Werbung
Werbung
Werbung

Daniel Wisser schrieb eine musikalische Prosa über einen Teamleiter im Callcenter einer Computerfirma.

Würde eine Autorin einen Roman über Beziehungsunfähigkeit und Empathieresistenz männlicher Zeitgenossen schreiben, könnte Daniel Wissers Hauptfigur herauskommen. Allenfalls wäre eines seiner momentanen Hauptprobleme konkreter benannt: das verfrüht einsetzende Klimakterium mit Schweißausbrüchen. Schlafstörungen, Depressionen. Ein erfolgreich tabuisiertes Thema, wer will schon in Zeiten verordneter ewiger Jugend den konkret datierbaren Eintritt ins Stadium des Alters wahr haben.

Sterile Künstlichkeit

Wissers Held ist in den 40ern, Teamleiter im Callcenter einer Computerfirma, ein Hypochonder mit autistischen Tendenzen und zahlreichen Phobien und Zwangsvorstellungen. Einigermaßen im Gleichgewicht hält er sich durch genauestes Einhalten ritualisierter Alltagsverrichtungen, durch sinnlose Gedächtnisübungen und durch seinen Job. Nicht Karriere ist sein Ziel, die radikal entfremdeten Arbeitssituation und sterile Künstlichkeit der Clean-Desk-Atmosphäre scheint dem monomanen Teamleiter ohne jede Teamfähigkeit einfach noch der sicherste Hafen vor den Zumutungen zwischenmenschlicher Nähe. Seine Frau hat sich schon lange von ihm zurückgezogen, er hat nicht einmal mehr einen Namen für sie. Vielleicht ist es nur der Waschzwang - er wie sie werfen bei Betreten der Wohnung alle Kleider in die Waschmaschine und stürzen unter die Dusche -, der sie noch verbindet. Sprachlich fasst der 1971 in Kärnten geborene Daniel Wisser diese radikale Isolation über weite Strecken mit komplexen Passiv-Konstruktionen - "Es wird stadtauswärts gefahren ...“ - gleichsam um mittels "Leideform“ größtmögliche Distanz zwischen Erzählstimme und Erzählfigur zu erzeugen, wobei es nicht um Gesellschaftskritik geht, sondern um eine Krankheitsanalyse.

Obsessive Fantasien

Außerhalb der Arbeit, an den verhassten Wochenenden zumal, muss sich der Held auf eine Art Standby-Modus herunterdimmen, um einigermaßen unbehelligt zu bleiben von den Anforderungen seiner Umwelt. Behelligt wird er - und auch der Leser - allerdings fortwährend von seinen obsessiven Sexualfantasien; unter der Bettdecke ist Sterilität und Distanz nicht so leicht zu wahren, damit hatten schon die Patriarchenväter der Gründerzeit ihre Probleme. Eine finale Lösung könnte die große Katastrophe bringen, die der einsame Callcenterwolf als "natürlichen“ Endpunkt aller Umwelt- und Wirtschaftskatastrophen erwartet. Dass er sich darin als strahlenden Robinson - mit einigen weiblichen Freitags in seiner Ritterburg - fantasiert, lässt vermuten, dass hier beim Prozess des Erwachsenwerdens nicht alles geklappt hat.

Wisser schildert vier - anders als der Klappentext behauptet, nicht zusammenhängende - Tage aus dem Leben dieses traurigen Psychopathen, und er tut das durchaus mit Witz und Ironie. Dass er beim diesjährigen Bachmannpreis leer ausging, mag mit einem gewissen Überdruss an manischen Rollenmonologen zu tun haben - die Musikalität von Wissers Prosa hat die Jury offenbar nicht herausgehört.

Standby

Von Daniel Wisser

Klever 2011. 200 S., geb., e 19,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung