I-Ging und Kuckucksschrei

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Der Hang der Menschen zu Magie und Aberglaube ist ungebrochen. Uralte Rituale und Bräuche durchmischen sich heute mit neuen Formen des "Glaubens" aus aller Welt.

Halten Sie sich beim Gähnen die Hand vor den Mund? Natürlich, das gehört sich schließlich so. Haben Sie schon einmal auf Holz geklopft, wenn Sie wollten, dass etwas Gutes bleibt? Bestimmt. Auf-Holz-Klopfen ist doch üblich. Würden Sie sich deshalb als abergläubisch bezeichnen? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht weil sie gar nicht wussten, dass man sich ursprünglich die Hand vor den Mund hielt, um die Seele nicht aus sich hinaus und den Teufel nicht in sich hinein schlüpfen zu lassen. Und dass man auf Holz klopfte, damit die neidischen Dämonen nicht hörten, wenn man vom Wohlergehen sprach.

Aberglaube und magisches Denken beherrschen de facto unser aller Dasein - viel mehr, als wir uns das bewusst machen wollen, schon gar nicht in Anbetracht unserer wissenschaftlich und technisch hochentwickelten westlichen Welt. Um sich etwas bewusst zu machen, muss man außerdem zuerst wissen, was dieses Etwas ist - aber bei der Definition des Aberglaubens tun sich selbst Experten schwer.

"Bei der Frage, was Aberglaube eigentlich ist, stößt man immer auf den Punkt: Wer definiert Aberglaube?" erläutert der Ethnologe Reinhard Johler. Die Hochreligionen taten den Aberglauben stets als Irrglauben ab, sahen darin aber doch auch den Versuch von Dämonen, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Aufklärung, Rationalismus, und Naturwissenschaften stellten die zweite Definitionsmacht dar. Alles, was nicht der Vernunft entsprach, wurde von ihnen zum Aberglauben erklärt. Ethnologen sehen in abergläubischen Ritualen altheidnisches Vorstellungsgut aus längst vergangenen Tagen, das sich in unsere Zeit hinübergerettet hat. Für die Psychologie schließlich sind magisches Denken und magische Handlungen ein Devianzphänomen -Sigmund Freud sah darin die typischen Verhaltensweisen von Zwangsneurotikern, die ihrem eigenen Denken eine übergroße Wirkkraft beimessen.

Wer auch immer sich berufen fühlte, Aberglauben zu definieren: Immer wurde er als der Glaube der anderen, also der "falsche" Glaube, gebrandmarkt. Die Vorsilbe "Aber" bedeutet eine Verkehrung. "Aberglaube" heißt demnach "der nicht wahre Glaube".

Magische Rituale nehmen in unserem Alltag eine große Rolle ein. Sie stellen sozusagen eine gesellschaftlich anerkannte Form des Aberglaubens dar. Dazu gehören das vierblättrige Kleeblatt, das wir uns zu Neujahr schenken, oder der Brautschleier, der vor bösen Blicken und Dämonen schützen soll. Die Reihe 13 im Flugzeug fehlt ebenso wie die Zimmernummer 13 in den meisten Hotels. Am Freitag, den 13. rechnen wir mit Unglück, und wenn wir Salz verschütten, werfen wir schnell eine Prise über die Schulter, um das Pech von uns abzuhalten. Und wer riskiert nicht hin und wieder einen verstohlenen Blick auf das Horoskop in der Zeitung? Wenn auch oft mit dem Halbsatz: "Ich glaube zwar nicht dran, aber &" Ein erstaunlich pragmatischer Umgang mit magischen Denkweisen scheint sich breitgemacht zu haben, ganz nach dem Motto: "Hilft es nicht, so schadet es nicht."

Im übrigen befindet man sich damit nicht in schlechtester Gesellschaft. Präsidentengattin Nancy Reagan beschäftigte jahrelang eine Astrologin, nach deren Horoskopen sich sogar die amerikanischen Regierungsgeschäfte gerichtet haben sollen. Wie den Memoiren von Donald Regan, Stabschef im Weißen Haus unter Präsident Ronald Reagan, zu entnehmen ist, wurden an Tagen, an denen die Sterne schlecht standen, des öfteren Ansprachen, Pressekonferenzen und sogar Reisen abgesagt.

Anfällige Sportler

Neben dem "kollektiven" Aberglauben, zu dem die Astrologie gehört, entwickeln viele Menschen eine Art "privaten" Aberglauben. Sie führen Rituale und magische Handlungen durch, und versuchen so, das eigentlich Unkontrollierbare zu kontrollieren. Besonders anfällig für solche Verhaltensweisen sind Sportler. Legenden ranken sich um die Rituale mancher amerikanischer Baseballstars vor dem Spiel. Auch dem Tennis-As Björn Borg wurde ein Hang zum Aberglauben nachgesagt, der in seiner Familie zu liegen schien. Bei seinem vierten Wimbledon-Sieg aß Björns Mutter Margarethe, die auf der Zuschauertribüne saß, unentwegt Bonbons, um ihrem Sohn zu helfen. Als sie eines ausspuckte und Björns Gegner daraufhin aufholte, hob sie das Bonbon vom schmutzigen Boden auf und steckte es wieder in den Mund. Sie war überzeugt davon, dass es zwischen ihrem Lutschen auf der Tribüne und dem Spiel ihres Sohnes auf dem Center Court einen geheimen Zusammenhang gäbe.

Der Glaube an geheime Zusammenhänge zwischen allen Dingen ist typisch für magisches Denken. Abergläubische Menschen vermuten eine Kausallogik zwischen Ereignissen, die nach rationalen Überlegungen eigentlich keinen Zusammenhang haben können. "Ich habe mir zum Beispiel nach jeder Schularbeit meine Note aus der Nummer des Straßenbahnwaggons berechnet, mit dem ich gefahren bin", erinnert sich die Religionspsychologin Susanne Heine. "Natürlich hatte die Nummer des Waggons nichts mit meiner Schularbeit zu tun. Die Kausallogik war sozusagen auf den falschen Gegenstand bezogen. Aber gerade diese Verschiebung ist charakteristisch."

Magische Handlungen und Rituale entstehen oft einfach aus dem Missverstehen von Zufällen, oder aus Irrtümern bei logischen Schlussfolgerungen. Einmal entstandene abergläubische Vorstellungen sind dann sehr hartnäckig und werden beibehalten, auch wenn alle Indizien dagegen sprechen.

Eigene "Logik"

Das Bedürfnis, Ereignisse in ein System von Ursachen und Wirkungen einzuordnen, scheint uns in die Wiege gelegt zu sein. "Menschen sind deutende Wesen", erklärt Susanne Heine. "Durch selbstgeschaffene Erklärungsmuster bringen sie ihr Leben in einen Deutungsrahmen, sodass nicht alles aus einer Kette von Zufällen besteht. Denn letztlich ertragen wir Menschen den Zufall nicht."

Zumindest die Welt im Kleinen soll ihre Erklärbarkeit haben, ist auch der Ethnologe Reinhard Johler überzeugt. Er beobachtet zur Zeit eine erstaunliche Pluralisierung des Aberglaubens. "Da kommen ganz neue Formen zu uns, vom Schamanentum bis zum indianischen Heilwissen." Hat man früher beim Kuckucksschrei mit der Geldbörse geklimpert, auf dass sich die Münzen vermehrten, hängt man heute zum selben Zwecke chinesische I-Ging-Münzen an die Haustür. An die Stelle des Hufeisens sind afrikanische Schutzgeister getreten, die böse Mächte vom Haus abwehren sollen.

Reinhard Johler vermutet hinter dieser Form der Esoterik eine Antwort auf die Komplexität der Welt, in der wir heute leben. Einerseits, so sagt er, sei der weltweite Zugriff auf verschiedenste Kulturen möglich geworden, andererseits müssten die importierten Glaubensformen jeweils vor Ort einen Sinn ergeben: "Die Amulette, die gegen irgendwelche afrikanischen Geister geschützt haben, erklären etwas in unserer eigenen Kultur und schaffen hier Sicherheit."

Magische Bräuche und persönliche Rituale geben uns das Gefühl, zumindest einen Teil unserer komplizierten Welt kontrollieren zu können. Und das wäre ja an sich nichts Falsches, wie Johler meint.

Außerdem habe vieles, was als Aberglauben gesehen wird, im Grunde "auch seine eigene Logik".

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