"Ich tobe mich nicht aus, ich demonstriere!"

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Von den einen als Altlinke, 68er und vandalierende Anarchos tituliert, von anderen als eventsüchtige Kids oder Internet-Freaks etikettiert: Was wollen die jungen Demonstranten mit ihrem Protest wirklich?

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Von den einen als Altlinke, 68er und vandalierende Anarchos tituliert, von anderen als eventsüchtige Kids oder Internet-Freaks etikettiert: Was wollen die jungen Demonstranten mit ihrem Protest wirklich?

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Die Zahnbürsten biegen sich. Sorgfältig wird ein Stein nach dem anderen abgeschrubbt, und der Regen tut das Übrige, um das Pflaster auf Hochglanz zu bringen. Ein Dutzend grell-bunter Punks mit "Asozial"-Aufklebern am Rücken kniet vor dem Hrdlicka-Denkmal bei der Albertina in der Wiener Innenstadt und protestiert schrubbend gegen die Einführung von Zwangsarbeit für Langzeitarbeitslose. "Wir sind einfach spontan hergekommen, um dagegen zu demonstrieren", erklärt der selbsternannte Sprecher der Aktionisten dem Häufchen Schaulustiger, während neben ihm ein junger Mann mit Videokamera nach der spektakulärsten Perspektive sucht.

Kein Zweifel: Es liegt Empörung in der Luft, doch die Punks haben offensichtlich auch ihren Spaß am Zahnbürstenprotest, besonders auch an der Betroffenheit der Passanten. Ist den Gegnern der blau-schwarzen Regierung also für ihre Aktionen jedes Mittel recht? Ja, und zu Recht, meint der Wiener Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier, denn die Zeit rationaler Diskussionen sei bei den Jugendlichen endgültig vorbei: "Da helfen nur grotesk-witzige Strategien. Die Jungen sind nicht mehr bereit, in einen ernsten Diskurs mit den Politikern zu treten." Groteskes allerorten, Zynisches wohin das Auge reicht: Vor allem im Internet tummeln sich mehr und mehr Homepages, die ihr Veto zur neuen Regierungsmannschaft mit der Lust am Querschießen zu verbinden wissen. Da erklärt Helmut Heiland vom politischen Internetmagazin "popo.at" (politische Potentiale) die FPÖ zum Anwalt der Grantigen, Gierigen und Neidischen und sieht in den heiteren Demonstranten einen Gegenpol. Da sammelt "underground resistance" Geld für ein Inserat in der "International Herald Tribune", das tatsächlich am 19. Februar geschaltet wird und seine Vorlage - die von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider unterzeichnete Präambel - lustvoll konterkariert.

Daß sich Spaß und Ernst beim Protestieren nicht notwendig ausschließen, erklärt auch Philipp Fleischmann von der Schüler(innen)aktionsplattform, den Mitinitiatoren des Schülerstreiks vom vergangenen Freitag: "Es gehen relativ wenige nur wegen der Hetz zu den Demos, aber man wird sie auch nicht extra schmähen. Bei den Jugendlichen spüre ich eine irrsinnige Wut, mit Spaß vermischt." Etwas kritischer tönt es aus der Telefon-Hotline für die Großdemonstration vom 19. Februar: "Der Event-Charakter kommt natürlich besonders bei den Jugendlichen an, doch vielleicht beginnen sie dabei umzudenken. Das Problem bei solchen Events beginnt, wenn sich ,alle lieben' und keiner hinter der politischen Botschaft steht."

Eine Befürchtung, die auch Friedrich Wolfram teilt. Der Sekretär des Katholischen Akademikerverbandes der Erzdiözese Wien sieht "eine ernste Gefahr" für die politische Kultur, wenn einer "Erlebnisgesellschaft" der bloße Urnengang nicht mehr genügt, um Politik zu "erleben", und sie darum zu "archaischen Austragsformen" greift. Sein Appell an die Jugendlichen: "Mischt euch in die Politik ein - aber dort, wo sie stattfindet!"

Samstag 19. Februar: Der Ring füllt sich mit Bannerträgern und Verkleidungskünstlern, und es scheint, als würde gerade hier und nirgendwo anders Politik gemacht. Erhitzte Gemüter schwenken ihre Fahnen und skandieren unablässig "Widerstand". Der Rummelplatz politischer Interessen zieht sternförmig zum Heldenplatz. "Haider is Hitler" ist zu lesen und "French philosophers against Haider". Eine Truppe junger Belgier hält ein überdimensionales Marx-Portrait im Gedränge fest, dahinter schwenken sie Transparente mit der Aufforderung "Stop Vlaams Blok". Ein paar Meter weiter heißt es "Wir Frauen klagen an" und "Verteidigung unserer Interessen gegen den Kapitalismus, seinen Staat und seine Parteien!"

Ende einer Schimäre Die Zeit der österreichischen Gemütlichkeit scheint Geschichte zu sein, und jene vielbeschworene Entpolitisierung der Jugendlichen - falls es sie je gegeben hat - ist es auch. "Die Schüler sind sicher nicht wegen der Hetz streiken gegangen, viele sind sogar Repressionen ausgeliefert gewesen", meint ein blonder Bursch und verteilt weiter Flugblätter mit der Aufschrift "Streik jetzt! Widerstand ausweiten!". Er komme von der sozialistischen Linkspartei, den Mitorganisatoren des freitägigen Schülerstreiks. Der Direktor einer Wiener Schule habe sogar kurzerhand die Pforten geschlossen und die Schülerinnen und Schüler am Demonstrieren gehindert, behauptet er entrüstet und bahnt sich weiter den Weg durch die Masse.

Etwas abseits steht ein Grüppchen Jugendlicher. Ob sie nicht nur wegen des Events gekommen wären, lautet die Frage. "Vergnügen könnte ich mich besser woanders, wo's nicht kalt ist und regnet" versichert ein junger Philosophiestudent glaubhaft. "Was mich aber stört, sind die Vermummten" unterstreicht er und deutet auf ein dahinschlenderndes Pärchen mit Palästinensertüchern über dem Gesicht. Nebenan erklären drei angeheiterte Münchner ihr Kommen bemüht systematisch: "Wir sind A da, weil's Spaß macht und B, weil's sinnvoll ist." Ein anderer Sympathisant aus Deutschland begründet seine Anreise schon pathetischer: "Das hier ist keine österreichische, sondern eine europäische Angelegenheit. Wir solidarisieren uns mit euch."

Ernst und Ausdauer der Demonstrationen werden von vielen in Frage gestellt, besonders von Seiten der Regierung. So sieht Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in den Großdemonstrationen die Möglichkeit, "daß sich die Altlinken, die 68er, die Jungen und die Internet-Generation noch einmal austoben können".

Dieser Rundumschlag stößt nicht nur bei den Demonstranten auf Unverständnis. Auch Bernhard Rathmayr, Professor am Institut für Erziehungswissenschaften an der Universität Innsbruck, wehrt sich gegen solch "dumme Diffamierungen, die von fehlendem analytischen Bewußtsein" zeugen. "Die Straße ist das Medium der nichtorganisierten Öffentlichkeit, und die braucht eine Demokratie dringend. Für eine Massenpsychose gibt es hier überhaupt kein Anzeichen: Selten noch wurde ein so differenzierter Diskurs geführt. Und Mitläufer, die sitzen auch im Parlament." Den Vorwurf, viele kämen nur des Events wegen, läßt er ebenfalls nicht gelten: "Es wäre ja der Idealfall der Demokratie, wenn Demonstrieren, das Kundtun der eigenen Meinung, Lust bringt."

Eine klare Replik auf die Vorwürfe des Bundeskanzlers bringt auch ein Demonstrant vor. Sein Täfelchen geht in der wogenden Masse des Heldenplatzes fast unter: "Ich tobe mich nicht aus, ich demonstriere!"

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