Integrationsträume Fliegen lassen

Werbung
Werbung
Werbung

Menschenrechtsaktivisten haben ein Jahr lang an Szenarien positiver Integration entwickelt. Das Ergebnis: Mehr Bildung und Arbeitsintegration als Bausteine einer neuen Fairness.

Fairness entscheidet das Spiel, aber viel zu selten das Leben: „Ich habe da die Idee von einem Spielbrett im Kopf“, sagt Barbara Sieberth von der Plattform für Menschenrechte in Salzburg. „Ich würde beim ‚Mensch ärgere dich nicht‘-Spielen nie auf die Idee kommen, verschiedene Regeln für verschiedene Figuren zu fordern. Die gelbe Figur hüpft bei einem Sechser nicht doppelt so weit wie die lila Figur. Nach dieser Logik muss auch für Menschen, die sich langfristig an einem Ort niederlassen, das Mitspielen unter gleichen Regeln möglich sein.“

Um Visionen in den Bereichen Integration, Asyl und Anti-Diskriminierung drehte sich die Auftaktkonferenz der Veranstaltungsreihe „Zukunftsräume“ im Wiener Albert Schweitzer Haus. 25 Nichtregierungsorganisationen, die sich zum „Netzwerk Rechte – Chancen – Vielfalt“ zusammengeschlossen hatten, entwickelten ein Jahr lang mögliche Zukunftsszenarien für die unterschiedlichsten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die sie nun der Öffentlichkeit präsentierten. Nicht die aktuellen Defizite, sondern mögliche Veränderungen in der Zukunft sollten im Mittelpunkt stehen.

Verena Plutzar vom „Netzwerk SprachenRechte“, die auch für den Fachbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache am Wiener Institut für Germanistik tätig ist, datiert ihre Vision auf das Jahr 2020 und stellt sich darin gegen die Definition von Deutsch als alleinige Staatssprache. „Die politische Anerkennung der Mehrsprachigkeit in Österreich bedeutet eine konsequente Abkehr von der bisherigen Integrationspolitik, die lediglich auf das Einfordern und Überprüfen von Deutschkenntnissen gesetzt und damit Mehrsprachigkeit unterdrückt hat“, stellt sie in ihrer mit Kolleginnen ausgearbeiteten Vision schriftlich fest.

„Einsprachigkeit ist heilbar“

In der wissenschaftlichen Diskussion um Mehrsprachigkeit habe sich einiges geändert, ergänzt Plutzar in der Talkshow-artig aufbereiteten Diskussion und verweist auf Sprachwissenschafter Leo Weisgerber, der 1966 den Menschen noch als von Grund auf einsprachig beschreibt. Andere Sprachen würden den Menschen verwirren, eine Sprachvermischung zersetze zudem die einzelnen Sprachen und auch die Sitten, verweist Plutzar auf Weisgerbers Theorien. „Heute wissen wir, dass der Mensch mehrsprachig ist“, kontert Plutzar. „Einsprachigkeit ist heilbar.“ Für 2020 malt sie sich ein entsprechendes multilinguales Szenario aus: „Das Personal öffentlicher Institutionen ist zunehmend selbst mehrsprachig, denn wer nur Deutsch und Englisch kann, wird ab nun nur ungern in den öffentlichen Dienst aufgenommen. Mehrsprachige Medien werden gefördert“.

Für kulturelle Vielfalt in den Medien spricht sich auch Verena Fabris von der Volkshilfe aus. Aktuell sieht sie Migrantinnen und Migranten in den heimischen Medien unterrepräsentiert, sowohl als Medienmacher als auch inhaltlich. „Die Berichterstattung erfolgt oft einseitig und reproduziert stereotype Bilder, wie: ‚nigerianischer Drogendealer‘ oder ‚rumänische Diebesbande‘“, beklagt sie. Während Fabris den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wegen mangelnden Angebots kritisiert, sieht sie in nicht-kommerziellen Medien wie Radio Orange oder Okto TV positive Beispiele, weil sie Migranten „und anderen marginalisierten Gruppen wie Lesben oder Arbeitslosen nicht nur Sendezeit, sondern auch Infrastruktur und Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen“.

Martin Schenk von der Diakonie sieht Bildung als eine der zentralen Ressourcen der Zukunft. Er plädiert für Schulen, die nicht sozial ausgrenzen. „Eine Schule ohne Behinderte ist keine normale Schule. Eine Schule ohne ‚besondere‘ oder schwierige Kinder, ohne Kinder unterschiedlicher Herkunft ist keine normale Schule“, betont Schenk. Dass sich Ausbildung an den Lebenswelten der Kinder orientiere, wünscht er sich in seiner ausgearbeiteten Vision: „Schulen in sozial benachteiligten Regionen sollen besonders gut ausgestattet und gefördert werden, damit sie für alle Einkommensschichten attraktiv bleiben.“ Ob es realistisch sei, eine Schule zu schaffen, in der Hochbegabte und Behinderte in einer Klasse sitzen, hakt eine der Moderatorinnen nach. „Meine Vision ist eigentlich die visionsloseste von allen“, antwortet Schenk, „denn was ich für die Zukunft beschreibe, ist in vielen Ländern schon jetzt Realität – in Skandinavien etwa oder Kanada.“ Schenk fordert Veränderungen in der Schulraumarchitektur und in der Unterrichtsqualität. Warum Veränderungen im Bildungsbereich nur schleppend vorangehen? „Wir haben alle nicht die Erfahrung gemacht, in neuen Schulmodellen groß zu werden. Wenn Ganztagesschulen gefordert werden, dann denken wir uns: ‚Na servus, das bei der Schule, in die ich gegangen bin, und das auch noch bis fünf Uhr am Abend.“ Schenk hat die Lacher auf seiner Seite. „Man muss erlebt haben, dass Schule auch anders sein kann. Das ist ein Generationenproblem.“

Vom Erwerbsleben ausgeschlossen

Elisabeth Freithofer vom Integrationshaus bleibt ernst und spricht von Theorie und Praxis, die auseinanderklaffen. „Es müssen arbeitsrechtlich nicht neue Gesetze erfunden, sondern die bestehenden eingehalten werden“, klagt sie an. „Es ist nicht so, dass alle politischen Voraussetzungen eingehalten werden. Tausende Menschen sind 20 Stunden angestellt und arbeiten 60 Stunden. Unternehmen üben Druck auf Menschen mit unsicherer Aufenthaltssituation aus.“ Sie wünscht sich einen Rahmen, der Menschen, die in Österreich leben, einen frühestmöglichen Zugang zum Arbeitsmark ermöglicht. „Wer jahrelang von der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen wird, muss später in prekären Verhältnissen arbeiten oder schafft den Sprung in den Arbeitsmarkt gar nicht mehr“, spricht Freithofer vor allem die Situation von Asylwerbern an.

In ihrem Zukunftsszenario verfügt Österreich über eine starke Antidiskriminierungspolitik in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarkt. Sie wünscht sich, dass die österreichische Staatsbürgerschaft keine Voraussetzung für eine Anstellung als Beamtin oder Beamter sei. „In den Medien wird oft das Bild gezeichnet, dass Menschen, die zu uns kommen, etwas wollen. Die Frage ist weniger, was sie uns bringen. Daher ist wichtig, dass sie in sichtbaren Positionen wie Behörden und Institutionen auftreten können“, erklärt Freithofer. So balanciere sich das Bild von jenen, die etwas bräuchten, und jenen, die etwas geben, aus.

Im Zuge der Gespräche wurde zudem kritisiert, dass qualifizierte Menschen, die nach Österreich kommen, hierzulande oft keinen entsprechenden Arbeitsplatz finden würden, weil ihre Ausbildung aus dem Herkunftsland nicht anerkannt wird. Niki Heger vom Afro-Asiatischen Institut meint angesichts dieses Missstandes: „Leute, die es sich von ihrer Bildung her aussuchen können, wohin sie gehen, kommen schon lange nicht mehr nach Österreich. Die Politik und auch das Klima der letzten Jahrzehnte haben es geschafft, dass Menschen mit guter Qualifikation in die USA oder nach Kanada gehen. Dort werden sie gesucht und integriert.“ Die weniger Qualifizierten würden in Österreich landen, weil man die besser Qualifizierten nicht wolle, weil man niemanden wolle.

Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung wurden in den Zukunftsvisionen bewusst ausgespart, sie sollen in den folgenden Workshops von April bis Juni zu den einzelnen Bereichen erarbeitet werden: Themen wie Kommunale Entwicklung und Bildung, Gesundheit und Mehrsprachigkeit, Fremdenrecht, Religionsfreiheit und Medien, Arbeitsmarkt und Demokratie sowie Jugend und Vielfalt stellen das Spektrum dar.

„Es ist auf jeden Fall wichtig, multidimensional zu denken“, subsumiert Martin Schenk von der Diakonie. „Wenn man beispielsweise sagt, Sprache ist der Schlüssel zur Integration, wo ist dann das Schloss dazu? So ist es in der Integrationsdebatte: Die einen reden nur vom Schlüssel, die anderen vom Schloss und beide wundern sich dann, dass die Tür nicht aufgeht.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung