Mediensog

Internetsucht bei Kindern und Jugendlichen: Mediensog als Gefahr

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Immer mehr Heranwachsende scheinen sich in der Virtualität zu verlieren. Wo liegt die Grenze zur Sucht? Ein Interview mit dem Psychotherapeuten Dominik Batthyany über Kontrollverlust und Problemlösung per Knopfdruck.

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Immer mehr Heranwachsende scheinen sich in der Virtualität zu verlieren. Wo liegt die Grenze zur Sucht? Ein Interview mit dem Psychotherapeuten Dominik Batthyany über Kontrollverlust und Problemlösung per Knopfdruck.

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Es ist die Sogwirkung, die digitale Medien so unberechenbar machen, sagt Dominik Batthyany, Leiter des Instituts für Verhaltenssüchte an der Sigmund-­Freud-­Privatuni Wien. Im Gespräch mit der FURCHE erklärt er, wie Kinder zurück in die analoge Wirklichkeit finden.


DIE FURCHE: Immer wieder berichten Expert(inn)en darüber, dass die Mediennutzung in der Pandemie vor allem bei Kindern und Jugendlichen stark angestiegen sei. Können Sie das bestätigen?
Dominik Batthyany
: Seriöse österreichweite Studien gibt es noch keine. Was wir sehen ist, dass junge Menschen die ihnen abverlangte Isolation über Medien kompensiert haben. Medienangebote und auch das Computerspielen haben Jugendlichen ermöglicht, sich zumindest virtuell zu treffen, sich auszutauschen, ihre Freizeit miteinander zu verbringen. Deshalb ist es zunächst einmal eine gute Sache, dass es diese Angebote gibt. Die Kehrseite ist: In der Pandemie sind viele Schutzfaktoren weggefallen, die vorher verhindert haben, dass der Medienkonsum eines Menschen problematisch wird.


DIE FURCHE: Welche Schutzfaktoren meinen Sie genau?
Batthyany:
Die Alternativen, die ein Mensch abseits des Computers für seine Freizeitgestaltung hat. Interessen und Hobbys wie Fußball, Chorsingen, Ballett oder Skateboard fahren zum Beispiel. Die Möglichkeit, das auszuüben, war sehr reduziert die vergangenen Monate.

DIE FURCHE: Viele Eltern fürchten, dass ihre Kinder in eine Digitalsucht hineinkippen, weil sie so viel Zeit vor Tablet, PC oder Smartphone verbringen. Schon allein der Schule wegen. Ist diese Angst berechtigt?
Batthyany:
Digitale Medien machen nicht per se abhängig. Für Jugendliche, denen es gut geht, die ein stabiles Elternhaus haben, keine psychischen Erkrankungen wie etwa eine soziale Angst­störung, ADHS oder eine Depression haben, stellen digitale Medien an sich noch keine Gefahr dar. Sie sind ja keine Drogen im klassischen Sinn wie Heroin oder Alkohol. Gleichzeitig gilt es aber zu bedenken, dass diese Medien eine unglaubliche Sogwirkung haben. Was wiederum dazu führt, dass andere Interessen abhandenkommen, weniger lebendig sind.


DIE FURCHE: Wann ist die Grenze zur Sucht überschritten?
Batthyany:
Ein wichtiges Merkmal ist der Kontrollverlust. Die Person ist nicht mehr fähig, den Konsum zu steuern oder zu stoppen. Typisch für eine Verhaltenssucht ist auch, wenn man ein unwiderstehliches Verlangen hat, ein Verhalten ausführen zu müssen. Das Verhalten ufert aus. Meist kommt es auch zu einer Dosissteigerung, das Verhalten wird länger, häufiger und intensiver durchgeführt, um den gewünschten Effekt zu erhalten. Klassisch ist zudem, wenn das Verhalten fortgesetzt wird, obwohl schon negative Folgen bemerkbar sind – schlechte Noten, Freunde ziehen sich zurück etc.Und es verlieren Dinge an Bedeutung, die einem früher wichtig waren – etwa die Pflege sozialer Kontakte.

DIE FURCHE: Sie haben oben die Sogwirkung angesprochen, die digitale Medien erzeugen. Was hat es damit auf sich?
Batthyany:
Medien binden die Aufmerksamkeit. Sie lenken ab, vielleicht vor Gefühlen, die man nicht haben will, von Problemen, von allen möglichen Dingen, die vielleicht unangenehm sind. Und das ist tückisch. Denn Sucht­ verhalten entsteht zunächst aus einer Strategie, mit Problemen des Lebens oder mit Gefühlen oder Gedanken umzugehen. Man drückt auf einen Knopf und ist weg von dem, was einen belastet.

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