Im Riesenslalom der PLAKATSTÄNDER

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Schlichte Gegenüberstellungen, triviale Kontraste und Gewichtung von Werten: Beobachtungen zum sprachlichen Register im österreichischen Wahlkampf.

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Schlichte Gegenüberstellungen, triviale Kontraste und Gewichtung von Werten: Beobachtungen zum sprachlichen Register im österreichischen Wahlkampf.

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Der Köcher meiner Verlautbarungen zur politischen Sprache enthält einige Passagen, die den Jargon und die Rhetorik der Parteien vor Wahlen bündig und triftig beschreiben. Sie haben immer noch und immer wieder Geltung.

Wahlkämpfe sind zeitgebundene Ereignisse, hektisch, polemisch, kurzatmig bis zum thematischen Asthma, an aktuellem Geschehen orientiert. Wir sehen in ihrer Sprache und in ihren Bildern -als Plakate wie als Metaphern -Spiegelungen unseres Alltags, der spezifischen Lebensform, des 'leibeigenen' Milieus. So ist es! Ist es so? Gibt es da nicht auch Merkmale einer besonderen Textsorte, die abseits aller Aktualität und typisch modernen Problematik als konstante Züge diesem Genre anhaften?

Gefährliches Verharmlosen

Die sprachlichen Register parteipolitischer Propaganda, welche Wahlkämpfe nach Frequenz und Intensität dominieren, folgen zum einen verbalen Mustern der kommerziellen Anzeigenwerbung und verdichten andererseits die in der Politik üblichen Strategien, und das auf den Ebenen von Wortschatz, Phraseologie und Rhetorik. Zur Erinnerung: Identifikationsformeln suggerieren die Übereinstimmung des parteipolitischen Sprechers mit seinen Adressaten. - Euphemismen beschönigen und verharmlosen brisante, gefährliche Sachverhalte. - Positive Wörter aus dem eigenen Milieu werden mit negativen, anrüchigen Ausdrücken des gegnerischen Lagers konfrontiert. - Suggestive Definitionen herrschen vor und bestimmen das gängige Vokabular auf der jeweils eigenen Werteskala neu, indem konventionelle Ausdrücke neu bewertet und dynamisch aufgerüstet werden.

Bereits im aktuellen Stadium der Wahlwerbung geht es ziemlich rund -also etwa dreieinhalb Wochen vor dem Ereignis, in denen eine weitere Verdichtung der Parolen und Devisen in den Parteizentralen zu erwarten und eine Zuspitzung wechselseitiger Angriffe, subjektiver Empfindlichkeiten sowie feindseliger Untergriffe befürchten ist. Mit einem Wort: Schon vor der akuten Phase des Wahlkampfes laufen alle Spielarten der 'social media' heiß, bestimmen Rededuelle, Fragestunden, Prognosen, sogar vorweggenommene Analysen -als subtile Varianten des 'Kaffeesudlesens' - das Programm mehrerer Fernsehkanäle. Und der hastige Passant ebenso wie der gemächliche Spaziergänger entkommt kaum einer Bilderwelt, die ihn auf Litfaßsäulen und Plakatständern verfolgt, bedrängt und bisweilen vielleicht sogar belästigt.

In der Tat: Der ehemals bildliche Kontext verdrängt immer mehr den verbalen Text, der sich zumeist auf kurze, griffige Slogans, authentische Kernsätze, Begleitwörter zu immergrünen Idyllen, dringende freiheitliche Fairnessangebote und kantige Neologismen beschränkt, die mitunter wie Pilze aus dem Boden schießen. Soll und darf man da von einem Sammelsurium an Forderungen nach Förderungen sprechen?

Verdichtet und verknappt

Kommen wir auf den Befund der Plakatwerbung zurück: Köpfe, Szenarien, Ensembles und Gegenstände prägen die kommunikative Schiene und bestimmen den Zeichenvorrat. Die verbale Botschaft verdichtet und verknappt sich zu gedrungenen Parolen und sparsamen Devisen, die keiner aufwendigen syntaktischen Analyse bedürfen. Den Satzbau beherrschen schlichte Gegenüberstellungen, triviale Kontraste und eine Gewichtung von Werten.

Subjekte stehen für Sujets, kompakte Gegenstände verkörpern komplexe Sachverhalte, freundliche Gesichter verheißen eine heile oder wenigstens heilbare Welt. Die Bilder sind also allenthalben gegenwärtig, und Anzeichen einer Trendumkehr bleiben aus. Als Kulturkritiker könnte man von einer 'ikonischen Wende' sprechen und sich an vorhistorische Epochen erinnert fühlen, in denen etwa Höhlenzeichnungen für Kundgaben standen, Appelle ausdrückten und vor der Erfindung von Schriftsystemen Berichte und Botschaften kommunizierten. Aber ich breche Assoziationen dieser Art ab, um beim Leser nicht den Eindruck zu erwecken, ich prognostiziere den geistigen Niedergang des Abendlandes.

Kehren wir zum Sinnbezirk des Vorrats an aktuellen Fahnenwörtern der Parteien zurück. Das konservative Lager präsentiert sich runderneuert. Die neue Volkspartei weist einen neuen Weg für Österreich, tritt für neue Gerechtigkeit und Verantwortung ein, ein Programm, das in einer plakativen Trias gipfelt: Neuer Stil. Neuer Weg. Neue Chancen! Dieses verbale Trommelfeuer kommt nicht von ungefähr. Denn mit dem Neubeginn verbindet sich Hoffnung. Jeder Anfang birgt Chancen und erweckt positive Erwartungen. Er verweist auf ein Morgen, welches das Heute übertrifft und in das wir zwar die Erfahrungen, nicht aber die Fehler des Gestern einbringen wollen. Das Neue ist das Unerhörte, auch das Unverhoffte, das dem Unzulänglichen den Garaus machen soll. Aber Vorsicht! Im Unerprobten stecken auch Gefahren. Und so haftet der Neuheit manchmal eine semantische Ambivalenz an, die in verschiedene Richtungen zielt. Im alten Rom - wir haben es noch vom Lateinunterricht im Ohr -war novis rebus studere die Chiffre für einen unerwünschten politischen Umsturz, und der homo novus galt als ein politischer Neueinsteiger, als ambitionierter Emporkömmling ohne prominente, in hohen Ämtern bewährte Vorfahren. Für innovative Geister stellte er freilich einen willkommenen Hoffnungsträger dar.

Christian Kern setzt auf den Kanzlerbonus ("Plan A"), baut auf sein positives Image und bringt sich als Sympathieträger mit Sachkompetenz und sozialer Empathie in Stellung. Bereits im Wahlprogramm stehen 'Muntermacher' wie "Der Aufschwung muss bei allen ankommen" sowie "Gestalten wir unser Österreich und unsere Zukunft gemeinsam!". In pointierten Worten, die beim Wähler ankommen und seinen Appetit anregen sollen, lautet dieses Angebot im Detail "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht!","Für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Sicherheit!","Sichere Pensionen für alle!" oder "Veränderung mit Verantwortung!" Welcher poten-

zielle Sympathisant wünscht sich nicht "Steuersenkung auf Arbeit", und genderbewusste Wählerinnen dürften mit dem Bekenntnis "Frauen leisten Großartiges für unser Land!" hochzufrieden sein.

Beschleunigung im Endspurt

Heinz-Christian Strache bedient sich einer maßgeschneiderten Strategie. Er zeigt sich als längstdienender österreichischer Parteichef durchaus staatstragend, bereit für verantwortungsvolle Regierungsarbeit und empfiehlt sich als gesprächsbereiter Partner. Auf der anderen Seite spart er nicht mit vehementer Kritik an der Arbeit der bisherigen Koalition. Das Leit- und Schlüsselwort seiner Wahlwerbung, auch grafisch hervorgehoben und bei wechselnden Sachverhalten unentwegt 'getrommelt', lautet FAIRNESS. Die Situationen und Missstände im (allzu) menschlichen Alltag, in welche "Die Hubers" in Videoclips laufend geraten, bereinigt Strache als elder statesman prompt und mit erhobenem Zeigefinger. Die anschließende Botschaft lautet jeweils: "Österreicher verdienen FAIRNESS" - und zwar "statt Stillstand, Streit und falscher Versprechen" - übrigens grammatikalisch bedenklich!"

Die Grünen verteidigen ihr angestammtes Revier mit einem patriotischen Bekenntnis ("Europa beginnt in Österreich") und predigen den Merksatz "Aktiv werden". In einer Plakatserie münden die bildlich aufgezeigten Defizite in dezidierte Aufträge: Eisbären sind ja ebenso gefährdet ("Gegen Extreme auch beim Klima") wie Kinder unserer stetigen Zuwendung bedürfen ("Jedes Kind ist sehr gut").

Dass die NEOS den Neubeginn als Chance und Tugend verstehen (womit sich unser Kreis schließt!), liegt in der Natur ihres Namens. Ihr "Zukunftsmanifest" betont daher leitmotivisch die "Veränderung": "Unser neues Österreich" - "Wir erneuern Österreich". Dass die Anliegen der Bürger jeweils in Spiegelschrift erscheinen, unterstreicht wohl die Forderung nach Perspektivenwechsel und möchte vielleicht die Lesefertigkeit der Betrachter erproben. Denn an das Begleitgefühl von "verkehrt" wollen wir doch nicht glauben!

Die Dynamik des laufenden Wahlkampfs beschleunigt bereits jetzt die Pulsfrequenz der Politiker, ihrer Klientel und der vielen noch Unschlüssigen. Wie brennheiß wird da erst der Endspurt ausfallen?

Die sprachlichen Register parteipolitischer Propaganda, welche Wahlkämpfe dominieren, folgen verbalen Mustern der kommerziellen Anzeigenwerbung.

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