Hubert, was machst du?

19451960198020002020

Oder: Wie sich der Killerkapitalismus mit Huberts Hilfe von der Marktwirtschaft verabschiedet.

19451960198020002020

Oder: Wie sich der Killerkapitalismus mit Huberts Hilfe von der Marktwirtschaft verabschiedet.

Werbung
Werbung
Werbung

Eben noch galt es als Stereotyp des untätigen Ehemannes, wenn er nicht und nicht den tropfenden Wasserhahn reparierte, die kaputte Glühbirne oder Sicherungen nicht auswechselte. Die Zeiten haben sich geändert. Mit solchen Kleinigkeiten braucht mann sich heute nicht mehr aufzuhalten. Mann soll unternehmerisch handeln, Geld in Aktien-Fonds anlegen und möglichst rasch vermehren. "Hubert, mach was", tönt es den untätigen Partnern aus der Werbung entgegen. Und auf Plakaten wird gemahnt, doch nicht bloß Autos, Erfrischungsgetränke oder Modewaren zu kaufen, sondern lieber gleich Anteilsrechte an den Unternehmungen zu erwerben. Jeder Mann sein eigener Kapitalist, das ist modern, das signalisiert Aktivität und Unternehmergeist.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Ich halte Privateigentum - auch an Produktionsmitteln - und Marktwirtschaft für wichtig. Ich bin überzeugt, daß sich kommerzielle Bedürfnisse besser über Märkte als durch zentrale Planungen und politische Vorgaben befriedigen lassen. Nur: Die Wirtschaftsprozesse, die jetzt in Gang gekommen sind und politisch beschleunigt werden, haben mit "Marktwirtschaft" als einem Instrument, Angebote und Nachfragen zusammenzubringen, immer weniger zu tun. Märkte können nur dauerhaft und zum Nutzen der Allgemeinheit funktionieren, wenn politische Regelungsmechanismen darauf achten, daß der Wettbewerb fair bleibt, daß Informationen über das Marktgeschehen transparent sind und auch auf seiten des Angebots eine verpflichtende soziale und ökologische Verantwortung nicht verletzt wird. Funktionierende Märkte können Bedürfnisse befriedigen, sie sind aber nie ein Instrument der Chancengleichheit oder der Verwirklichung ökologischer und sozialer Ziele. Das ist unverzichtbare Kernfunktion der Politik.

Seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Volkswirtschaften im Jahr 1989 hat es den Anschein, daß die bislang einigermaßen sozialen und ökologisch lernfähigen Marktsysteme des Westens ein notwendiges Korrektiv, den Wettbewerb zu anderen Modellen der Bedürfnisbefriedigung, verloren haben. Die bislang der Angebotsseite durch die Sozial- und Umweltpolitik auferlegte Verantwortung schwindet rapid. Der Nachfrageseite werden wesentliche für Entscheidungen relevante Informationen bewußt vorenthalten; Mechanismen der Bevormundung werden politisch unterstützt. Gentechnisch manipulierte Nahrung, Tropenhölzer, Produkte aus Tierfabriken, ja sogar von Kindern oder Sklaven hergestellte Importwaren dürfen bunt und billig ohne Warnhinweis in die Verkaufsregale.

Immer größere Unternehmens- und Konzernverbände agieren über Grenzen der Nationalstaaten hinweg, streben globale Organisationsstrukturen an. Die Konzernzentrale ist meist nur mehr Verwaltungs- und Finanzzentrum. Die produktiven Tätigkeiten finden in rechtlich selbständigen Kapitalgesellschaften in aller Herren Länder statt; für die einzelnen Konzernbetriebe reicht es schon lange nicht mehr aus, Gewinne zu erzielen, sondern sie müssen besser sein, höhere Profite abwerfen als die anderen Konzern-Tochtergesellschaften. Die Konzernzentrale schickt ihre Töchter in einen eiskalten Verdrängungswettbewerb, droht dem jeweiligen Schlußlicht mit der Liquidation und spielt nationale Regierungen und Gewerkschaften gegeneinander aus.

Verschärft wird diese Problematik des Kapitals ohne Verantwortung durch das Massenphänomen des Erwerbs winziger Anteilsrechte von Kleinstanlegern wie unserem Hubert. Das Sparbuch ist out, Aktien und Investmentfonds sind in. Die Regierungspolitik feiert das als großen Fortschritt und forciert dies mit gesetzlichen Anreizen, damit immer mehr kleine Leute, für die der Erwerb von Eigentumsanteilen an Wirtschaftsunternehmen früher unvorstellbar war, jetzt zu frischgebackenen Aktionären werden. Der modisch-schlanke Staat verabschiedet sich Schritt für Schritt aus den Systemen der sozialen Sicherheit und schafft Anreiz zur "Eigenvorsorge". Hubert und seine KollegInnen werden zwar nicht mit irgendeiner staatlichen Mindestpension rechnen können, vielleicht aber, wenn alles gut geht, mit der Ausschüttung von angesparten Kapitalsummen, Zinsen und Zinseszinsen - je nachdem, wie geschickt die verschiedenen Pensionskassen, in die der Staat die ArbeitnehmerInnen lockt, das Geld von Hubert und anderen veranlagt haben.

Die Manager der Investment-, Anlage- und Pensionskassenfonds verwalten immer größere Kapitalmassen. Blitzartig aufgestiegene AbsolventInnen von Wirtschaftsunis, die nie einen Industriebetrieb von innen gesehen haben und dank ihrer Ultraerfolge einen Super-Yuppie-Lifestyle pflegen können, wittern jede kleine Schwankung bei den Unternehmensrenditen und dirigieren in Sekundenschnelle viele Anlagemilliarden dorthin, wo man rascher und mehr abzocken kann. Ehemals mächtige Industriebosse werden von den Kapitalfonds-Yuppies zum Rapport bestellt und müssen sich dem klaren Diktat der neuen Finanzgurus beugen: entweder noch mehr Rendite, oder Rückzug des Fonds und Wertverfall des Unternehmens und der Anteile. Und wenn europäische Fabriken die Traumrenditen nicht mehr schaffen, wenn der Rationalisierungsdruck an menschliche Grenzen stößt, dann wird sich schon noch irgendein Produktionsbetrieb in Asien, in Afrika oder Lateinamerika finden, der - meist mit Hilfe der Unterdrückungsmechanismen von Militärdiktaturen - die Vorgaben der smarten Yuppies doch noch schafft. Mit den ehemals mächtigen Chefs der großen Industriekonzerne konnte die Sozial- und Gewerkschaftsbewegung wenigstens noch Auseinandersetzungen austragen; durch den von Anlagefonds gesteuerten Kapitaltourismus hat der Kapitalismus das Gesicht verloren.

Nicht nur Industriebetriebe stehen unter dem Diktat der Finanzmärkte und ihrer gewissenlosen Gurus. Mittlerweile greifen die Herrscher über das Geld der kleinen Leute immer unverhüllter in das politische Geschehen ein. Sie belohnen Staaten, Regierungen und PolitikerInnen, die die neue Religion vom schlanken, sozial-politisch ausgemergelten Staat zu ihrem Credo machen, dem goldenen Kalb der zweistelligen Renditeraten huldigen und lästige Umwelt- und Sozialnormen abbauen. Als in Deutschland Oskar Lafontaine zurücktrat, da segneten die Hohepriester der internationalen Geldreligion das Land mit Anlagen aus ihrem Füllhorn und erlaubten den Aktienkursen wieder das Steigen. Die Freude bei den deutschen AnlegerInnen, bei den kleinen Leuten, die wie Hubert jetzt auch Aktien haben, wird darüber sicher groß sein, auch wenn der eine oder andere von ihnen demnächst selbst dem Rationalisierungsdiktat zum Opfer fallen kann. Hoffentlich reicht dann das angesparte Aktienkapital, um ohne staatliches Sozialnetz auch im Alter über die Runden zu kommen!

Die Finanzgurus sind freilich nur so mächtig und so einflußreich, wie die Politik es zuläßt. Nichts ist so dumm, so verantwortungslos und fahrlässig wie das Gerede von der quasi naturgesetzlich über uns hereinbrechenden Globalisierung. Hätte die Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts so argumentiert, hätte sie ihren ehemals erfolgreichen Kampf gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Bevormundung der ArbeitnehmerInnen erst gar nicht beginnen dürfen. Die politischen Instrumente, um die zerstörerischen Kräfte des Kapitalismus zu bändigen, sind theoretisch rasch erkannt. Es geht um eine gerechte Besteuerung der Einkünfte aus Kapital und Vermögen, um eine internationale Durchgriffshaftung gegen Konzernzentralen, wenn in Tochtergesellschaften irgendwo auf dieser Welt Sozial- oder Umweltnormen gröblich verletzt werden, es geht um eine zwingende Produktdeklaration (Labelling) nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten und um Handelsrestriktionen (z. B. Strafzölle) für Produkte, die durch Sozial- oder Umweltdumping gewonnen wurden. Statt eines MAI-Abkommens, das einen verantwortungslosen Kapitaltourismus politisch noch anheizen würde, brauchen wir ein internationales Abkommen über die ökologische und soziale Verträglichkeit und Nachhaltigkeit von Investitionen.

Wer meint, diese Forderungen klingen allzu utopisch, der oder dem gebe ich zu bedenken: Wenn es möglich war, Millionen von Menschen zum Erwerb von Kapitalfondsanteilen zu bewegen, dann sollte es auch möglich sein, Instrumente für einen entgegengesetzten Kurs zu entwickeln. Die Zahl derer, die auf eine international entschlossene politische Initiative der ökologischen und sozialen Verantwortung wartet, wird täglich größer.

Die Autorin ist Klubobfrau der Grünen im Nationalrat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung