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Wie sterben? Unter welchen Umständen nicht mehr weiterleben wollen? Die Patientenverfügung gibt dem Kranken die Autonomie, medizinische Leistungen abzulehnen. In der Praxis gibt es aber noch einigen Klärungsbedarf.

Das wollen wir unseren Kindern nicht antun", sagt Frau N. und erzählt von drei Schicksalsschlägen in ihrer Bekanntschaft, die sie tief bewegt hatten: Drei Menschen wurden von einem Tag auf den anderen durch Krankheit oder Unfall zu Wachkomapatienten. "So dahinvegetieren, nein, das wollen wir nicht."

Vor drei Wochen schloss die 62-jährige Niederösterreicherin und ihr Ehemann eine Patientenverfügung ab. Im Falle eines Komas ohne Aussicht auf Besserung werden gewisse Behandlungsmaßnahmen abgelehnt. "Wir sind schon lange damit schwanger gegangen", erzählt sie über den langen Weg der Auseinandersetzung mit diesem Thema. "Mein Vater starb, als ich zwölf Jahre alt war. Der Tod war immer in meiner Familie gegenwärtig." Auch jetzt noch: Ihr Mann hatte kürzlich zwei unverschuldete Unfälle, beide gingen relativ glimpflich aus. Bei Frau N. wurde eine Krebserkrankung im Vorstadium entdeckt, sie gilt nun als gesund. Doch jedes Mal stellte sich die bange Frage nach dem "Was wäre, wenn …"

In ihrem Freundeskreis stieß die Entscheidung auf wenig Verständnis. "Die wollen sich nicht mit dem Tod auseinander setzen", sagt sie. Ihre Kinder akzeptierten die Entscheidung. Vor allem mit einer ihrer Töchter, die Ärztin ist, wurde die praktische Seite der Patientenverfügung besprochen. "Hätte jemand beispielsweise einen Unfall und käme ins Krankenhaus, dann müsste die Akut-Versorgung durchgeführt werden. Aber wenn schon eine Magensonde gelegt ist, würde sie doch kein Arzt nachher wieder entfernen, auch wenn man zuvor festgelegt hat, dass man diese ablehnt. Das wäre aktive Sterbehilfe. Das ist ein Dilemma in der Praxis."

Die Möglichkeit einer Patientenverfügung besteht seit nunmehr über einem Jahr, geschätzte 1400 Menschen haben es Frau N. gleichgetan und ihren Willen verbindlich zu Papier gebracht, welche medizinische Leistungen sie bei Urteilsunfähigkeit ablehnen würden. Maßnahmen, der aktiven, direkten Sterbehilfe können aber nicht Gegenstand der Patientenverfügung sein. Ein erster wichtiger Schritt in Richtung Patientenautonomie, wie Experten übereinstimmend das erste Erfahrungsjahr resümieren. Doch die Praxis deckte auch einige Probleme des Gesetzes auf.

"Das Patientenverfügungsgesetz ist ein großer Gewinn an Rechtssicherheit für Patient und Ärzte", betont auch Belinda Jahn, Juristin bei der niederösterreichischen Patienten- und Pflegeanwaltschaft. Für Unsicherheit und Interpretationsspielraum sorgt aber vor allem ein Punkt: Das Gesetz sieht vor, dass eine Bestimmung der Patientenverfügung ungültig wird, wenn sich der Stand der Wissenschaft diesbezüglich wesentlich geändert hat. Belinda Jahn meint, dass es diesen Zusatz nicht gebraucht hätte, denn im Falle eines "Irrtums" sei die Patientenverfügung ohnedies ungültig. Zudem müsse die Verfügung alle fünf Jahre aktualisiert werden. Bei dieser Gelegenheit könnten auch medizinische Neuheiten einfließen.

Verfügung mit Wehwehchen

Die Kosten zu Erstellung der Patientenverfügung sind ein weiterer Kritikpunkt. Nur direkt bei der Patientenanwaltschaft ist die Erstellung kostenlos; Anwälte und Notare verlangen genauso Honorare wie Ärzte, welche die Beratungsgespräche führen. Die Erstellung sollte über die Krankenkasse abgegolten werden, schlägt Jahn vor. Je nach Honorar können bis zu 600 Euro für die Erstellung der verbindlichen Verfügung anfallen. Auch die Erneuerung alle fünf Jahre sollte kostenlos sein.

Der Betroffene erhält dann eine Hinweiskarte, die in der Ausweistasche mitgetragen werden soll. Im Falle eines Notfalls muss zunächst die akute Erstversorgung durchgeführt werden, dann erst stellt sich die Frage, ob der Patient eine Verfügung mit sich trägt. In manchen Fällen können Vertrauenspersonen die Ärzte informieren, aber ansonsten bleibt den behandelten Ärzten nur der Blick in die persönlichen Papiere. Das jetzige Vorgehen sei unbefriedigend, betont Belinda Jahn. Ein Vermerk bei den E-Card-Daten oder in einem zentralen Register wäre sinnvoll.

Jahn warnt davor, die "beachtliche" Patientenverfügung gegenüber der rechtlich verbindlichen abzuwerten (siehe unten). Die "beachtliche" Vereinbarung kann informell zwischen Arzt und Patient vereinbart werden, gibt eine Richtung vor, lässt aber einen gewissen Interpretationsspielraum für den Mediziner offen. Ein Beispiel: Ein Patient ist chronisch krank, die Krankheit verschlechtert sich zunehmend, der Betroffene hat einen Arzt des Vertrauens und bespricht mit diesem Wünsche der Behandlung. Die verbindliche Patientenverfügung wiederum muss konkrete Vereinbarungen beinhalten, deren Nichtbefolgung straf- und zivilrechtlich verfolgt werden kann. Ein solcher Fall ist aber noch nicht bekannt. Verfügungen sind aber bereits zur Anwendung gekommen. Es herrscht aber laut Jahn noch eine große Unsicherheit in den Krankenhäusern.

Drei große Gruppen wurden als "Konsumenten" der Patientenverfügung ausgemacht, wie eine Studie des Institutes für Ethik und Recht in der Medizin feststellte: "Zunächst meist ältere Menschen, die nicht krank sind, aber eine klare Vorstellung haben, wie sie sterben wollen oder wie nicht. Dann kranke Menschen, die sich mit Krankheit und deren Verlauf auseinandergesetzt haben und ihre Wünsche festlegen wollen. Zuletzt Angehörige der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas, die jede Form der Bluttransfusion ablehnen", erklärt Maria Kletecka-Pulker, Juristin am Institut für Ethik und Recht in der Medizin. "Es gibt Menschen, die haben das Bild vom, guten Sterben' vor sich, andere wiederum haben persönliche Erfahrungen gemacht und sagen sich, so will ich es nicht", so Kletecka-Pulker. Einige, vor allem bereits Erkrankte, seien gut über das Patientenverfügungsgesetz informiert, bei anderen sei viel Informationsarbeit notwendig. Manche meinten, es sei eine "Eintrittskarte für ein schönes Sterben", hätten aber keine konkreten Vorstellungen davon.

BUCHTIPP:

Das österreichische Patientenverfügungsgesetz Ethische und rechtliche Aspekte

Von Ulrich Körtner, Maria Kletecka-Pulker, Christian Kopetzki Springer Verlag, Wien, New York 2007 256 Seiten, kt., € 29,95

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