Hüter, Mahner, Tröster

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Der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten geht ins Finale: In diesem Furche-Dossier debattieren Barbara Coudenhove-Kalergi und Albert Fortell über Vorzüge und Nachteile der beiden Kandidaten. Als Einleitung beschreibt Hofburg-Kenner Heinz Nußbaumer das Anforderungsprofil für die "schönste Aufgabe der Republik". Da Präsident nicht Präsident ist, werden auch die amerikanische und französische Präsidentschaft in den Blick genommen und Kabarettist Manfred Koch widmet sich sogar den Barfußjoggerpräsidenten. Redaktion: Wolfgang Machreich Die Hoffnung vieler Österreicher: Wo niemand sonst mehr helfen kann, bewährt sich vielleicht der Präsident, Doch Erwartungsdruck und reale Möglichkeiten klaffen beim höchsten Amt der Republik weit auseinander.

Es war Fritz Muliars Glanzrolle: Der alte, zornige Mann im Gitterbett, hilflos, verlassen und zum zweitenmal in seinem Leben deportiert. Gegenwart und Vergangenheit fließen ineinander: Die Kriegsgefangenschaft in Sibirien und die triste Wirklichkeit im Sterbezimmer seines Pflegeheimes. In einer letzten Auflehnung phantasiert er sich den Bundespräsidenten herbei, als Ohrenzeuge seiner Leidensgeschichte - und als Tröster.

In Felix Mitterers "Sibirien" geschieht, was sich Tag für Tag in ganz Österreich ereignet: Verzweifelte, vereinsamte, am Leben und am Sozialsystem gescheiterte Menschen suchen nach einem allerletzten Halt. Finden den Bundespräsidenten und bitten um sein Ohr, sein Mitgefühl, seine offene Hand. Ihre Not hat tausend Gesichter. Aber ihre Zuversicht ist immer die gleiche: Wo niemand mehr helfen kann, bewährt sich - vielleicht - der Präsident.

Kein anderes politisches Amt in unserer Republik steht unter ähnlichem Erwartungsdruck wie das des Bundespräsidenten. Kein anderes ist dem Bürger auch so undurchschaubar. Was macht der erste Mann eigentlich? Staatsbesuche, sicherlich. Orden verleihen. Eröffnen. Reden halten - am Nationalfeiertag und zu Neujahr sogar im Fernsehen. Wo er auftritt, häufen sich Hymnen und Fahnen, Ehrenkompanien und rote Teppiche. Und sonst? Irgendwie mutmaßt der Bürger eine Art Generalvollmacht - der Mann (die Frau?) in der Hofburg darf mehr als andere.

Dahinter "glänzendes Elend"

Die Ursachen für so viel unklare Vermutung sind vielfältig:

l Eine recht komplexer "Bauchladen" von Rechten und Pflichten - von der Ernennung und Entlassung der Bundesregierung, der Auflösung des Parlaments und dem Oberbefehl über das Bundesheer bis hin zur Legitimation unehelicher Kinder.

l Ein krasses Missverhältnis zwischen der Größe der Aufgaben und ihrer Anwendbarkeit: Alles, was nach Macht klingt, wird von der "Realverfassung" ausgehöhlt. Oder nur in Krisenzeiten aktuell. Wehe, der Präsident würde nicht den Chef der stimmenstärksten Parlamentspartei mit der Regierungsbildung betrauen - oder bestimmte Koalitionen ausschließen. Bleibt nur das steinerne Gesicht als Fluchtweg?

l Der offenkundige Kontrast zwischen der Volkswahl als demokratische Kraftspritze und der Begrenztheit seiner Machtmittel. Ein schöner Gedanke der Verfassungsväter: Das höchste Amt, vom Bürger - dem Souverän - persönlich legitimiert. Und doch ein zweischneidiges Schwert, wie das Beispiel Waldheim zeigt: Ohne Volkswahl (und Wahl-Polemik) hätte sich Österreich das Aufbrechen tiefer Klüfte erspart. Ohne Volkswahl - und klares Mandat der Bürger - aber hätte Waldheim die sechs Jahre im Trommelfeuer kaum durchgehalten.

l Und der Widerspruch zwischen äußerem Dekor und dem "glänzenden Elend" dahinter. Der Traum: der Präsident als weise, sozial engagierte Persönlichkeit, die - unabhängig von politischen Machtverhältnissen - denkt und handelt. Und die Hofburg als bürgernahes, offenes "Haus der Republik". Die Wirklichkeit: Ein winziger Personalstab, der das Entwickeln eigenständiger Überlegungen zu Schicksalsfragen kaum möglich macht. Ein Budget, das jede konsequente Gastgeberrolle dramatisch begrenzt. Das völlige Fehlen jener "Sozial-Schatulle", die es erlauben würde, in akuten Notfällen Mitmenschlichkeit zu üben.

Wen wundert es angesichts solcher Widersprüche, dass nicht einmal Spitzenpolitiker und Verfassungsexperten einig sind, ob Österreichs Bundespräsident eigentlich zu mächtig oder zu ohnmächtig ist. Ob sein Amt zurechtgestutzt oder aber - mangels Bedeutung - eingespart gehört. Dass beide Extrem-Möglichkeiten im Verlauf von nur wenigen Jahren (meist aus tagespolitischer Opportunität) in allen Parteien irgendwann Anhänger fanden, stützt die These vom tiefen Unverständnis über das höchste Amt im Staat.

Aller Widersprüchlichkeit und aller Begrenztheit zum Trotz: Es ist die schönste Aufgabe, die dieses Land zu vergeben hat. Vielleicht auch gerade deshalb. Denn das Amt wandelt sich und blüht - auch über den Verfassungsrahmen hinaus - mit der Überzeugungskraft des menschlichen Vorbilds und der natürlichen Autorität eines Staatsoberhauptes. Es wurzelt tief im Vertrauen der Bürger - und verdorrt im Misstrauen.

Ungeschminkte Worte erhofft

Noch immer wollen die Menschen in diesem Land zu ihrem ersten Mitbürger aufblicken - sofern er sich ihres Zutrauens würdig erweist. Noch immer erlaubt es dieses Amt wie kein anderes, mit wohlüberlegten Gesten ein Maximum an Wirkung zu erzielen. Noch immer erhoffen sich die Österreicher vom Bundespräsidenten das ungeschminkte, ehrliche Wort, gegen den Strich der öffentlichen Meinung gebürstet, wenn es der Dienst am Staat gebietet.

Ein Bundespräsident ist so stark oder schwach, wie er (sie) das Volk hinter sich weiß. Mit dem Tag der Angelobung tritt alles zurück, was ihn zuvor geprägt und getragen hat: politische Herkunft, religiöse Bindung, wirtschaftliche Unterstützung. Es ist der Schritt in die große Freiheit und Verantwortung, die nun eine doppelte Tugend verlangt: Mut und Demut. Wissen und Gewissen.

Österreich hat sein höchstes Amt in den bald 60 Jahren der 2. Republik immer in die Hände zweier Berufsgruppen gelegt: Erfahrene Politiker und weltoffene Diplomaten. Beide haben ihre Bewährungsprobe längst abgelegt. Ob das in Zukunft so bleibt? Dem Politikerberuf geht es in unserer Argwohngesellschaft nicht gut - und der rotweißrote Diplomat wird mit dem Zusammenwachsen Europas ein Stück Vertretungsanspruch nach außen verlieren.

Gefragt sein wird - so wie in jedem Beruf - mehr und mehr die menschliche Zuwaage: Charakterstärke, Heimatliebe, kompromisslose Überparteilichkeit, gelebte Bürgernähe. Und vor allem die überzeugende Übereinstimmung von Wort und Wahrheit.

Das menschliche Vorbild.

Der Autor ist Herausgeber der Furche und war von 1990 bis 1999 Sprecher der Bundespräsidenten Waldheim und Klestil.

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