Im Cabrio durch Los Angeles

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Der Bub aus dem Pinzgau posiert gerne auf seiner Homepage: Viktor Mayer-Schönberger, Harvard-Professor und auf der ganzen Welt zuhause.

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Der Bub aus dem Pinzgau posiert gerne auf seiner Homepage: Viktor Mayer-Schönberger, Harvard-Professor und auf der ganzen Welt zuhause.

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die furche: Herr Mayer-Schönberger, Sie wurden mit 32 Jahren nach Joseph Schumpeter als zweiter Österreicher Professor in Harvard. Haben Sie schon alles erreicht, was es zu erreichen gibt?

Viktor Mayer-Schönberger: Nein! Man kann im Leben vor allem etwas erreichen wollen: Das sind Glück und Zufriedenheit. Nach dem streben wir wahrscheinlich alle, und jeden Tag muss man sich natürlich aufs Neue die Frage stellen, was man tun kann an diesem Tag, um ein bisschen glücklich und zufrieden zu sein. Und diese Herausforderung, die hört nicht auf. Ganz gleich, ob man einen Beruf in Amerika oder in Österreich an einer Universität, oder einem großen Unternehmen, oder sonstwo hat. Was einem abgeht, sind neue Einsichten, Herausforderungen, Erkenntnisse, aber auch Momente, die man festhalten will. Ein bisschen ist es schon so wie bei Faust, dass man nach allem strebt, nach Erkenntnissen und Erkennen, und am Schluss sucht man dann doch nach Momenten, die man gerne festhalten will.

dieFurche: Auf dem Arbeitsmarkt zählen Sie zu den "Wissensarbeitern", also jenem Fünftel der arbeitsfähigen Bevölkerung in den OECD-Gesellschaften, das hochqualifiziert ist, über exzellente Ausbildungen und Verbindungen verfügt, überall auf der Welt zuhause ist, und sich keine Sorgen um die berufliche Zukunft zu machen braucht. So beschreiben das wenigstens die Zukunfts- und Trendforscher. Sind Sie zufrieden damit?

Mayer-Schönberger: Sie legen den Finger auf eine ganz besondere Wunde. Die Frage ist, wie wir in einer globalen Wissens- und Informationsgesellschaft damit umgehen, dass immer weniger Menschen potentiell über immer mehr Information und damit auch Handlungsoptionen verfügen. Die Verteilungskämpfe der Zukunft werden um die Frage des Zugangs zu Informationen gehen. Da wird es dann nicht mehr heißen, wer hat einen Computer oder einen Fernseher oder ein Telefon? Die Frage wird auch sein, wer kann lesen und schreiben? Manche Studien sagen, dass es in Österreich 25 Prozent funktionale Analphabeten gibt. Das heißt, das sind Menschen, die Gebrauchsanleitungen oder Beipackzettel von Medikamenten nicht mehr lesen können! In einer Wissens- und Informationsgesellschaft, in der der Wert auf der Information und vor allem auf der geschriebenen Information liegt, sind diese Menschen enorm benachteiligt. Das heißt, selbst in unserer Gesellschaft gibt es die Frage der Habenden und der Nicht-Habenden. Im weltweiten Kontext ist diese Dramatik natürlich noch viel größer. Zwei Drittel der Menschen haben noch nie in ihrem Leben ein Telefongespräch geführt. Die Hälfte der Menschen hat kein sauberes Wasser. Das heißt, wenn wir uns die Frage stellen, wen wir an das Internet anbinden oder nicht, so ist es schon die zehnte Frage. Die erste Frage ist aber, wie bekommt man sauberes Wasser? Wie bekommt man Elektrizität, und wie bekommt man Schulbildung an einen bestimmten Ort und natürlich Versorgung mit dem Notwendigsten? Das heißt, wir haben mit großen Herausforderungen zu kämpfen: Auf der einen Seite werden wir immer komplexer. Wir schreiten immer schneller fort zur Wissensgesellschaft. Auf der anderen Seiten müssen wir aber sechs, sieben oder acht, neun Milliarden Menschen mitziehen! Die Basis derer, die Wissen haben, darf nicht enger werden. Sie muss breiter werden!

die furche: Harvard wird oft als der "große Marktplatz der Ideen" bezeichnet. Welche Ideen werden dort derzeit diskutiert?

Mayer-Schönberger: Da könnte ich jetzt stundenlang reden, weil in den vielen einzelnen Disziplinen unterschiedlich gearbeitet wird. Ich gebe Ihnen ein paar Highlights: Mein Kollege Howard Gardner beschäftigt sich mit der Frage, was Intelligenz ist, wie Menschen lernen und wie sie ihre Arbeit ausführen. Es geht um eine Neudefinition von Intelligenz. Die Sichtweise von Intelligenz ist bei ihm nicht mehr so eindimensional - den IQ messend - wie wir uns das bis jetzt immer vorgestellt haben. Sein Bild ist vielschichtiger und vieldimensionaler und will die einzelnen Fähigkeiten unterschiedlicher Menschen zur Geltung kommen lassen. Gardner betreibt sehr viel Forschungsarbeit. Zum Beispiel: welche Arten von Intelligenz wird in den einzelnen Berufssparten und Berufsgruppen eingesetzt, angefangen von der Hausfrau bis zum theoretischen Physiker oder der Physikerin. Welche Denkleistungen werden dort erbracht? Wie wird überhaupt intelligent gearbeitet?

Steven J. Gould, der Evolutionstheoretiker, beschäftigt sich mit der Frage, was Evolution ist. Wir sind immer davon ausgegangen, dass Evolution so eine stetig kontinuierlich ansteigende Kurve ist. Es wird alles immer besser. Langsam zwar, aber es wird sicher immer besser. Gould meint nun, dass wir vielleicht ein anderes Modell von menschlicher Evolution brauchen. Ob nicht lange Phasen der Stabilität, - fast könnte man sagen, der Stagnation - unterbrochen werden von sehr radikalen Phasen der Veränderung und Verschiebung, um dann auf eine neues Niveau zu kommen. Wenn dem so ist, dann bedeutet das, dass die Menschen sich auf rasche Veränderungen einstellen können, aber dann auch wieder eine Zeit des Luftholens brauchen. Das sind entscheidende Erkenntnisse über die Evolution.

die furche: Sie sind ein moderner Kosmopolit, überall in der Welt zuhause. Auf ihrer Homepage posieren Sie gern, zeigen sich, wie Sie im Cabrio durch Los Angeles fahren oder mit Delphinen schwimmen. Spielt Religion für solche, sagen wir "ungebundene" Menschen noch irgendeine Rolle?

Mayer-Schönberger: Ich sehe mich schon als Kosmopolit, fliege beispielsweise im Jahr zwei-, dreihunderttausend Kilometer, bin in vielen Ländern der Welt zuhause, in den arabischen Staaten, in Südostasien, aber auch in Europa und Amerika. Ich habe also viel gesehen. Trotzdem ist eines klar: Ich bin ein Bub aus dem Pinzgau und damit bin ich auch ein Ministrant gewesen, und zwar elf Jahre lang. Diese Tatsache heißt auch, in der Katholischen Jugend gewesen zu sein und im Pfarrgemeinderat.

Ganz gleich, wie ich es drehe und wende, ich bin Katholik. Ich kann auch gar nichts dagegen machen, ich bin es einfach. Selbst wenn ich heute sagen würde: "Ich bin nicht mehr Katholik" wäre ich es ja trotzdem, weil ich eben als solcher groß, erwachsen und sozialisiert geworden bin. Das heißt: Natürlich bin ich in diesem Sinne auch religiös. Das kann ich ja gar nicht ablegen. Das ist ein Teil von mir. Sonst würde ich mich ja selbst verleugnen.

Ob ich glücklich bin mit dieser katholischen Kirche? Ich überlege mir immer wieder in Momenten des Ärgers und der Frustration, auszutreten - ja, absolut, selbstverständlich! Ich tue es deshalb nicht, weil ich mir immer wieder denke, jene Repräsentanten, die ich so verachte in der katholischen Kirche, können nicht wichtig genug sein, um mir diese Zugehörigkeit zu zerstören. - Aber hadern tue ich schon damit!

Das Gespräch führte Christine Weeber.

Zur Person: Jurist & Kosmopolit Viktor Mayer-Schönberger, 1966 in Zell am See geboren, studierte Rechtswissenschaften in Salzburg, Cambridge und Harvard.

1986 bis 1992 führte er die von ihm gegründete Ikarus Software und entwickelte die Virus Utilities, das damals meistverkaufte österreichische Softwareprodukt. Mayer-Schönberger erwarb an der London School of Economics and Political Science den Master of Science und war unter anderem auch Gastprofessor für Internationales Recht an der Law School der University of Oklahoma. Seit 1999 ist er Professor für Informationspolitik an der Kennedy School of Government der Harvard University.WM

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