Indiens neue Maharajas lassen sich bitten

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Indiens Software-Spezialisten zählen weltweit zu den besten Köpfen der Branche und sind im In- und Ausland sehr begehrt. Manche gehören bereits zu den reichsten Bürgern ihres Landes.

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Indiens Software-Spezialisten zählen weltweit zu den besten Köpfen der Branche und sind im In- und Ausland sehr begehrt. Manche gehören bereits zu den reichsten Bürgern ihres Landes.

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Nur wenige Inder haben von Azim Hasham Premji gehört, geschweige denn, dass sie ihn erkennen würden, sollten sie ihm zufällig auf der Straße oder im Flugzeug begegnen. Der 54-jährige ist zwar seit kurzem der reichste Bürger seines Landes und zugleich unter die reichsten Männern der Welt aufgerückt.

In Deutschland, das sich angesichts der Debatte um eine Green-Card für ausländische Computerexperten derzeit auch mit dem Stand der Informationstechnologie in Indien intensiver auseinandersetzt, bezeichnete "Der Spiegel" Premji und seinen einstigen Weggefährten und nunmehrigen Geschäftskonkurrenten Narayan Murthy kürzlich gar schon als die neuen Maharajas von Indien. Doch auf dem Subkontinent selbst ist lediglich eine kleine Elite vertraut mit den Namen von Unternehmen und Unternehmern in der heimischen Softwareindustrie. Premjis Wipro und Murthys Infosys, beide im südindischen Bangalore angesiedelt, gehören in eine Welt, die von der Lebensrealität des durchschnittlichen Inders weit entfernt ist. Dort werden Maharajas, auch wenn es sie seit der Unabhängigkeit vor knapp 53 Jahren offiziell nicht mehr gibt, noch mit Palästen und Prunk assoziiert und nicht mit modernen, computerbestückten Bürogebäuden. Hinter deren Fassaden haben sich in den letzten Jahren hunderte, zumeist noch sehr junge Inder zu Millionären hinaufgearbeitet. Tausende weitere bereiten sich an den sechs offiziell Technologie-Institute genannten Elitehochschulen des Subkontinents - in die aufgenommen zu werden fast noch schwerer ist als in eine Eliteuniversität in den USA - auf eine Karriere in der Informationstechnologie (IT) vor.

Lieber in die USA Eine Karriere wo? Im eigenen Land? Dort haben Premji und Murthy sie gemacht, wenngleich ersterer in Gedanken schon die Weltbank anvisiert hatte, als er 21-jährig, wegen des frühen Todes des Vaters sein Studium in Stanford abbrechen, nach Hause zurückkehren und die Familienfirma übernehmen musste. Die hieß damals, 1966, noch Western Indian Vegetable Products und handelte, von moderner Technologie unbelastet, vor allem mit Speiseöl. Von diesen Erzeugnissen will sich Premji auch heute nicht trennen, wo die Firma längst in Wipro umbenannt wurde, 70 Prozent ihres Geschäftes mit Softwareprodukten macht und Anfang dieses Jahres eine Börsenkapitalisierung von 50 Milliarden Dollar erreichte - was den Lebensstil des Muslim und gebürtigen Mumbaier kaum verändert hat. Er lebt bescheiden in einem unauffälligen Wohnblock in Bangalore, fährt einen Mittelklassewagen und fliegt prinzipiell nur Economy-Class.

Oder eine Karriere in den USA, wo seit den sechziger Jahren mehrere Zehntausend Absolvent(innen) indischer Universitäten ihr Glück suchten und in dessen Silicon Valley laut einer neuen US-Studie heute 750 Firmen von Indern geführt werden? Und von wo heute die ersten Inder, wenn nicht wieder ganz zurück in die alte Heimat siedeln, so doch einen engeren Kontakt mit dieser pflegen. Auch im finanziellen Sinn, indem sie ihre indischen Alma Maters mit zwei- bis dreistelligen Dollar-Beträgen unterstützen.

Oder eine Karriere gar in Deutschland, dessen Kanzler Gerhard Schröder mit seinem Green-Card-Vorstoß eine heftige Debatte auslöste und ein gehörig Maß an ausländerfeindlichen Kommentaren und Slogans nach sich zog?

Um seinen aktuell bestehenden Bedarf an IT-Experten zu decken, soll Berlin nach den Vorstellungen des Kanzlers ab diesem Sommer 20.000 Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten, allen voran Indien und Osteuropa, über eine Green-Card ins Land locken. Derzeit fehlen nach Angaben aus der deutschen IT-Branche etwa 75.000 Experten. Manche deutsche Forscher empfinden diese Zahlen als zu hoch. Dem CDU-Politiker Jürgen Rüttgers sind sie einfach egal. Nicht gleichgültig ist ihm hingegen die, wie er es sieht, Bedrohung durch einen neuerlichen Zustrom fremder Arbeitskräfte. "Kinder statt Inder" sah er sich genötigt, zum Schutze des eigenen, deutschen Nachwuchses zu rufen.

Während also Rüttgers' Gesinnungsgenossen weiter von Albträumen turbantragender Arbeitsplatzräuber verfolgt werden, muss die Regierung feststellen, dass Grün allein bei weitem noch nicht ausreicht, um Inder anzulocken. Da sei schon eher Rot gefragt - im Sinne eines roten Teppichs -, vermerkten einige deutsche Zeitungen. Konkret: Mit einer einfachen Arbeitserlaubnis für einige Jahre sei es nicht getan, wo die Inder beim Begriff Green-Card doch ganz offenkundig an die Vorteile denken, die dieses Dokument in den USA mit sich bringt - unter anderem unbegrenzter Aufenthalt und klare Regelung des Status der Familie, wozu noch die sprachliche und kulturelle Affinität mit dem angelsächsischen Raum kommt.

Einsam in Deutschland "The Economic Times" zitierte einen indischen Studenten, der gerade ein Ingenieursstudium in Deutschland abgeschlossen hatte und betonte: In den fünf Jahren war es ihm nicht erlaubt gewesen, seine Frau ins Land zu bringen. Bei allem professionellem Gewinn von Studium respektive Arbeit in der Bundesrepublik nannten in mehreren indischen Medien zitierte Techniker die Einsamkeit und kulturelle Entfremdung als derart belastend, dass sie lieber zurück nach Indien - oder aber in die USA - gingen.

Das Wochenmagazin meinte dazu: "Trotz der Tatsache, dass 30 Prozent der IT-Experten der Welt Inder sind, sehen viele Deutsche Indien weiterhin als ein armes Land, das von westlicher Hilfe abhängig ist, geprägt von Aberglauben, Analphabetismus, wo Kinderarbeit und die Verbrennung von Ehefrauen an der Tagesordnung sind. Für andere ist es das mystische Land von Yoga und Rajneesh, Sadhus und meditativem Sex; von verzweifelten Asylsuchenden und illegalen Immigranten. Die plötzliche Akzeptanz Indiens als eines Landes mit intellektuellem Potential ist unwahrscheinlich."

Tatsächlich scheint mindest in Europa das Wissen um dieses andere Indien wenig verbreitet. Bangalore, des Subkontinents eigenes Silicon-Valley, und das seit kürzerem aufstrebende IT-Zentrum Hyderabad sind Ausländern, wenn überhaupt, wegen ihrer touristischen Sehenswürdigkeiten ein Begriff. Dabei zählen sie zu den wichtigsten Standorten der Software- und Hardware-Industrie, deren Exporte von ein paar hundert Millionen Dollar vor wenigen Jahren auf heute rund fünf Milliarden Dollar angestiegen sind. Die Voraussagen für 2005 liegen bei 30 Milliarden Dollar.

Hyderabad, die Hauptstadt des Bundesstaates Andhra Pradesh, hat mit seinem Chefminister Chandrababu Naidu noch dazu einen der am meisten auf Hi-Tech orientierten Politiker des Landes und ersetzt das H immer öfter durch ein C (für Cyber). Nichts sei ihm näher als sein Laptop, heißt es über den 49-jährigen, der die Computervernetzung auch dazu nutzt, seine Bürokraten auf Trab zu bringen. Dass US-Präsident Bill Clinton auf seiner jüngsten Südasienreise Cyderabad mit seiner Hi-Tech-City (www.apisit.com) besuchte, durfte Naidu als besondere Würdigung seiner IT-Ambitionen verstehen. "Ein smarter Staat: Leistung, Wissen, Weisheit" stellt sich Andhra Pradesh heute auf seiner Homepage dar, auf der auch Clintons Rede in Cyderabad nachzulesen ist (www.andhrapradesh.com).

Ende des Sozialismus Dieser Aufschwung der Hochtechnologie ist eng verknüpft mit der nach Jahrzehnten des Nehru-Sozialismus 1991 eingeleiteten Wirtschaftsliberalisierung, die ihrerseits die Debatte um Indien und Bharat verschärft hat. Indien steht dabei für die moderne, englischsprachige und dank Hochtechnologie mit der übrigen Welt vernetzte Elite des Subkontinents, Bharat, der alte indische Name, dagegen für die weiterhin von Analphabetismus, Armut und Unterentwicklung geprägte Welt der Bevölkerungsmehrheit. Wohlstand muss man erst schaffen, bevor man ihn verteilen kann, meint Premji. Nicht jeder wird seinen Optimismus über eine tatsächlich stattfindende oder mindestens geplante (Um-)Verteilung teilen. Aber immerhin: Beim Konkurrenten und Milliardärs-Kollegen Narayan Murthy von Infosys kann jeder Mitarbeiter bis hin zum Chauffeur Aktien erwerben. Gut die Hälfte der 4.000 Angestellten hat es schon zum Rupien-Millionär gebracht.

Das wollen die Inder anerkennt wissen. Die von der deutschen Green-Card anvisierte Zielgruppe auf dem Subkontinent sei jedenfalls keine von unqualifizierten Arbeitsplatzräubern, wie Indiens Finanzminister Sinha in Berlin betonte. Die Anfragen zur Green-Card bei den zuständigen Behörden in der Bundesrepublik und der deutschen Botschaft in Neu Delhi liegen vorerst bei ein paar Dutzend, kommen also wahrlich nicht jenem Ansturm gleich, den der Kinder-bedachte Herr Rüttgers zu befürchten scheint.

Während die rot-grüne Regierung in Berlin an einer verbesserten Green- Card bastelt - mit längerer Arbeitserlaubnis und Zuzugsrecht für die Familie des Computerexperten - meint das Magazin "Outlook" bereits: So, wie es aussieht, "werden die besten Köpfe (der indischen IT-Branche) jedenfalls nicht nach Deutschland gehen". Outlook führt neben dem kalten Klima der Bundesrepublik besonders auch die kalte Gesellschaft an und schließt: "Vielleicht wird Rüttgers noch seinen Slogan in "Inder und Kinder" umwandeln müssen.

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