Ich will nicht wegschauen“

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Innenministerin MARIA FEKTER über Integrationskonzepte der ÖVP und ihren viel kritisierten Begriff „Kulturdelikt“ für Verbrechen wie Zwangsheirat.

Die Furche: Frau Ministerin, Sie gelten bei vielen als „Ministerin fürs Grobe“ und als jene Ministerin, die durch harte Parolen gegen Zuwanderer potentielle FPÖ-Wähler an die ÖVP binden sollte. Stimmt dieses Bild?

Maria Fekter: Die Innenministerin ist neben der Sicherheit auch für Integration zuständig. Wir haben in manchen Regionen, meistens im Nahbereich von Ballungsräumen, einen sehr hohen Ausländeranteil, der uns größere Probleme bereitet. Einerseits auf Grund der mangelnden Integration, andererseits auf Grund subtiler Ängste in der Bevölkerung, die auch daher kommen, weil wir eine sehr hohe Kriminalitätsrate unter Ausländern haben. Daraus resultiert die Erwartungshaltung an mich. Die Ängste der Bevölkerung muss man ernst nehmen und darauf Antworten geben, ansonsten, wenn man sie verschweigt, liefert man den Populisten eine Bühne.

Die Furche: Aber noch einmal: Trifft diese Rollenzuschreibung zu?

Fekter: Ich bin als langjährige Politikerin gewohnt, dass man mich kritisiert und mir Attribute umhängt, ob sie mir gefallen oder nicht.

Die Furche: Auf den ersten Wahlplakaten Ihrer Partei liest man: Ohne Deutschkurs keine Zuwanderung. Darüber hinaus hört man sehr wenig. Ist das alles, was die ÖVP in puncto Integration zu bieten hat?

Fekter: Ich habe hier vor mir die Integrationsstrategie, diese wurde noch von meinem Vorgänger Günther Platter ausgearbeitet. Das ist ein 30-seitiges eng beschriebenes Papier; da sind 100 Einzelmaßnahmen drinnen. Bedauerlicherweise hat sich niemand die Mühe gemacht, das im Detail zu lesen, sondern man hat sich immer nur auf diesen einen Punkt – Deutsch für Zuwanderer – konzentriert.

Die Furche: Die ÖVP hat diesen Fokus für ihre Plakate gewählt.

Fekter: Man kann nicht alle 100 Punkte plakatieren. Diese Integrationsstrategie beinhaltet Maßnahmen in allen Bereichen, zum Beispiel müssen wir Frauen in der Integration stärken. Die Emanzipation hat hier heillos versagt, hier müssen wir quasi bei Null beginnen.

Die Furche: Sie haben kürzlich mit einem Begriff für starke Kritik, vor allem bei Vertretern von Migrantinnen, gesorgt: nämlich „Kulturdelikt“, als Mengenbegriff für Delikte wie Genitalverstümmelung, Zwangsehe, Ehrenmorde. Stehen Sie noch dazu?

Fekter: Da stehe ich voll und ganz dazu. Denn man muss diese Delikte einmal beim Namen nennen. Es muss Unrechtsbewusstsein geschaffen werden. Ich möchte die betroffenen Mädchen schützen und sie bestärken, sich unter den Schutz der österreichischen Rechtsordnung zu begeben. Man darf nicht sagen: Naja, es ist halt ihre Kultur und Tradition, dass sich die Frauen die Gewalt der Männer irgendwie gefallen lassen müssen, daher ist die Schuld der Männer nicht so groß. Das kann ich nicht tolerieren.

Die Furche: Justizministerin Berger sagt, diese Delikte seien alle ohnehin im Strafgesetzbuch verankert.

Fekter: Das Argument lasse ich nicht gelten. Zum Beispiel die Genitalverstümmelung: Damals haben Juristen aus dem Justizministerium gesagt, das sei ohnehin Körperverletzung. Dann ist man aber draufgekommen, dass diese Delikte unter Umständen auf Grund des Kulturkreises entschuldigt werden. Dazu kam, dass diese Eingriffe unter Einwilligung der Obsorgeberechtigten, meist der Mütter, stattfinden, und da war es mit Körperverletzung nicht mehr so klar. Damals waren sich alle Fraktionen im Parlament einig, dass ein eigener Tatbestand Genitalverstümmelung geschaffen werden müsse, einfach um zu signalisieren, dass das in unserer Werteordnung nichts verloren hat. Den selben Konsens erwarte ich mir bei Zwangsehen und Ehrenmorden. Beispiel Zwangsehe: Wir haben natürlich den Kuppeleiparagrafen und den der Nötigung. Aber eine Nötigung eines 14-jährigen Mädchens, das in die Türkei fährt und verheiratet zurückkommt, wird schwer zu ahnden sein. Der Tatbestand Zwangsverehelichung wird sehr wohl beweisbar sein.

Die Furche: Aber wozu den Begriff „Kulturdelikt“, Sie könnten doch einfach die explizite Verankerung all dieser Begriffe im Strafgesetzbuch fordern?

Fekter: Wenn Tradition und kultureller Hintergrund als Rechtfertigung für Gewaltdelikte herhalten müssen, kann ich das nicht akzeptieren. So hat beispielsweise eine deutsche Richterin in Frankfurt die Gewalttaten an einer Ehegattin damit gerechtfertigt, dass das in deren kulturellem Umfeld so üblich sei.

Die Furche: Kritiker merken an, es wäre viel wichtiger in Prävention zu setzen, etwa in Programme, die das Selbstbewusstsein der Frauen stärken.

Fekter: Das muss begleitend passieren, gar keine Frage.

Die Furche: Warum ändern Sie nicht das Fremdenrecht dahingehend, dass Ehefrauen schneller einen eigenen Aufenthaltstitel und Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen?

Fekter: Die Frauen kommen durch die Familienzusammenführung leichter zu einem Aufenthalt in Österreich. Daher wählen viele auch diesen Weg und sagen sich, sie teilen das Schicksal des Mannes und sind Teil der Familie. Wenn wir alle Familienmitglieder getrennt betrachten würden, würde das auf Grund internationaler Kriterien schwer gehen, denn Kinder können Sie nicht getrennt betrachten.

Die Furche: Aber zumindest die Ehefrauen; sie könnten so leichter aus Gewalt-Beziehungen ausbrechen.

Fekter: Das können sie auch jetzt auf Grund von Opferschutzkonventionen.

Die Furche: Warum lehnen Sie dann das Zweite Gewaltschutzpaket von Justizministerin Berger ab, das mehr Schutz für Opfer von häuslicher Gewalt vorsehen würde?

Fekter: Das jetzt vorgeschlagene Gewaltschutzpaket ist nicht fertig. Ich selbst habe dessen Inhalte im Koalitionsabkommen verhandelt, mir kann man nicht vorwerfen, es nicht zu wollen.

Die Furche: Haben Sie sich jemals mit Migrantinnen über dieses Thema beraten?

Fekter: Ja, diese haben aber nur eine heiße Debatte darüber geführt, welchen Vorteil eine arrangierte Ehe hat. Ich möchte das nicht weiter ausführen. Da ist schon viel Kulturverständnis im Argen.

Die Furche: Haben Sie Zahlenmaterial bzw. Schätzwerte, wie oft diese Delikte in Österreich vorkommen?

Fekter: Es gibt Anhaltspunkte. Wir wissen von der Lehrerschaft, dass bedauerlicherweise immer wieder talentierte junge Mädchen plötzlich mit 14 Jahren aus der Schule genommen werden, in ihr Heimatland fahren und dann nicht mehr in die Schule zurückkehren. Wenn die Direktion nachfragt, heißt es, das Mädchen habe geheiratet. Wir kennen Fälle aus dem Gesundheitsbereich über die Geburt behinderter Kinder, weil die Eltern Cousine und Cousin sind, und bereits Generationen vor ihnen Verwandtschaftsehen eingegangen sind. Wir wissen, dass das Bewusstsein über diese Problematik der Verwandtschaftsehen bei vielen Migranten nicht vorhanden ist, weil das niemand anspricht, weil Zwangsverehelichungen im Verwandtschaftsbereich bisher ein Tabuthema waren.

Die Furche: Haben Sie Studien dazu, die solche Aussagen untermauern?

Fekter: Das war bisher ein absolutes Tabuthema. Man durfte nicht darüber reden, sonst sagen alle: Igitt, was sagt die. Aber zu Zahlen: Im Zuge der Beschlussfassung zur Genitalverstümmelung haben wir die Zahlen für Österreich zwar erhoben, aber das Problem ist, dass für diese Taten die Opfer ins Ausland gebracht werden, genauso wie bei der Zwangsehe. Zudem anerkennt Österreich Ehen, die im Ausland geschlossen werden, auch wenn unsere Rechtsordnung die Ehe zwischen Cousine und Cousin nicht erlaubt.

Die Furche: Besteht nicht die Gefahr, dass bestehende Vorurteile weiter verstärkt werden und sich Betroffene noch mehr zurückziehen?

Fekter: Nein, im Gegenteil. Ich spreche von den Delikten, dort wo Verbrechen stattfinden, dort wo es Opfer gibt. Es kann Integration nicht stattfinden, wenn diese Taten nicht als Delikt erkannt werden, man sich nicht einmischt, sich nicht kümmert und die Sachen nicht beim Namen nennt. Ich erinnere an das Thema Kindesmissbrauch oder häusliche Gewalt in den 90er Jahren. Auch damals gab es die Debatte: Das ist doch Privatbereich. Inzwischen ist uns in diesen Bereichen sehr viel gelungen, diese Delikte sind klar verpönt. Das wäre ein falsches Verständnis von Integration, wenn man diese kriminellen Handlungen wie Genitalverstümmelung und Zwangsehe totschweigt, nur um keine Irritation hervorzurufen. Das wäre Wegschauen, und das möchte ich nicht.

Die Furche: Das Thema könnte im Wahlkampf missbraucht werden. Wo würden Sie eine Grenze ziehen hin zu Verhetzung gegen Migranten?

Fekter: Dort, wo man sich von der gesetzlichen Grundlage ganz schwer entfernt, dort wo nur ein populistischer Sager im Vordergrund steht, aber kein Lösungsansatz, der gesetzlich, legistisch und sachlich argumentierbar ist. Zudem dort, wo verallgemeinert wird. Ich bin sehr bemüht, die Problematik konkret beim Namen zu nennen. Ich habe überhaupt kein Problem mit Ausländern, die unsere Rechtsordnung akzeptieren. Ich bin auch Sicherheitsministerin, da bin ich bei den Tätern gleichermaßen unterwegs, egal ob Ausländer oder Inländer.

Die Furche: Sollte Integration nicht aus dem Innenministerium herausgenommen werden, um sie nicht nur unter dem Sicherheitsaspekt zu sehen?

Fekter: Ich kenne keinen Minister, der gerne Kompetenzen abgibt. Ich bin auch der Meinung, dass man in Kombination Integration und Sicherheit viel für Integration tun kann.

Die Furche: Wären Sie gerne nach der Wahl wieder Innenministerin?

Fekter: Wenn die ÖVP an der Regierung beteiligt ist, dann möchte ich gerne Innenministerin bleiben.

Das Gespräch führte Regine Bogensberger.

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