"Idee der Auffanglager funktioniert nicht"

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Seit Beginn des Vormonats werden die Abschiebungen von abgelehnten Asylwerbern nach Afghanistan forciert. Die Amnesty-Expertin für das Land hält diese Vorgangsweise für einen Fehler und berichtet von der Lage. Nicht einmal die Hauptstadt sei halbwegs sicher. | Das Gespräch führte Ralf Leonhard

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Seit Beginn des Vormonats werden die Abschiebungen von abgelehnten Asylwerbern nach Afghanistan forciert. Die Amnesty-Expertin für das Land hält diese Vorgangsweise für einen Fehler und berichtet von der Lage. Nicht einmal die Hauptstadt sei halbwegs sicher. | Das Gespräch führte Ralf Leonhard

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Die Abschiebungen nach Afghanistan haben begonnen, aber in welches Land müssen die abgelehnten Asylwerber da eigentlich zurückkehren. Gespräch mit der Amnesty-Aktivistin und Journalistin Horia Mosadiq.

DIE FURCHE: Sie kommen gerade von einer Mission aus Afghanistan. Wie sicher ist man dort?

Horia Mosadiq: Leider ist es überhaupt nicht sicher. In den vergangenen Jahren habe ich viele Regionen bereisen können, aber die sicheren Gegenden werden von Jahr zu Jahr kleiner. Selbst für Kabul gilt die Sicherheit nur mit Einschränkungen. Ich muss Sicherheitsvorkehrungen treffen.

DIE FURCHE: Die Gefahr geht von den Taliban aus?

Mosadiq: Früher waren es nur die Taliban und lokale War Lords. In den vergangenen Jahren ist Daesh (der sogenannte Islamische Staat) dazugekommen. Der operiert im Osten und Teilen des Nordens und ist noch brutaler als die Taliban.

DIE FURCHE: In Österreich bekommt nicht einmal jeder zweite afghanische Asylwerber einen positiven Bescheid. Ist Afghanistan ein sicheres Land?

Mosadiq: Wenn es so wäre, würden sich die Diplomaten nicht hinter Betonmauern verschanzen. Warum bewegen sie sich nur in gepanzerten Fahrzeugen und verlassen ihre Festungen kaum? Es heißt dann oft, wenn deine Provinz nicht sicher ist, kannst du immer noch in Kabul leben. In Kabul gibt es durchschnittlich zwei Anschläge wöchentlich. Meistens mit Bomben auf Märkten oder anderen stark frequentierten Plätzen. Daesh sucht sich keine militärischen Ziele. Deswegen kommen so viele Frauen und Kinder zu Schaden.

DIE FURCHE: Das heißt dann, dass 30 Millionen Afghanen Anspruch auf politisches Asyl hätten.

Mosadiq: Ich sage nicht, alle 30 Millionen sollten Asyl bekommen, aber zumindest jene, die schon in Europa angekommen sind, sollten Schutz bekommen bis sich die Lage in Afghanistan bessert. Das Recht auf humanitäre Visa über die jeweiligen Botschaften wurde vom EuGH verneint. Dabei wäre das eine gute Möglichkeit für Flüchtlinge in der Türkei oder in Pakistan. Wenn die legalen Türen verschlossen sind, suchen die Menschen illegale Wege. Das freut die Schlepper. Länder wie Kanada oder Neuseeland zeigen, dass es auch legale Wege gibt, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

DIE FURCHE: Was halten Sie von den Auffanglagern in Nordafrika, die die EU einrichten will?

Mosadiq: Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Wenn jemand bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um nach Europa zu kommen, dann wird er sich nicht aufhalten lassen. Das ist mein Eindruck aus vielen Gesprächen.

DIE FURCHE: Afghanen haben hier einen besonders schlechten Ruf. Vor kurzem wurden acht junge Männer für eine brutale Gruppenvergewaltigung zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.

Mosadiq: Verbrechen finden überall auf der Welt statt. Man kann nicht eine bestimmte Gruppe oder Nation dafür verantwortlich machen. Aber meine Botschaft an meine Landsleute ist, dass sie die kulturellen Unterschiede akzeptieren und offener sein müssen. Auch in Afghanistan gibt es Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch. Aber viele sind an den Anblick von leicht bekleideten Frauen nicht gewöhnt. Das löst bei Ihnen vielleicht eine Reaktion aus. Sie müssen aber europäische Standards akzeptieren, wenn sie Teil dieser Gesellschaften werden wollen. Vor zwei Jahren gab es in Afghanistan einen Fall von Gruppenvergewaltigung. Die Schuldigen wurden alle hingerichtet.

DIE FURCHE: In Afghanistan werden aber auch vergewaltigte Frauen wegen Ehebruchs gesteinigt. Solche Vorstellungen der Täter-OpferUmkehr stecken offenbar in vielen Köpfen. Da reicht doch kein dreitägiges Werteseminar.

Mosadiq: Sicher nicht. Es bedarf eines langen Integrationsprozesses. Die afghanische Community kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Leider ist es so, dass vergewaltigte Frauen oft für eine Tat bestraft werden, die sie nicht begangen haben. Auch die Familien müssen ihre Kinder anders erziehen und in den Schulen muss es eigene Betreuung geben. Es gibt auch in Europa Zwangsheirat. Die Mädchen müssen lernen, für ihre Rechte einzutreten.

DIE FURCHE: Sie haben eine Safety and Risk Mitigation Organization (SRMO) in Afghanistan gegründet. Es geht also um Sicherheit und Risikominimierung. Für wen?

Mosadiq: Die SRMO macht Schulungen und schafft Sicherheitsmaßnahmen für Menschenrechtsaktivisten. Wir stehen ganz vorne in der Front der Verteidigung der Frauenrechte. Frauen sind nicht nur durch die Taliban und Daesh bedroht, sondern oft durch ihre eigenen Familien. Frauen lernen, wie sie sich schützen können, wie sie sicher kommunizieren können, sich in einer feindlichen Umgebung verhalten sollen. Wir schulen auch Familien und Fahrer. Wir helfen auch, Menschenrechtsaktivistinnen aus der Gefahrenzone zu bringen. Oft geht Gefahr auch von lokalen Funktionären aus.

DIE FURCHE: Schauen wir in die Zukunft. Wird Afghanistan eines Tages wieder so sein, wie in den 1970er-Jahren oder wie in den 90ern unter den Sowjets?

Mosadiq: Ich denke, die Zukunft wird etwas völlig Neues bringen. Immer mehr junge Menschen haben Bildung und verstehen, was Menschenrechte sind. In der Provinz Baghdis, einer der konservativsten Regionen unter Taliban-Einfluss sind Frauen in Burka auf die Straße gegangen und haben für gleiche Rechte und Einbindung in Entwicklungsprojekte demonstriert. Der gesellschaftliche Wandel kommt mit den Herausforderungen. Neben vielen konservativen Gruppen gibt es auch immer mehr junge liberal denkende Menschen. Kürzlich haben Leute in Helmand die Polizei aus der Nachbargemeinde gerufen, weil ein Nachbar seine Frau geprügelt hat. Sie wurde in ein Sicherheitshaus gebracht, weil sie selbst durch die eigene Familie bedroht war.

DIE FURCHE: Sollte Afghanistan zur Ruhe kommen, werden dann die Flüchtlinge zurückkehren?

Mosadiq: Sicher. Die Zahlen der UNO-Flüchtlingshochkommission UNHCR sprechen eine deutliche Sprache. Zwischen 2002 und 2004, als es relativ stabil war, sind kaum Menschen nach Europa geflohen. Und viele kehrten zurück, um mit viel Optimismus ein neues Leben zu beginnen.

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