"Im Mittelpunkt steht Freiheit"

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Im Rahmen der Alpbacher Wirtschaftsgespräche spricht Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer mit der FURCHE über die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft, die Verteilungsgerechtigkeit und seinen Europa-Kurs.

Die Furche: Herr Vizekanzler, heuer steht bei den Wirtschaftsgesprächen in Alpbach die Zukunft der Marktwirtschaft zur Diskussion. Wie stehen Sie zur Marktwirtschaft?

Wilhelm Molterer: Es besteht, meiner Meinung nach, kein Zweifel, dass die Marktwirtschaft und insbesondere die soziale Marktwirtschaft eine absolute Erfolgsgeschichte ist. Diese Wirtschaftsordnung war eine essentielle Säule bei der Gründung der Europäischen Union. Neben der Sehnsucht nach Frieden und dem Bekenntnis zur Demokratie war es diese Wirtschaftsform, die den Wohlstand auf diesem Kontinent ermöglicht hat.

Die Furche: Und auf welcher Basis ruht Ihrer Meinung nach die Marktwirtschaft?

Molterer: Im Mittelpunkt steht die Freiheit. Genauer gesagt die Freiheit des Individuums und die Freiheit des Unternehmers. Joseph Schumpeter leitet aus diesem Bekenntnis ab, dass der Unternehmer aus dieser Freiheit heraus der Innovator, der Motivator und damit auch der Erneuerer des gesellschaftlichen, unternehmerischen und wirtschaftlichen Umfeldes ist.

Das zweite Fundament ist das Recht auf Eigentum. Die Verfügbarkeit über das Eigentum und dessen möglichst breite Streuung ist auch ein gesellschaftspolitisches Ziel. Das ist letztendlich auch ein Stabilitätsanker, der die Freiheit erst ermöglicht.

Es ist auch vollkommen klar, dass die Marktwirtschaft ohne offenen Wettbewerb nicht funktioniert. Der Wettbewerb ist jenes Instrument, der den Menschen in bestmöglicher Weise jene Produkte zur Verfügung stellt, die sie für ihre Bedürfnisbefriedigung brauchen.

Aber genauso wichtig ist das Bekenntnis zur Ordnungspolitik. Die Politik muss die Spielregeln für die Märkte vorgeben. Aber es muss auch diskutiert werden, ob die Spielregeln für die Märkte ausschließlich Aufgabe der Politik sind. Es muss einen vernünftigen Mix von Selbstregulierung durch die Wirtschaft und politischen Rahmenbedingungen geben.

Die Furche: Wo kommt für Sie der Mensch in dem Gefüge Soziale Marktwirtschaft vor?

Molterer: Die Kernfrage der Sozialen Marktwirtschaft - die Verteilung des Wohlstandes - gilt es neu zu diskutieren. Wenn die Verteilung des Wohlstandes nicht in einem Mindestmaß in Balance ist, so ist die Tragfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft in Frage gestellt. Das ist aber auch eine ökonomische Frage, denn die faire Verteilung des Wohlstandes bildet die ökonomische Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes.

Die Furche: Reichen dafür die derzeit aktiven Instrumente der Wohlstandsverteilung aus?

Molterer: Wir stellen fest, dass etwa die Lohnpolitik alleine angesichts der globalen Wettbewerbssituation nicht mehr ausreicht, um die Entwicklung der Lohnquote und der Gewinnquote in besserer Harmonie und Balance zu halten. Hier kann die Mitarbeiterbeteiligung und die Erfolgsbeteiligung Abhilfe schaffen und geradezu eine Win-Win-Situation darstellen.

Die Furche: Auch die Generationengerechtigkeit ist Ihnen ein Anliegen …

Molterer: Manche haben heute noch die Fiktion, dass man mit den Instrumenten der 1950er und 1960er Jahre die Fragen der sozialen Balance und der Generationengerechtigkeit der Jahre 2030 und 2050 wird lösen können. Dieser Ansicht bin ich nicht. Wir brauchen eine langfristige solide Finanzierung der sozialen Systeme. Es wird notwendig sein, dass man sich die Aufgabenverteilung zwischen Staat, Betrieb und Individuum ansieht und neu verteilt. Wie sollen sich Staat und Betriebe die Verantwortung in den Bereichen der Altersvorsorge und der Krankenvorsorge aufteilen? Oder: Wo liegen die Verantwortlichkeiten zwischen Gemeinschaft und Individuum im Bereich der Pflege? Wer das Individuum alleine verantwortlich macht, überlastet das Individuum, und wer den Staat alleine verantwortlich macht, überlastet den Staat.

Die Furche: Aber wie eine faire Aufgabenverteilung finden?

Molterer: Es braucht eine klare Arbeitsteilung zwischen dem Leistungsstaat - dort, wo wir den Staat wollen - und der Verantwortungsgesellschaft - dort, wo die Gemeinschaft, der Betrieb, das Individuum Verantwortung übernehmen muss. Das bedeutet aber auch, dass wir den Unternehmen und den Menschen den Spielraum geben müssen - auch materiell -, damit sie diese Verantwortung wahrnehmen können. Ich bekenne mich daher zu einer Senkung der Steuern- und Abgabenquote in diesem Land, etwa für jene, die Steuern zahlen: den Mittelstand. Ich bekenne mich aber auch dazu, dass wir mit den Steuern das soziale Netz, das wir brauchen, sichern und finanzieren können müssen. Aber nur, wenn das dafür notwendige Geld vorher verdient ist. Das Prinzip vorher verdienen und dann verteilen ist ebenfalls ein konstitutives Element einer sozialen Marktwirtschaft.

Die Furche: Diesem Prinzip sind Sie auch treu, wenn es um die Steuerreform bzw. um das Budgetdefizit geht?

Molterer: So ist es. Wir sind einen konsequenten Kurs gefahren und haben das Ziel des ausgeglichenen Haushalts weiter vor Augen. Man kann nicht Geld ausgeben, das man nicht hat. Deshalb trete ich weiter für eine Steuerreform 2010 ein. Wir müssen natürlich auch die Erfüllung der Maastricht-Kriterien beachten, und diese wären in Gefahr, wenn zum Beispiel teure Lösungen, wie nun die geforderte Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von zehn auf fünf Prozent, durchgesetzt würde. Eine Maßnahme, die nicht einmal sozial treffsicher ist. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Wachstum und Beschäftigung - und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen - ins Zentrum unserer Politik zu setzen. Die EU-Kommission bestätigt, dass diese Ziele durch die Budgetpolitik hervorragend erfüllt wurden und werden. Mehr noch, die Kommisson empfiehlt uns sogar die Budgetkonsolidierung zu intensivieren. Deshalb stehen Budgetdisziplin und somit die Sicherung von Wachstum und Beschäftigung weiter im Fokus.

Die Furche: Gerade in diesem Wahlkampf werden wieder sehr EU-kritische Stimmen laut. Sie gelten hingegen als glühender Europäer. Was sind Ihre Motive?

Molterer: Gerade für Österreich ist ein klares Ja zu Europa und zur europäischen Perspektive und Integration von zentraler Bedeutung. Wir sehen, dass viele österreichische Unternehmen erfolgreich den Schritt nach außen gewagt haben und dass die notwendigen Strukturreformen unser Land stark gemacht haben. Österreich ist ein klarer Gewinner der Globalisierung, des EU-Beitritts, der EU-Erweiterung und der Öffnung der Märkte. Aber gerade weil wir an einer europäischen Wachstumskante liegen, sind wir besonders gefordert. Wir profitieren von den dynamischen Märkten unserer Nachbarländer in Süd- und Osteuropa. Gleichzeitig legt die Konkurrenz ein hohes Tempo vor, dem wir nur durch verstärkte Reformanstrengungen folgen können.

Die Furche: Hat sich aber nicht die EU zu weit von den Bürgern wegbewegt? Politiker müssen immer öfter auch das Projekt EU selbst erklären und verteidi- gen …

Molterer: Es ist klar, dass die EU den Menschen dienen muss, nicht umgekehrt. Das muss immer wieder auch eingefordert werden. Aber es ist auch klar, dass wir nur als europäische Werte- und Interessensgemeinschaft eine Chance im Wettbewerb der Kontinente haben. Was die Länder der EU eint, ist die Ablehnung eines ungezügelten Turbokapitalismus und der Widerstand gegenüber einem demokratiegefährdenden Autokratismus. Es muss uns aber auch bewusst sein, dass wir uns nur als Mitglied dieser Gemeinschaft den großen Herausforderungen bei den Themen Energie, Teuerung, Klimaschutz und Terrorismus stellen können. Diese Probleme lassen sich immer weniger allein national oder regional lösen. Europa ist weltweit für immer mehr Nationen und Menschen ein Vorbild. Wir dürfen dieses erfolgreiche Projekt daher nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Die Furche: Abschließend - es kann in Alpbach nicht ausbleiben - noch eine Frage zur Natur, die einem hier geradezu in die Arme fällt. In der Wirtschaft ist der Umgang mit der Natur noch etwas heikel. Sie haben selbst das Stichwort Klimaschutz angesprochen.

Molterer: Aus meiner Sicht sind wir noch nicht dort, wo wir sein sollten. Obwohl in der vergangenen Zeit einige ökologische Rahmenbedingungen für die Wirtschaft vorgegeben wurden, haben wir es noch nicht geschafft, dass das Grundverständnis, in ökonomischem Sinne gesprochen, ein solches ist, dass Ressourcenschutz und Ressourcenschonung ökonomisch interessant sind. Die Perspektive der Nachhaltigkeit ist keine Frage der gesetzlichen Regelungen alleine. Sie muss ganz selbstverständlich ein langfristiges Interesse sein, das auch in der kurzfristigen, betriebswirtschaftlichen Aktivität darstellbar und rechenbar ist.

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