Im Zweifel für den Zweifel

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Der Journalismus macht Fehler, gewiss. Es geht darum, weniger Fehler zu machen und Journalismus so zu machen, dass er die Gesellschaft nicht zynisch werden lässt. (Heribert Prantl)

Don Quijote, der berühmte Mann von La Mancha, hat einst gegen Windmühlen gekämpft und sich zum Narren gemacht -verloren in der Fiktion seiner Ritterbücher, die der Eiferer für die Realität hielt. Glaubt man Simon Hadler, Kommunikationswissenschafter, Redakteur bei orf.at und seit 2009 leitender Kulturredakteur, dann sind heute durchaus ähnliche Don-Quijoterien am Werk -und im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Wahrheit. In seinem Buch "Wirklich wahr! Die Welt zwischen Fakt und Fake"(Deuticke) ortet er ein "Schattenfechten zwischen Apologeten der 'Lügenpresse' und Proponenten der 'postfaktischen Gesellschaft', die beide den Untergang des Abendlandes beklagen" und ihren Alltag -aus Verdrängung oder aus Langeweile -als (virtuellen) Krieg inszenieren.

Dabei sei nichts unrichtiger als die Rede von einer "postfaktischen Gesellschaft", meint Hadler in Übereinstimmung mit dem Tübinger Medienwissenschafter Bernhard Pörksen (vgl. Interview links). "Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren Fakten so präsent", schreibt Hadler. Die Symptomatik unserer Zeit sei auch nicht, "dass wir auf Fakten pfeifen. Die Symptomatik unserer Zeit ist die Überfülle an Fakten, die sich nicht einordnen lassen, die uns penetrieren, wenn wir zwischendurch auf dem Klo unsere Facebook-Chronik checken." Völlige Gewissheit erlangen zu wollen, sei ein Hirngespinst. "Was wir brauchen, ist hingegen eine Haltung im Umgang mit Fakten. Wir müssen schwimmen lernen im Datenozean."

Der Kampf gegen "Bullshit"

Das zentrale Charakteristikum dieser Haltung ist nach Hadler die Gelassenheit. Fünf Schritte sind es, die auf dieses Ziel hinführen können: darunter das Aufgeben des Glaubens an eine objektive Wahrheit, das kritische Hinterfragen von "Bullshit", also von aufmerksamkeitsheischendem Infotainment -und das Überprüfen von Quellen, Hinterfragen von Argumentationslinien oder In-Relation-Setzen von Zahlen bei Meldungen. Praktische Anschauungsbeispiele, wie sich Menschen von Halbwahrheiten in die Irre führen lassen, liefert Hadler in seinem Buch jedenfalls zuhauf. Koronare Herzkrankheiten sind etwa nach wie vor die weltweit häufigste Todesursache; jene Todesfälle, über die ständig medial berichtet wird -Terrorismus, bewaffnete Konflikte oder Morde -machen nur einen Bruchteil davon aus. Auch der Online-Enzyklopädie Wikipedia sollte man nicht zwingend vertrauen: Der Fake-Eintrag über Cäsars (vermeintlichen) Mörder Gaius Flavius Antonius hielt sich etwa über acht Jahre lang. Und auch der aktuelle Meister des Fakten-Verdrehens, Donald Trump, kommt bei Hadler nicht zu kurz. Sich der medialen Erregungsautomatik entziehen und im Zweifel lieber zweifeln -das könnte uns "der Wahrheit" näher bringen.

Eine Aufmunterung zum Zweifeln und Hinterfragen ist auch das neue Buch von Nina Horaczek und Sebastian Wiese: "Informiert euch! Wie du auf dem Laufenden bleibst, ohne manipuliert zu werden" (Czernin). Anhand von 26 konkreten Fragen beschreiben sie, wie Medien funktionieren und wie eine mündige Mediennutzung heute aussehen könnte. Fake News sind nach Ansicht der Autoren jedenfalls "ganz bewusst erzeugte Unwahrheiten", die aus verschiedenen Gründen in die Welt gesetzt werden: um Aufmerksamkeit und Aufregung zu erzeugen, um besonders viele Klicks auf seinen Internetseiten zu generieren, um sich in sozialen Medien wichtig zu machen, oder auch, um möglichst negative Emotionen gegen bestimmte Gruppen oder allgemein "die da oben" zu schüren. Das Problem dabei: Laut Forschern erreichen (emotional aufrührende) falsche Nachrichten häufig viel mehr Menschen als richtige Informationen. Oft werden sogenannte Social Bots, Softwareroboter, die in sozialen Medien menschliche Identitäten vortäuschen, verdächtigt, für die rasche Verbreitung von Fake News im Internet verantwortlich zu sein. Tatsächlich sind es aber meist die Durchschnittsnutzer selbst, die für diese besondere Dynamik sorgen. Doch wie kann man Fake News überhaupt erkennen? Nach Ansicht der Autoren gibt es ein paar Faustregeln, die das leichter machen: die Suche nach Quellen, Urheber, Datum und ähnlichen Meldungen. Auch auf der Internet-Suchmaschine www.hoaxsearch.com kann herausgefunden werden, ob man es mit einem Fake zu tun hat oder nicht.

"Lügenpresse" als Kampfbegriff

Für die Zunft der Journalistinnen und Journalisten, die ehedem als "Gatekeeper" entscheiden konnten oder mussten, was relevant ist und was nicht, sind diese Entwicklungen eine große Herausforderung. Dies umso mehr, als ihnen der Vorwurf der "Lügenpresse" entgegenschallt. In einem gleichnamigen Sammelband (KiWi) haben sich namhafte deutsche Schreiberinnen und Schreiber mit diesem Vorwurf auseinandergesetzt und eine "Anatomie eines politischen Kampfbegriffs" gewagt. Dabei wird durchaus Selbstkritik geübt. Jakob Augstein, Herausgeber der Wochenzeitung Der Freitag und Kolumnist im Spiegel, meint etwa in Anlehnung an den biblischen Sündenfall: "Die meisten Journalisten schämen sich gar nicht. Sie haben also noch nicht gegessen, sie haben noch nicht bemerkt, dass sie nackt sind. Aber, und das ist der Unterschied zu Adam und Eva, Journalisten glauben schon vor dem Essen, dass sie genau wissen, was gut und böse ist."

Andere wagen eine Selbstbehauptung und Ehrenrettung dieses "systemrelevanten Berufs", wie Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung: "Gewiss - wir, die professionellen Journalistinnen und Journalisten, sind nicht die Exklusiv-Aufklärer. Aber wir sind, wenn wir gut sind, professionelle Entdecker und professionelle Erklärer." Die Hauptaufgabe des Journalismus sei es, "die Menschen zu befähigen, sich ein richtiges Bild von der Welt zu machen", schreibt Prantl. "Der Journalismus macht Fehler, gewiss. Es geht darum, weniger Fehler zu machen. Es geht darum, Journalismus so zu machen, dass er die Gesellschaft nicht zynisch werden lässt."

Der Themenschwerpunkt "Die Lüge im Journalismus" ist eine Initiative der Styria Media Group AG und ihrer Medien Die Furche, Die Presse und Kleine Zeitung.

Weitere Beiträge zu diesem Thema finden Sie in der Kleinen Zeitung und in der Presse vom 19. Mai 2018.

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