und Schlafstörungen, starke körperliche Schmerzen und psychosomatische Erkrankungen. Ein wesentliches Symptom in diesem Zusammenhang sind so genannte "flashbacks". Es sind zum Teil bizarre Alpträume und Bilder, die die Erinnerung an das Erlebte wachhalten. "Flashbacks" zeigen die Schreckensbilder wie in starkem Scheinwerferlicht; Bilder, Lautstärke und Intensität lassen sich dabei weder kontrollieren noch stoppen. Der Betroffene kann sich gegen dieses "Kino im Kopf" nicht zur Wehr setzen und meint oft, verrückt zu werden. Ein weiteres Symptom der Posttraumatischen Belastungsstörung ist, dass sich die Betroffenen beim Erzählen des Erlittenen so verhalten, als ob sie sich wieder in der traumatisierenden Situation befänden. Auch physische Zeichen von Übererregung sind häufig. Die Flüchtlinge beginnen während des Gesprächs zu zittern, zu schwitzen oder leiden unter Atembeschwerden. Kein noch so guter Schauspieler könne das glaubhaft vorspielen, weiß Siroos Mirzaei.

Die Experten von ,,Hemayat" gehen - oft mit Hilfe erprobter Dolmetschern - behutsam auf jeden einzelnen Fall ein und führen neben den medizinischen Untersuchungen Tests durch, um den Schweregrad der Symptome und das Ausmaß der psychischen Belastung zu messen. Andere psychische Probleme werden durch die Methode des differentialdiagnostischen Interviews nach dem Internationalen Klassifikationssystem der World Health Organisation durchgeführt.

Zu den physischen und psychischen Traumatisierungen kommen noch der Verlust der Heimat, des sozialen Umfelds, der Tod naher Verwandter und enger Freunde und das komplette Infragestellen des eigenen bisher geltenden Wertesystems. Durch all das belastet, sind viele der Folter- und Kriegsüberlebenden stark suizidgefährdet und müssen dringend behandelt werden. Für Arbeit ist bei "Hemayat" jedenfalls gesorgt: Laut UNO-Angaben sind fünf bis 30 Prozent aller Flüchtlinge Folterüberlebende.

Informationen über "Hemayat" unter (01) 216 43 06, Spenden auf das Raiffeisenkonto 6.718.282, BLZ 32 000

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