Im Wohnzimmer hinter Gittern

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Krisen in der Heimat, Unsicherheit und Vorurteile prägen das Leben vieler Zuwandererkids. Mit Straßenfußball, wie er für ihn selbst von existenzieller Bedeutung war, will der Psychologe Alexander Schneider die Käfigkinder für Fairplay begeistern.

A m herbstlichen Yppenplatz im 16. Wiener Gemeindebezirk ist kaum etwas geblieben vom lebendigen Treiben im Sommer. Vereinzelt streifen vertrocknete Blätter über den Beton. Nur am Rande des kahlen Platzes jagen ein paar Burschen mit Migrationshintergrund einen Ball durch den Fußballkäfig. Alexander Schneider schaut auf einen Sprung vorbei, vielleicht trifft er bekannte Gesichter. Der 29-Jährige ist studierter Psychologe und Leiter der "Käfig League“, eines Straßenfußballprojekts der youngCaritas. Kinder im Alter von sechs bis dreizehn Jahren sollen in ihrer Entwicklung und Integration gefördert werden - durch wöchentliches gratis Fußballtraining in den Käfigen Wiens.

Auch wenn der Cheftrainer beim Spontanbesuch schnell sieht, dass er keinen der Burschen kennt, kommt er mit den Kickern schnell ins Gespräch. "Woher kommst du?“, fragt ihn ein Bursche "Aus Wien. Und Serbien,“ antwortet Schneider, der als Sohn einer Serbin und eines Österreichers größtenteils in Wien Landstraße aufgewachsen ist. Die nächsten Worte folgen auf Serbisch. Grinsen und zustimmendes Nicken.

Der Umgang mit Teenagern ist für Schneider keine Hürde mehr. Als Leiter der Käfig League weiß er, wie viele der Kinder ticken. "Zu Hause haben sie oft keinen Platz, weil sie teilweise aus Familien kommen mit fünf bis zehn Kindern. Am Platz stoßen sie sich die Hörner ab“, erklärt er. Mit seinem Team an 40 Trainerinnen und Trainern bietet er den Kids wöchentlich in einem Halt gebenden Mannschaftsgefüge eine Auszeit vom Alltag. "Sechs bis dreizehn ist ein Alter, wo man noch viel beeinflussen kann. Die Kinder werden von außen oft mit Vorurteilen konfrontiert. Aber auch von zu Hause aus - etwa, dass Kosovo-Albaner nicht mit Serben spielen.“

Genau diese Vorurteile will Schneider in seiner Käfig League brechen. Wie Sport soziale Barrieren brechen kann, hat Schneider selbst erlebt: In seiner früheren Volksschulklasse, die sich fast zur Gänze aus Kindern mit Migrationshintergrund zusammengesetzt hat, haben sich Grüppchen nach Herkunft gebildet. "Hier waren die Türken, da die Jugos, da die Österreicher,“ erinnert er sich. "Ich hab nirgends wirklich dazugehört.“ Erst als er mit zehn Jahren zu kicken beginnt, spielt Herkunft keine Rolle mehr und er findet rasch Freunde. "Ab da war Fußball für mich von existenzieller Bedeutung und Schule nachrangig“, grinst er.

Erlernte Hilflosigkeit

Wenn Schneider mit den Kindern trainiert, von denen im Durchschnitt rund 80 Prozent Migrationshintergrund haben, spürt er, dass sie viel robuster sind, als er es früher selbst war. Manche haben viel durchlebt, kommen aus Krisengebieten wie Afghanistan und der arabischen Welt. Sie sind härter im Nehmen, verschlossen und misstrauisch. "Wenn wir im Käfig nach Spielern suchen, glauben die Kinder auch nicht, dass wir nächste Woche wieder kommen. Die sagen ‚Ja ja, tschüss!‘.“

Auch wenn sich die Kids am Platz lautstark behaupten, oft stehen sie sich selbst im Weg, weil sie kaum Selbstbewusstsein haben. "Sie haben das Gefühl, dass sie kaum Rechte und auch keine Chance haben. Sprachhürden frustrieren zusätzlich.“ Erlernte Hilflosigkeit nennt Schneider das. "Es kann sein, dass Kinder versuchen, hie und da Vorteile für sich rauszuschlagen, indem sie schummeln. Oder etwas mitgehen lassen, damit sie auch einmal auf ihre Rechnung kommen. Mit Sport kann man leicht kleine Ziele erreichen. Wir zeigen den Kindern, dass wir sie im Team brauchen.“

Einen Draht zu den Kindern zu bekommen, hat Schneider erst ausprobieren müssen: "Es geht um direkte, offene Kommunikation, nicht darum, wie eloquent ich bin. Es zählt, ob ich gutes Training mache und ob ich mein Wort halte. Die Kinder hauen’s dir vor den Latz, wenn was nicht passt.“

Selbst Konflikte mit reviermarkierenden Käfigkönigen hat Schneider zu entschärfen gelernt. "Wenn wir in den Käfig zum Spielen kommen, gibt es am Anfang meistens zwei, drei Käfig-Capos. Das sind die Größten, Stärksten, Anerkanntesten der 16- bis 18-Jährigen“, erklärt er. Der Käfig ist ihr Reich, ihr Wohnzimmer aus Beton und Gitter. Hier regieren sie. Hier reagieren sie sich ab. "Da kann ich mit meinem Team nicht einfach eindringen. Also fragen wir sie, ob es okay ist, wenn wir hier spielen. Diesen Respekt brauchen sie, weil sie ihn oft von woanders nicht bekommen.“ Als eine Gang einmal nicht aufhört, ständig Bälle wegzuschießen, sucht Schneider mit einem der Anführer das Gespräch. Die Antwort des Käfig-Capos? Ein halbstarkes "Ich regle das!“ Ab da gibt es keine Probleme mehr.

Schneider motiviert es ungemein, wenn er sieht, dass das Projekt Früchte trägt. Serben und Kosovaren spielen miteinander, Christen und Muslime, Burschen und sogar ein paar Mädchen - das braucht Überzeugungsarbeit. "Die Haupthürde sind die Vorurteile, die die Kinder von zu Hause mitbringen,“ weiß Schneider. Dabei brauche es nicht lange, bis Kinder alternative Denk- und Handlungsweisen übernehmen: "Öfters kommen die Eltern zuschauen, wenn wir Turniere haben. Da sehen wir, dass es sehr wohl zu Diskussionen und Konflikten unter den Eltern kommen kann - während die Kinder spielen und sich danach auch in den Arm nehmen können.“

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