"Ich habe sehr viel notiert"

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Seit 1998 ist Jirí Grusa tschechischer Botschafter in Wien. In diese Zeit fielen die Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk Temelín und um die Benes- Dekrete. Mitte März geht seine Amtszeit zu Ende. Ende November 2003 wurde Grusa in Mexiko zum Präsidenten des Internationalen PEN-Clubs gewählt. Am 24. März wird er die Leipziger Buchmesse eröffnen.

Die Furche: Herr Botschafter, mit welcher Bilanz verabschieden Sie sich aus Wien? Wie sind die tschechisch-österreichischen Beziehungen derzeit?

Jiri Grusa: Der Erfolg besteht darin, dass es trotz aller negativen Bemühungen nicht gelungen ist, die Beziehungen zu vernichten. Aber wenn ich zurückdenke, muss ich schon sagen: Es war eine schöne, aber harte Zeit.

Die Furche: Was war das Härteste?

Grusa: Es war diese plötzlich auftauchende emotionelle Belastung der Beziehungen. Und das war gefährlich, dass wir psychologisch wieder die alten Kloaken öffnen.

Die Furche: Sind sie jetzt beseitigt?

Grusa: Es ist ja auch in Prag - jetzt kann ich das offen sagen - klar, dass man eine gemeinsame Tradition nicht auf diese Art und Weise behandeln darf.

Die Furche: Und was war das Schönste in Ihrer Zeit in Wien?

Grusa: Das Schönste war diese Vertrautheit hier, die kulturelle Atmosphäre und auch endlich einmal zu erleben, dass die Wurzeln wirklich gemeinsam sind.

Die Furche: Werden Sie das vermissen oder bleiben Sie ein halber Österreicher?

Grusa: Die Österreicher haben mich als PEN-Präsident vorgeschlagen, und so werden die Agenden des Präsidenten über dieses Büro abgewickelt; das heißt, ich bleibe mit Wien verbunden.

Die Furche: Sie selbst haben Publikationsverbot, Haft und Ausbürgerung erlebt. Der PEN ist für seinen Einsatz für die Freiheit des Wortes bekannt. Was ist Ihr Programm als PEN-Präsident?

Grusa: Das ist eine Aufgabe, wo ich mich wirklich persönlich verpflichtet fühle, das, was für mich getan wurde, jetzt für andere zu tun. Die Lage der Schreibenden in der Welt hat sich nämlich nicht verbessert in den letzten zehn Jahren, sie wird immer schlechter.

Die Furche: Von Europa aus scheint 1989 ein großer Fortschritt. Wo wird es zunehmend schlechter?

Grusa: Wir haben hier eine wichtige Verbesserung erlebt, aber das bedeutet nicht, dass das anderswo besser geworden ist. Die ehemalige Sowjetunion, die Ukraine, Weißrussland - da müssen wir uns mehr einsetzen. Dann gibt es eine ziemlich grausame Ecke: die heutige kubanische Entwicklung - das sind Strafen nicht unter 25 oder 30 Jahren. Und es gibt natürlich Burma.

Die Deutschen haben ein schönes Wort: "mundtot machen" - das geht nicht auf Tschechisch - und das beschreibt die Technik einfach perfekt. Aber die Freiheit des Wortes bedeutet natürlich nicht, dass man alles sagen muss. In meinen Augen hat das eine sehr wichtige Voraussetzung: dass man frei ist. von Hass.Diese Kombination ist die schwierigste, aber auch die wichtigste.

Die Furche: Sie sagen, "mundtot machen" geht nicht auf Tschechisch - Sie selbst schreiben in zwei Sprachen. Schreiben Sie Gedichte auf Deutsch und Prosa auf Tschechisch oder wie trennen Sie das?

Grusa: Ich bin vertrieben worden aus der Sprache, in der ich kein schlechter Autor war. Ich habe eine "Kur" gewählt und gesagt: Wenn ihr wollt, schreibe ich auch in deutscher Sprache. Und weil die Deutschen mir damals so geholfen haben und mich die deutsche Literatur immer interessiert hatte, war das für mich zwar nicht einfach, aber langsam stellte ich fest, dass ich mehr Deutsch schreibe als Tschechisch, und das ist bis heute so geblieben.

Die Furche: LibuÇse Moniková hat einmal gesagt, sie müsse auf Deutsch schreiben, sie brauche die Distanz der fremden Sprache, um Distanz zu gewinnen zu dem, was ihr geschehen ist.

Grusa: Sie hat diese Entscheidung freiwillig getroffen, ich bin hineingeworfen worden. Aber es war auch dieselbe Distanz zu dem Eigenen, die man mir vorgeworfen hat - dass ich nicht genug patriotisch sei, nicht genug sozialistisch, nicht genug dies und jenes.

Die Furche: Jetzt haben Sie ein Jahrzehnt als schreibender Botschafter hinter sich. Am Tag in der Sprache der Dekrete und am Abend und Wochenende in der Sprache der Gedichte - Wie geht das?

Grusa: Das geht nicht einfach und ich habe auch nicht viel geschrieben in diesen zehn Jahren. Aber ich habe sehr viel notiert.

Die Furche: Und was werden Sie jetzt schreiben?

Grusa: Ich möchte eine Novelle schreiben, und ich weiß sogar, was ungefähr. Aber weil ich abergläubisch bin, sage ich es nicht, denn immer, wenn ich einen Plan verraten habe, habe ich es nicht mehr fertig gebracht, das zu schreiben.

Die Furche: Vor einigen Jahren habe ich Ludvík Vaculík gefragt, ob die Tatsache, dass mit Vaclav Havel ein Schriftsteller in Tschechien Präsident geworden ist, ein hohes Ansehen der Literatur bedeutet. Er lachte und meinte: Im Gegenteil: So tief ist die Literatur gesunken - auf ein politisches Amt. Wie sehen Sie das?

Grusa: Wir haben eine Marktlücke oder eine Politlücke ausgefüllt, denn in einer bestimmten Krise brauchte man die Literaten, weil sie besser formuliert haben, weil sie etwas riskiert haben, was die normale Politik bei uns nie riskiert. Wenn man die tschechischen Präsidenten anschaut, dann bedeutete Jan Masaryk etwas und Václav Havel. Und die anderen sind die normalen Tüftler der Politik - immer mit der Begründung, sie basteln an der besseren tschechischen Zukunft, aber meist haben sie an der schlimmeren gebastelt.

Aber in dem Sinn hat Vaculík recht: Havel hat darunter gelitten, dass er nicht schreiben kann und dass die Sprache der Literatur beeinflusst war durch die Kalk-Mentalität der politischen Sprache. Das ist etwas anderes: Gerade die genaueste und klügste Formulierung wird sofort herausgestrichen aus einem politischen Text.

Die Furche: Das heißt also, jetzt brechen gute Zeiten an für die tschechische Literatur, wo Autoren nur Schriftsteller sein können.

Grusa: Aus Ihrem Mund in Gottes Ohr! Hoffentlich!

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Die Kalk-Mentalität der politischen Sprache

Im Büro des Österreichischen PEN-Clubs, wo das Gespräch stattfindet, fühlt sich JiÇrí GruÇsa wohl: Von hier wurde er als Präsident des Internationalen PEN vorgeschlagen, von hier aus wird er seine Geschäfte führen. GruÇsa wurde 1938 in Pardubice/Südböhmen geboren, studierte an der Prager Karlsuniversität und promovierte 1962 in Philosophie.

Er übersetzte Rilke und Kafka ins Tschechische. 1968 wirkte er am Prager Frühling mit, während des Husák-Regimes war er Angestellter in verschiedenen Bauunternehmen.

Wie Vaclac Havel oder Ludvík Vaculík gehört zu den Unterzeichnern der Charta 77. 1978 wurde GruÇsa nach der Veröffentlichung des Romans "Der 16. Fragebogen"

verhaftet,1981 gegen seinen Willen ausgebürgert,

wohnte von da an in Bonn und erwarb 1983 die deutsche Staatsbürgerschaft. In der BRD gab er Havels Briefe an

Olga heraus, publizierte eine Anthologie verbotener tschechischer Autoren sowie Erinnerungen an den Prager Frühling. 1989 wurde GruÇsa zum Botschafter der Tschechoslowakei in Bonn ernannt, 1997 war er kurzzeitig Bildungsminister. Auf Deutsch veröffentlichte er u.a. die Gedichtbände

"Babylonwald" (1990) und "Wandersteine" (1994) sowie eine "Gebrauchsanweisung für Tschechien" (1999).

Die politische und diplomatische Karriere hinter sich

zu lassen, empfindet er als Erleichterung.

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