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In der Tiefe Rumäniens

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Erinnerungen an eine Reise, die nicht allen Erwartungen entsprach.

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Erinnerungen an eine Reise, die nicht allen Erwartungen entsprach.

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Es war vor etwa zehn Jahren, wir waren ein Autobus voll neugieriger kunstbeflissener reiselustiger Österreicher; unser Ziel war Rumänien, Siebenbürgen und die Moldauklöster. Wir erwarteten nichts Schlimmeres als die allgemeine Ostblock-Tristesse und waren anfangs sogar angenehm überrascht: Die Hotels, in denen wir übernachteten, waren besser als gedacht, die Installationen funktionierten, die Bettwäsche war weder zerrissen noch schmutzig, da und dort war sogar ein Aufzug in Betrieb.

In einem Dorf führte man uns Volkstänze vor, ein zahmer Bär machte seine Kunststücke, ein Junge blies die Panflöte, sehr begabt. Aber dann waren wir in Dragomirna, in einer ländlichen waldreichen Gegend: Dragomirna - ein Nonnenkloster mit einer bunt bemalten Kirche, einem mit Rosenstöcken bepflanzten Hof und sogar einem kleinen Museum, wo uns die Arbeiten der Schwestern gezeigt wurden, Stickereien, Häkeleien, dazu Volkskunst, Keramik und geschnitztes Balkenwerk. Ich hatte mich schnell satt gesehen und wurde ungeduldig; überdies klebte mir die Zunge am Gaumen, ich wollte mir etwas zum Trinken verschaffen. Irgendwo, dachte ich, wird es in diesem von Fremden oft besuchten Ort doch ein Glas Mineralwasser oder eine Limonade zu kaufen geben.

So verließ ich meine Gruppe, verließ das Kloster und begab mich in das Dorf. An einem. Bretterzaun erspähte ich eine verlotterte Tafel, von der ich annahm, sie sei eine Reklame für ein Getränk. Also betrat ich den Hof, betrat das Haus, schaute mich um. Ein Mann rollte ein Faß an mir vorüber, doch meine Bitte quittierte er nur mit verächtlichem Achselzucken. Ich setzte mich auf irgendeine Bank und wartete, aber kein Mensch scherte sich um mich und um meine Wünsche. Ein Gast schien in diesem Land nur ein lästiger Störenfried im volkskommunalen Frieden.

So machte ich mich auf, das Dorf weiter zu durchstreifen. In einem Graben neben der Straße kauerte ein altes Mütterchen mit schwarzem Kopftuch, auf den Knien ein Brettchen, darauf eine Handvoll Schwämme; offenkundig wartete die Frau darauf, daß irgend jemand Lust auf ihre Schwämme bekäme. Flehentlich blickte sie mich an - aber was sollte ich hier mit ihren Schwämmen anfangen? Während ich noch zögerte, sah ich Entsetzen in ihre Mienen treten. Ein Milizsoldat war von hinten herangekommen, er stieß auf sie zu, herrschte sie an: Offenkundig war ihm das kommerzielle Unternehmen, das da laufen sollte, ein Dorn im Aug, ein Vergehen gegen den Staat, ein Bruch mit dem allgemeinen, zentral gelenkten System. Er stieß das Brettchen von den Knien der Frau und zertrat die Schwämme unter seinem Stiefel.

Als sich die Ärmste nach zwei noch heilen Pfifferlingen bücken wollte, scheuchte er sie mit groben Worten davon.

Mir tat das Herz weh.

Aber kurz darauf bemerkte ich eine andere Gestalt, die mich, so rührend sie war, erheiterte. Ein mageres Bäuerlein spazierte durchs Dorf; er trug einen schwarzen schäbigen Hut und einen schwarzen, noch schäbigeren Rock. Immer, wenn er jemandem begegnete, klappte er den Rock auf und ließ den anderen sehen, was er trug.

Dabei sah sein Gesicht nicht weniger flehentlich drein, als das der alten Frau, nur daß dann und wann doch ein Blitz von Schalk darin aufleuchtete. Ich folgte ihm. Da klappte er auch vor mir den Rock auf und ich sah: unter seinem Rock trug er ein Huhn, eine elende, magere, graugefiederte Henne. Die Sache war eindeutig. Auch die Henne wurde zum illegalen Kauf angeboten. Gern hätte ich dem Mann geholfen, doch was hätte ich wohl mit der Henne angefangen?

Inzwischen war meine Gesellschaft mit dem kleinen Nonnenmuseum fertig geworden, wir bestiegen unseren Bus und fuhren davon.

Am anderen Tag überquerten wir einen Gebirgspaß. Es goß in Strömen. Wir kehrten in einem staatlichen Gasthaus ein, waren dort angesagt, eine einfache Bude unter einem abgeholzten, grün umbuschten Hang.

Wir saßen in der kalten rauchigen Stube und warteten. Wir warteten lange. Kein Essen, keine Labung. In der Küche rührte sich nichts.

Da schob mir von rückwärts eine Hand ein Schälchen zu, eine nasse bräunliche Kinderhand: Im Schälchen waren Erdbeeren. Ich ergriff es mit Begier und nickte dem kleinen Mädchen zu: Ja, gut, gut! Hier hast du Geld dafür! Es waren nur kleine Münzen, die ich gab, aber mit einem Freudenschrei stürzte das Kind hinaus, und wenige Minuten später waren mehrere Kinder da, eine ganze Schar, alle tropfnaß, alle mit Erdbeeren, in Papiertütchen, Senfgläschen, Emailtöpfchen oder auch nur auf großen, grünen Blättern. Wir nahmen, wir aßen, wir zahlten, mit neuen Freudenrufen liefen die Kinder davon, sie liefen wohl den Hang hinter der Bude hinauf, da mußte es von Erdbeeren wimmeln.

Nach zwei Stunden wurden uns fette, halb rohe, halb angebrannte Lammkoteletten serviert. Wir alle waren schon von den Erdbeeren satt geworden.

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